Tichys Einblick
Wenn dem Staat das Geld ausgeht

Deutsche „Kulturschaffende“ müssten erst lernen, sich am Zuschauer zu orientieren

Die Bundesregierung muss sich darauf einstellen, künftig über weniger Geld verfügen zu können. Das wird viele Lebensbereiche verändern. Etwa die Kultur. Die hängt stark am staatlichen Tropf. Ohne dessen Geld wäre sie kaum überlebensfähig. Tendenzen, die es schon heute gibt, würden sich noch verstärken.

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Zu den besten Werken des deutschen Films gehört ein Interview mit dem amerikanischen Regisseur Billy Wilder. Hellmuth Karasek und Volker Schlöndorff hatten den deutschen Muttersprachler Wilder in seinem Büro in Los Angeles besucht. Herausgekommen ist die sechsteilige und sehenswerte Reihe „Billy, How did you do it“. Der Höhepunkt: Wegen des Einsatzes des Liedes „Isn’t it romantic“ von Cole Porter in dem Film „A foreign affair“ stellt Schlöndorff eine Frage. Die ufert zur Elegie aus:
„Eine Kamerafahrt durch Berlin… die Stadt… die Geliebte… das zerstörte Berlin… die am Boden liegende Geliebte…“ Dann endet der Autorenfilmer Schlöndorff und bettelt Wilder um Zustimmung an: Ob er an all das gedacht habe, als er an dieser Stelle dieses Lied eingesetzt habe? Nein, kontert der Hollywood-Regisseur. „Das war anders.“ Sie hätten an dieser Stelle irgendein Lied gebraucht und an dem hätten sie die Rechte gehabt. „Es hat uns nichts gekostet.“

Es ist ein goldener Moment. Der amerikanische Film, der vom Publikum gewollt und bezahlt werden muss, trifft auf den deutschen Film. Eine Kopfgeburt. Ein Kunstprodukt. Das aus eigener Kraft nicht leben könnte. Nur ein Viertel seiner Produktionskosten könne ein durchschnittlicher deutscher Kinofilm selbst einspielen, vermutet das Fachportal Heise.de. Und selbst diese Rechnung ist noch schmeichelhaft. Zum einen wird der Schnitt durch die wenigen populären Produktionen etwa von Til Schweiger nach oben gezogen. Zum anderen fallen Lizenzgebühren von ARD und ZDF auch unter das Viertel selbst aufgebrachten Geldes. Unterm Strich ist also auch das Geld, das staatlich eingetrieben und nicht privat verdient wird.

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Wie viel staatliches Geld in den deutschen Film fließt, ist schwer zu sagen. Die Zahl der Fördertöpfe ist groß: Medienboard Berlin-Brandenburg, „FilmFernsehFonds Bayern“ oder Medienstiftung Nordrhein-Westfalen – um nur einige zu nennen. In den guten Jahren ist das Geld reichlich geflossen: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat allein der Deutsche Filmförderfonds im Jahr 2019 über 100 Millionen Euro verteilt. 2015 war der Etat auf 75 Millionen Euro erhöht worden – in den Jahren nach der Bankenkrise wollte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung den Fonds noch auf 30 Millionen Euro eindampfen.

Das Geld geht an Filme, die sich nicht am Publikum orientieren. Gute Chancen auf Zuschüsse haben Werke, die für aktuelle politische Initiativen werben. Die Zusammenfassungen der Drehbücher, die dabei rauskommen, lesen sich entsprechend wie Parodien. Etwa „Kuschel Cat“: „In einer fiktiven Internet-Lovestory soll die einsame Kindfrau Maria (28) die Freundin des Influencers und Katzenmenschen Kuschel Cat (25) spielen, bringt das Kartenhaus der virtuellen Identitäten aber ungewollt zum Einsturz, als die Liebe echt wird und Kuschel Cat dadurch er selbst“, heißt es auf der Seite des Fonds.

Oder „Sterben lernen“. Dazu der Filmfonds: „Um das Vertrauen eines Großdealers zu gewinnen, soll sich der verdeckte Ermittler Robert als Partner der trans* Frau Leni ins Milieu einschleusen lassen. Für den schwulen Robert wird die Liebesgeschichte zur Tortur… Es ist ausgerechnet der ausspionierte Dealer, der Robert dazu bringt, sich den widersprechenden Gefühlen zu stellen.“ Für „Sterben lernen“ hat der staatliche Filmfonds 500.000 Euro ausgegeben.

So entsteht ein Kulturbetrieb, der ohne staatliches Geld nicht leben kann. Das gilt für den Film – trifft aber noch viel stärker aufs Theater zu: 159,88 Euro kostete 2019 in hessischen Theatern eine Karte – den Staat. Denn so viel erhalten die hessischen Theater laut Statistischem Bundesamt als „Betriebskostenzuschuss“ für jede verkaufte Karte. In Mecklenburg-Vorpommern waren es 112 Euro – in den anderen Ländern mehr. Im selbst nicht aus eigenen Kräften lebensfähigen Saarland zahlte der Staat 156,65 Euro pro Theaterkarte.

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Welche Mitarbeiter zieht ein solcher Kulturbetrieb an? Laut Heise.de sind es in der Mehrheit Bürgerkinder. Sie stammten demnach aus Familien, in denen es kein Problem ist, wenn der Nachwuchs sein eigenes Geld nicht selbst verdienen kann. Wer mit dem goldenen Löffel im Mund nachdenkt, kommt dann auch auf schwule Figuren, die als Partner einer Transsexuellen im Milieu ermitteln und deren Gefühlschaos von verständnisvollen Großdealern aufgelöst wird.

55 Prozent der Schauspieler verdienen in Deutschland weniger als 20.000 Euro im Jahr, hat der Bundesverband Schauspiel mitgeteilt. Zwar würden sie pro Drehtag um die 1.000 Euro erhalten – aber viele kämen halt im Jahr nicht über fünf Drehtage hinaus. Deswegen sind Serien beliebt unter Schauspielern, vor allem Seifenopern. Hier würden manche ein Grundgehalt erhalten, etwa 3.000 Euro im Monat und dazu Gagen für Drehtage. Sodass beliebte Seriendarsteller auf über 10.000 Euro im Monat kommen. Gutverdiener wie Jan Josef Liefers, der laut Promiflash 200.000 Euro pro Tatort erhält, bilden im Kulturbetrieb die absolute Ausnahme.

Schauspieler sind zudem meist Freiberufler. Von den schmalen Gagen müssen sie auch die Sozialabgaben leisten. Sodass sie zum Prekariat gehören – es sei denn, sie schaffen es in den sicheren Hafen einer Serie oder eines lukrativen ARD-Formats wie dem Tatort. Entlassen werden müssen sie nicht – es reicht, sie nicht mehr neu zu besetzen. So entstehen nachvollziehbare Abhängigkeiten. Nicht vom Publikum. Sondern von ARD, ZDF oder den diversen Fördertöpfen.

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Wollen Schauspieler wohnen oder essen gehen, müssen sie sich anpassen. Ausraster wie die von Klaus Kinski sind heute derart undenkbar, dass sie bis zum Erbrechen wiederholt werden. Ein Projekt wie die Lindenstraße, in der gegen den herrschenden Zeitgeist gebürstet wird, ist ebenso undenkbar. Privates politisches Engagement wird für Schauspieler so zur Business-Entscheidung: Hannes Jaenicke etwa lebt ganz gut von seinem Image als „Umweltaktivist“, wie ihn Wikipedia nennt. Mit seiner Präsenz in Talkshows oder Filmen wie „Retter der Meere“ oder Dokumentationen wie „Hannes Jaenicke im Einsatz für den Lachs“ kommt er gut über die Runden.

Nun ist „Umweltaktivist“ eine lebensgefährliche Rolle. In China. Oder Russland. In Deutschland ist man damit im Einklang mit der Bundesregierung. Mit der aktuellen wie mit der letzten. Was aber, wenn Kulturschaffende eine Meinung äußern, die nicht mit der Regierungssicht übereinstimmt? So wie etwa die Schauspieler, die unter dem Hashtag „#allesdichtmachen“ im Frühjahr die deutsche Corona-Politik bespiegelten.
Wie sich dieses Engagement auf ihre Karrieren auswirkt, lässt sich noch nicht abschließend bilanzieren.

Doch während Jaenicke als Experte zu amerikanischer Innenpolitik oder weltweiter Klimapolitik im Fernsehen dauerpräsent ist, halten sich für sie die Einladungen als Experten in Grenzen. Und gegen Liefers’ nächsten Tatort rief der SPD-Politiker Garrelt Duin im Frühjahr zum Boykott auf. Für Liefers eine durchaus gefährliche Situation, als WDR-Rundfunkrat gehört Duin zu denen, die jene Fleischtöpfe verwalten, von denen sich auch Liefers ernährt.

Wie sieht nun eine Kulturlandschaft aus, aus der sich der Staat als Geldgeber zurückziehen muss? Wird die Kunst demokratischer und der Künstler frecher? Eher nicht. Der Film würde noch mehr zu einer Sache von Oberschicht-Kindern werden, für die es kein Problem ist, wenn auch noch die 20.000 Euro an eigenen jährlichen Einnahmen wegfallen. Es könnte zu einigen Desperados kommen, die viel riskieren können, weil sie nicht viel zu verlieren haben – die dürften es aber schwer in dem Geschäft haben.

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Auf Filme wie „Sterben lernen“ müssten die Zuschauer künftig zwar verzichten – allerdings waren das eh nie so viele. Vielleicht springen an Stelle des Staates auch Milliardäre oder ihre Stiftungen ein. Demokratischer wäre das nur bedingt. Denn dann gilt erst recht: Wer bezahlt, bestellt. Auch würden die Töpfe von ARD und ZDF noch wichtiger für Filmemacher. Als Werke sind weitere Filme zu erwarten, von denen nichts im kollektiven Gedächtnis bleibt, außer dass es in Cornwall schön ist. Das Theater würde ohne staatliches Geld kaum überleben. Und ob der Film mehr „Keinohrhasen“ produzieren könnte, um seine Flops querzufinanzieren, bleibt zweifelhaft. Die Orientierung am Zuschauer müssten deutsche ‚Kulturschaffende‘ erst lernen.

Karasek und Schlöndorff haben Wilder auch danach befragt, was der von den Filmen von Rainer Werner Fassbinder halte. Seine Antwort: Er könne sich nicht vorstellen, dass ein Mann von der Arbeit nach Hause komme und seiner Frau zurufe, Schatz lass uns ins Kino gehen, der neue Fassbinder soll gut sein. Wobei Wilder, als er älter wurde, nicht mehr auf der Höhe der Zeit war und die Zuschauer ausblieben. Als seine Werke schlechter wurden, drehte Wilder in Europa. Wegen der Filmförderung. Wobei Europas Medienpolitiker auch mal ein großes Publikum mobilisieren können – als Garrelt Duin den Tatort boykottiert wissen wollte, haben sich diesen über 14 Millionen Zuschauer angesehen.

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