Wie ein Weltengesicht erscheint Donald Tump in dieser Woche auf dem Spiegel-Cover. Eine Erscheinung, die sich immer dann erhebt, wenn sie eine wichtige Botschaft an die Menschheit hat. Die Stimme der Vernunft, die Stimme des Retters in der Not. Sein Gesicht wirkt konzentriert.
Erwartbar böse: Trump
Diese Bildsprache war gewiss nicht so gewollt. Sie ist das Gegenteil von dem, was der Leser unter der Überschrift „Der kranke Kandidat“ zu lesen bekommt. Die Autorengruppe, angeführt von Chefredakteur Klaus Brinkbäumer beklagt Unfairness, Lüge und Wut statt inhaltlicher Auseinandersetzung – und zahlt es selbst mit gleicher Münze heim, indem sie Trump zum Unsympathler runterschreibt. Trump sei „vulgär“, „überbräunt“, „so aufgedunsen der ganze Mann, so lächerlich die blondierte Frisur …“ und so weiter und so fort. Menschenverachtender kann man jemanden wohl nicht portraitieren.
Und überhaupt: Allen ginge es wohl besser, wenn nicht vor 131 Jahren ein junger Bursche mit Namen Friedrich Trumpf aus der Pfalz ausgewandert wäre, um in der neuen Welt sein Glück zu suchen, das er in Deutschland nicht fand, und dessen Enkel namens Donald Trump nie das Licht der Welt erblickt hätte. Wie entspannt könnte dann heute die Weltgemeinschaft sein. Notabene: Die Episode der Auswanderung des Großvaters liest sich fast so, als ob das pfälzische Weinörtchen selbst schon die Keimzelle alles Bösen in sich getragen hätte. Sind wir wieder in der Zeit der Sippenhaft angekommen?
Wer in der Titelgeschichte Informationen über die Führungsqualitäten von Trump erwartet, sucht vergebens.
Da wäre dem Spiegel Gelassenheit zu empfehlen, wie sie Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in seinem Interview zur Preisverleihung der Ludwig-Erhard-Stiftung beweist: Er erinnert daran, dass Ronald Reagan, der Schauspieler, seinerzeit ähnlich wütend niedergeschrieben wurde – und dann doch eine ganze Reihe von Dingen auf die Reihe gebracht habe. Vor allem im Verhältnis zu damaligen Sowjetunion, aber auch bei der Wiedervereinigung habe Reagan, der Schauspieler, „Erstaunliches geleistet“. Trotzdem ist Schröder eher für Clinton, aber die Welt geht auch mit Trump nicht unter. Aber für Ausgewogenheit muss man wohl Ex-Kanzler sein, und nicht Spiegel-Redakteur.
Der gefallene Kaiser als Gegenstand des Leitartikels
Franz Beckenbauer, ehemals die Lichtgestalt schlechthin und vom SPIEGEL in der Sommermärchenaffäre zunächst allzu lange verschont, ist der Redaktion sogar einen Leitartikel wert. Die Deutschen hätten es nicht anders gewollt als belogen zu werden. Halt! Für wie dumm hält man die Menschen eigentlich? Es waren die Medien, die aus dem Münchner einen Heiligen gemacht haben – und alle, ausnahmslos alle, haben an der Legende mitgestrickt. Dem „Fußvolk“ ist doch schon seit sehr langem klar, dass in einem Sport, in dem die Grundzähleinheit der Währung an der Spitze bei Spielern, Trainern und Funktionären siebenstellig ist, keiner karitativ unterwegs ist. Beckenbauer wusste sich sehr früh zu vermarkten, beim Spielergehalt, bei seinen Medienkolumnen und –auftritten, mit Werbeverträgen. Die Medien haben ihn groß gemacht, nicht nur, weil er ein überragender Fußballspieler war, sondern auch, weil sich das Investment lohnen musste, in Zuschauerzahlen, in Auflage. Und fast genauso früh wusste man, wenn man es wollte, dass die „Lichtgestalt“ alles andere als eine solche war, dass er nur sein eigener Maßstab war.
Analysen zu den Eventualkanzlern Wolfgang Schäuble und Horst Seehofer füllen einige Seiten, von denen nach der Lektüre nichts haften bleib. In Brüssel sichern sich Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz gegenseitig die Macht ab. Eine fatale Liaison, die scheinbar und kurzfristig für Stabilität sorgen mag, aber das Alte nur zementiert. In Zeiten, in denen sich die Bürger von Europa als Gemeinschaft abwenden, braucht es erkennbar neue Ideen um zu überzeugen, eben nicht das Apparatedenken, für die Schulz und Juncker stehen.
Armutsgerede ist Angstmacherei?
Für Ablenkung sorgt da erst das Spiegel-Gespräch mit Gerhard Cremer „Stoppt den Niedergangsdiskurs!“ Die deutsche Debatte über Armut, so der Generalsekretär des Caritasverbands, sei populistische Angstmacherei. Darüber verliere man den Blick auf die wirklich Bedürftigen.
Das Highlight der aktuellen Ausgabe ist für mich das Portrait von Bernhard-Henri Lévy von Nils Minkmar „Der Letzte seiner Art“. Der engagierte französische Intellektuelle bereist seit Jahrzehnten die Krisengebiete der Welt, legt die Finger in die Wunden, tritt vehement für die europäischen Errungenschaften wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ein, was ihm nicht nur Zuspruch beschert. Minkmar gibt nicht zuletzt auch sehr persönliche Einblicke in die Beziehung zu Lévi.
Hut ab vor Neo Rauch, der im SPIEGEL-Gespräch „Meine eigene Folterkammer“ die deutschen Befindlichkeiten seziert. „Seine Bilder erforschen die Seelenlage eines wankenden Landes“, heißt es im Teaser. Seine Worte auch, möchte man hinzufügen: „Die, die rational sind , bilden eine Minderheit… Wider besseres Wissen verneigen sich große Teile, vor allem der Linken, vor einer frauenverachtenden, todesverachtenden Wüstenreligion.“
Dirk Kurbjuweit hat Adam Zamoyski gelesen („Phantome des Terrors. Die Angst vor der Revolution und die Unterdrückung der Freiheit 1789 – 1848“) und findet darin viele Parallelen zur Jetztzeit. Ein Stück über Postfaktisches, Paranoia, über Gerüchte, Spekulation und Verschwörungstheorien damals und heute.