Tichys Einblick
Innenministerin Nancy Faeser

Bundesregierung will Afghanen schon vor der Asylentscheidung integrieren

Die neue Bundesregierung gibt afghanischen Zuwanderern noch vor dem erfolgreichen Abschluss ihres Asylverfahrens Anspruch auf staatliche Integrationskurse. So wird das Asylrecht immer mehr zur Farce.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)

IMAGO / Future Image

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will Afghanistan zum Herkunftsland mit „guter Bleibeperspektive“ machen. Damit soll es Afghanen ermöglicht werden, schon vor Ablauf ihres Asylverfahrens an Integrations- und Sprachkursen der Bundesregierung teilzunehmen. Dazu wäre eigentlich eine Gesamtschutzquote von mehr als 50 Prozent nötig, die die Afghanen heute noch nicht erreichen (derzeit: 39 Prozent). Schon seit November hatte Hubertus Heil das für die sogenannten „Berufssprachkurse“ ermöglicht, die sein Haus finanziert. Nun folgt ihm die neue SPD-Kollegin aus dem Kabinett, was die Integrationskurse angeht.

Die neue Bundesregierung will die auf verschiedenen Wegen und aus diversen Ländern – aus Afghanistan und anderen – nach Deutschland einwandernden Afghanen offenbar forciert integrieren. Die mahnenden Worte des Vordenker-Preisträgers Bassam Tibi sollen da keine Rolle mehr spielen. Er hatte 2015 festgestellt, dass nur ein Teil der hier lebenden Muslime sich überhaupt in die deutsche Rechtsordnung integrieren lässt, während ein anderer Teil auch heute noch in „Parallelgesellschaften“ existiert, die weder mit dem deutschen Arbeitsmarkt noch mit den Werten und Gesetzen des Landes viel am Hut haben. Diese mutigen Worte lobte auch Michael Wolffssohn in seiner Laudatio auf Tibi von 2019. 

Tibis Warnungen, einst viel gehört in Deutschland, spielen für die abgetretene und erst recht die neue SPD-geführte Bundesregierung keine Rolle. Sie schlägt sie in den Wind und erhöht die „Bleibeperspektive“ der fast ausschließlich muslimischen Afghanen, die durch die verstopften Rückführungswege schlagartig auf 100 Prozent gestiegen ist. Dazu liefert das Bundesministerium des Innern (BMI) noch einen Sinnspruch der Ministerin: „Menschen, die zu uns kommen und absehbar bleiben, müssen wir frühzeitig integrieren.“

Damit ist auch der aufmerksamen Presse bedeutet: Bitte keine Fragen mehr danach, ob die Menschen legal oder illegal nach Deutschland gekommen sind, ob sie dem Land nützen oder nicht, ihm am Ende vielleicht sogar Schaden zufügen. Für Faeser ist die Öffnung der Integrationskurse für alle nicht anerkannten afghanischen Asylbewerber ein schon „längst überfälliger Schritt“. Legal, illegal, mir doch egal.

Derzeit stehen die Afghanen an der dritten Stelle der deutschen Asylstatistik, mit zuletzt zwischen 2.400 und 2.700 Asylanträgen pro Monat.

Und natürlich hebt Faeser hervor, dass „wir Woche für Woche Menschen aus Afghanistan evakuieren“. Wir, die Bundesregierung – wir, Deutschland. Das ist der alte Rebus. Es geschieht jedenfalls, stellt aber nur einen Teil der afghanischen Zuwanderung dar, wobei aber auch längst nicht mehr klar ist, nach welchen Kriterien die Evakuierung erfolgt. Das ursprünglich harte Kriterium, „Ortskraft“ zu sein, ist schon seit Beginn der Kabul-Flüge aufgeweicht und durch die rhetorischen Kniffe der verschiedenen Mitspieler und Ministerien zersetzt worden: „Ortskräfte“ sind heute letztlich alle, die die Bundesregierung dazu erklären will. Die Schutzgewährung ist dadurch auch an dieser Stelle zu einem Akt hoheitlicher Willkür geworden. Übrigens konnten die „Ortskräfte“ ohnehin schon von Ausnahmen profitieren. Laut Ex-Innenminister Horst Seehofer müssen sie keinen Asylantrag stellen, sondern werden dem „dringenden humanitären Schutz“ laut § 22 des Aufenthaltsgesetzes unterstellt.

 Migrationsabteilung befürchtet Präzedenzfall: Keine „objektiven Kriterien“

Mit der Absichtserklärung des Bundesministeriums des Innern ist die Asylentscheidung im Grunde hinfällig geworden. Man könnte sich das aufwendige Verfahren auch sparen. Das würde provisorische Zelte in Aufnahme- und Registrierungszentren überflüssig machen und die drangvolle Enge in den Einrichtungen aller Bundesländer mindern. Wäre das nicht ein Antrag für die Grünen-Fraktion im Bundestag? Zumindest eine Aktuelle Stunde könnte man dazu veranstalten.

Für die Öffnung der Integrationskurse hatte sich zuvor schon Arbeitsminister Hubertus Heil stark gemacht, der einzige SPD-Minister, der auch in der neuen Regierung an gewohnter Stelle weitermachen kann. Er nannte die mit der Entscheidung verfolgten Ziele sinnvoll und machbar zugleich: „Mit den Integrationskursen und den Berufssprachkursen öffnen wir Türen in deutsche Unternehmen und Betriebe und damit auch in unsere Gesellschaft.“ Schon seit dem 15. November, also noch während der auslaufenden Amtszeit von Angela Merkel und Horst Seehofer, räumte er die Bedenken des Arbeitsministeriums ab und nahm für alle Afghanen eine gute Bleibeperspektive an. Ein „Präjudiz“ für den Ausgang eines Asylverfahrens sei diese Annahme aber nicht, beharrt das Innenministerium nun in seiner Pressemitteilung. Doch die Asylentscheidung verliert dadurch weiter an Wert, was offenbar nicht alle im Ministerium gut finden.

Ex-Innenminister Horst Seehofer hatte dem erleichterten Zugang seine Zustimmung verweigert. Bis heute skeptisch zeigt sich laut der Deutschen Presseagentur die Migrationsabteilung des BMI, in der die Sachkenntnis in diesen Fragen versammelt sein dürfte. Dort versteht man nicht, auf welcher Grundlage und „anhand welcher objektiver Kriterien“ die Prognose gestellt wurde, dass künftig mehr als 50 Prozent der Afghanen in Deutschland Schutzstatus bekommen werden. Nun ist der Anstieg der Schutzquote – zusammengesetzt aus zustimmenden Asylentscheidungen, eingeschränktem Flüchtlingsschutz und Abschiebeverbot – aufgrund der politischen Rahmenentscheidungen schon jetzt abzusehen. Insofern ist ein anderes Gegenargument der Migrationsabteilung vielleicht noch wichtiger: das des Präzedenzfalls für andere Herkunftsländer.

Außenamt: Visa-Vergabe an Afghanen „am laufenden Band“

„Derzeit ist der Zugang zum Integrationskurs grundsätzlich an einen rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt geknüpft. Personen während des Asylverfahrens haben nur ausnahmsweise Zugang zu Integrationsmaßnahmen.“ So heißt es auch in der Pressemitteilung des Innenministeriums. Nun soll aber „auf der Grundlage einer belastbaren Erwartung“ von einem „rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt“ ausgegangen werden. Hier wird also erneut eine rechtliche Regel aufgeweicht und die Ausnahme zur Regel gemacht.

Bisher lag die Gesamtschutzquote bei Afghanen bei 39 Prozent. Durch die Öffnung der Integrationskurse zeigt die neue Bundesregierung ihre Lust, diese Quote, sozusagen auf Biegen und Brechen, um weitere elf Prozentpunkt zu erhöhen. Das sollte ihr gelingen, bleibt aber eine politisch getroffene und auch zu verantwortende Entscheidung. Seit dem 1. Dezember werden wieder Entscheidungen zu Asylanträgen von Afghanen getroffen, nachdem diese wegen der unklaren Lage rund um den westlichen Truppenabzug ausgesetzt worden waren.

Derzeit warten laut dpa noch rund 20.000 Afghanen auf die Möglichkeit einer Einreise nach Deutschland. Bis zum Jahresende 2021 war schon gut ein Viertel dieser Zahl durch regelmäßige Flüge nach Deutschland gekommen. Die Visa-Vergabe erfolgt noch immer „am laufenden Band“, wie das Auswärtige Amt mitteilte. 5.600 Visa hat man bisher, noch unter der Führung von Heiko Maas ausgestellt. Viele Tausende dürften unter der neuen Hausherrin Annalena Baerbock folgen. Und, wie gesagt, ist damit nur ein Teil der Zuwanderung, die gleichsam „legalisierte“, bezeichnet. Der größere Teil dürfte auch im Fall der Afghanen weiterhin die illegale Einwanderung über die deutschen Grenzen betreffen – ein weiterer Zuständigkeitsbereich der Innenministerin Faeser, die sich derweil eher mit dem „Durchgreifen“ gegen demokratischen Protest beschäftigt.  

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