„Der Ministerpräsident des Saarlandes ist ein besserer Landrat“, heißt ein beliebter Scherz im Internet. Und an dem ist was dran. Zum einen ist das Saarland das kleinste Flächenland der Republik mit gerade mal 700.000 Wahlberechtigten. Zum anderen ist es aus eigener Kraft nicht mehr lebensfähig. Deswegen beschäftigt sich der saarländische Landtag im Wesentlichen nur mit zwei Arten von Anträgen. Das eine sind Initiativen für den Bundesrat, in dem die Saarländer den anderen Deutschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben: Soll Werbung für Prostitution erlaubt sein? Oder dürfen Unternehmen „Lockvogel“-Angebote machen?
In solchen Fragen soll am saarländischen Wesen das deutsche Land genesen. Der andere Antragskomplex sind Beschlüsse über Dinge, die das Saarland für sich gerne finanziert sähe und für die es den Bund dringend auffordert, seiner Verantwortung gerecht zu werden. Also zu bezahlen, was die Saarländer wollen, sich aber nicht leisten können.
Doch so klein und schwach das Saarland ist, seine Wahl ist ein Stimmungstest. Schon weil es die erste Landtagswahl nach Antritt der Ampelkoalition im Bund ist. Aber auch, weil es eine mögliche Abstimmung über die Corona-Politik ist. Zumal es bisher an landespolitischen Themen gefehlt hat. Hans hat sich jüngst dafür ausgesprochen, den Gymnasiumsbesuch wieder von acht auf neun Jahre zu verlängern. Dabei war es die CDU, die G8 an der Saar eingeführt hatte. So politisch beliebig erscheint die Union dieser Tage nicht nur im kleinsten Flächenland. Auch das könnte Hans bewogen haben, sich in die erste Reihe zu stellen, als seine Partei im Bund die Impfpflicht und die Rückkehr zum Ausnahmezustand gefordert hat. Wenigstens in diesem Punkt will Hans entschlossen wirken.
Bisher hat das nicht gefruchtet. Die ehemalige Kugelstoßerin und aktuelle Spitzenkandidatin der SPD, Anke Rehlinger, liegt in den Umfragen vorne, bei Infratest mit fünf Prozentpunkten vor der CDU. Bisher regiert Rehlinger als Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin mit Hans in einer Großen Koalition. Der hat das Amt des Ministerpräsidenten aus eigener Kraft noch nicht gewonnen. Er hat es geerbt, als seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer als Nachwuchshoffnung der Partei in die Bundespolitik gewechselt ist.
Das Saarland ist keine natürliche SPD-Hochburg. In den 1950er Jahren gab es im Saarland sogar zwei christdemokratische Parteien. Eine war für, die andere gegen die Unabhängigkeit des Saarlandes. Beide waren einzeln jeweils stärker als die Sozialdemokraten. Bis 1985 regierte die CDU dann im ans „Reich“ angegliederte Bundesland. Reich nennen die Saarländer das Deutschland östlich von Kaiserslautern und nördlich von Trier. Dann kam Oskar Lafontaine und prägte anderthalb sozialdemokratische Jahrzehnte an der Saar. Politisch legte er sich links fest, von der Attitude gab er sich konservativ – etwas anderes hätte auch nichts gebracht in einem Land, das von katholischen Bergarbeitern geprägt wurde.
Als Lafontaine 2008 ins Saarland zurückkam, erlebte die Linke einen Aufschwung. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob sie mit ihm den ersten westdeutschen Ministerpräsidenten der ehemaligen SED inthronisieren könnten. Bei der Wahl 2009 reichte es immerhin für 21,3 Prozent und für 11 von 51 Sitzen im Landtag. Lafontaine war unter den Saarländern extrem beliebt. Außerdem profitierte er davon, dass in Ministerien, Behörden, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Organisationen noch viele Führungskräfte saßen, die ihm ihre Karriere verdankten.
Doch diese Euphorie ist längst verflogen. Vor fünf Jahren kam die Partei noch auf 12,9 Prozent. Auch die scheinen dieses Mal unrealistisch: Die Linke an der Saar ist heillos zerstritten. Ihren einstigen Hoffnungsträger wollen manche Genossen mittlerweile rauswerfen. Der streitbare Lafontaine lässt an seinem Landesverband auch kein gutes Wort mehr und ruft zur Wahl anderer Parteien auf, sodass die Linken vermutlich Stimmen verlieren werden. Die SPD hätte eine gute Chance, diese Wähler an sich zu binden.
A propos zerstritten. Das trifft auch für die AfD an der Saar zu. Deren Fraktionsvorsitzender und langjährige Landeschef Josef Dörr gilt selbst anderen in der AfD als Rechtsaußen. Dörr war bei der Wahl um den Spitzenplatz der Kreistagsliste René Selzer unterlegen. Daraufhin hat er die Liste angefochten. Sein Vorwurf: Die andere Seite habe noch schnell Mitglieder rekrutiert, die aber noch nicht korrekt aufgenommen gewesen seien. Das Landgericht Saarbrücken hat ihm nun recht gegeben. Die Konsequenz wäre, dass die AfD im Wahlkreis Saarbrücken nicht antreten könnte. Dort leben aber ein Drittel der Wahlberechtigten. Und die AfD stand in den Umfragen vorher bei 9 Prozent.
Wie schafft man nun den Übergang vom selbst für AfD-Verhältnisse rechts außen stehenden Josef Dörr zu den Grünen? Der Sprung fällt erstaunlich kurz aus: Dörr war jahrelang Schatzmeister der Grünen an der Saar und ein enger Vertrauter sowie Zechgenosse von Hubert Ulrich, der Eminenz des Grauen im grünen Landesverband. Zu seiner Erfolgsbilanz gehört, dass die Grünen im Saarland stets unter 6 Prozent blieben und bei der letzten Wahl aus dem Parlament flogen. Der unpopuläre Populist hatte auf das klassische Landtagsthema Kampf gegen Trump gesetzt.
Was es heißt, nicht zu einer Wahl zugelassen zu werden, erlebte Ulrich erst vor einem halben Jahr. Seine Wahl als Spitzenkandidat im Land stieß auf die Missgunst von Annalena Baerbock, die gemäß des Statuts eine Frau an dieser Stelle sehen wollte. Über das eigene Schiedsgericht ließ sie diese Wahl canceln. Die neu gewählte Liste fiel wiederum vor einem regulären Gericht durch und die Grünen durften bei der Bundestagswahl an der Saar nicht antreten.
Ulrich ist eine Figur, die mit schillernd noch wohlwollend umschrieben ist. Skandale begleiten seinen politischen Weg. Den Verband führte er mit einem diktatorischen Stil, der ihm den Spitznamen „Der Panzer“ eingebracht hat. Die über 600 Mitglieder des Kreises Saarlouis verschafften ihm unter den Delegierten die notwendigen Mehrheiten. Das Gerücht, diese Zahl komme unter dubiosen Umständen zusammen, hielt sich über die drei Jahrzehne, die Ulrichs Karriere nun andauert. Zwar tritt der Verband nun mit Spitzenkandidatin Lisa Becker an, die als politisch clean gilt – doch Ulrichs Schatten dürfte noch lang sein.
Das Stichwort „lange Schatten“ führt wiederum zur FDP. Die Liberalen waren in dem Land der Bergarbeiter ohnehin nie stark. Doch die Affären rund um ihren ehemaligen Landeschef Christoph Hartmann ließen die Partei erst aus der Regierung ausscheiden und dann in eine Liga absteigen, in der sie gegen die Familien- oder die Tierschutzpartei antrat – und mitunter sogar verlor. Ihr aktueller Landeschef Oliver Luksic erhofft sich Rückenwind aus Berlin. Der soll die FDP wieder zurück in den Landtag und am besten auch in eine Ampelregierung tragen. Und so klein das Saarland ist: Der Test, ob Gelb als Teil der rot-grünen Regierung wahrgenommen wird, dürfte für alle im Reich spannend sein.