Andreas Gassen hat sich im Zuge der COVID-Krise zu einer Art Anti-Lauterbach gemausert. Wie Lauterbach legte Gassen seine Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ab. Lauterbach wurde 1963 im rheinischen Birkesdorf bei Düren geboren, Gassen 1962 in Köln. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Lauterbach konzentrierte sich auf Gesundheitsökonomie, während Gassen im Marienkrankenhaus in Düsseldorf-Kaiserswerth als Chirurg und Rheumatologe arbeitete. Später war er in einer Gemeinschaftspraxis tätig.
Lauterbach trat zuerst der CDU, anschließend der SPD bei und suchte die Nähe zur Politik. Gassen besitzt bis heute kein Parteibuch. Seit 2005 sitzt Lauterbach als Abgeordneter im Bundestag, Gassen wird 2014 und 2017 zum Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gewählt. Der Vorwurf in Medien und sozialen Netzwerken, der neue Gesundheitsminister habe nie als praktizierender Arzt gearbeitet, prallt bei Gassen ab.
Lauterbach eskaliert, Gassen relativiert
Der KBV-Chef hat in den letzten zwei Jahren dort einen zurückhaltenden, wenn nicht relativierenden Ton angeschlagen, wo Lauterbach eskalierte. Im Frühjahr 2020 sprach er bei COVID-19 von einer „eher medial“ denn „medizinisch relevanten Infektion“. Im August 2021 plädierte er dafür, zum Individualschutz zurückzukehren, statt durch staatliche Maßnahmen Druck auszuüben: „Die Mehrheit der Bevölkerung hat genug von kaum noch verständlichen und nicht mehr wirklich begründbaren Maßnahmenpaketen.“
Zeter und Mordio von Medien und Zero-Covid-Anhängern waren dem Kassenärzte-Chef immer sicher. Nun hat Gassen neuerlich den Unmut auf sich gezogen. Er lehnt nicht nur die Strafen beim Verstoß gegen eine allgemeine Impfpflicht ab – nein, Gassen lehnt auch die Impfpflicht als solche ab. „Man kann den Leuten nicht ernsthaft eine Impfpflicht auferlegen und dann feststellen, dass die Wirkung des Impfstoffes immer nur ein paar Monate hält”, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Solange es zu den wesentlichen Fragen keine abschließende Antwort gibt, sollte sich die Politik mit Impfpflicht-Ankündigungen bedeckt halten, sonst werden einerseits unerfüllbare Erwartungen geweckt und andererseits unnötig gesellschaftliche Konflikte geschürt.“
Aufbau des Impfregisters würde „Monate, vielleicht Jahre“ dauern
Gassen betonte, dass es wichtiger sei, alle Anstrengungen auf „Impfen und Boostern“ zu legen. Das Thema Impfpflicht nannte er ein „großes, unbeherrschbares Rad“. Als Problem betrachtete der KBV-Chef vor allem das zentrale Impfregister. Die KBV halte eine „zeitnahe Erstellung“ eines solchen Registers für „unrealistisch“. Der Aufbau würde „Monate, vielleicht auch Jahre dauern”, erklärte Gassen. Und: „Wenn am Ende des Tages nicht nennenswert mehr Leute geimpft werden, bringt die Impfpflicht außer massivem Ärger, aggressiven Demonstrationen und einer Klageflut nicht viel.”
Und zuletzt räumt Gassen ein: Die Ziele, die man sich mit der Impfpflicht gesteckt habe, nämlich Herdenimmunität oder Ausrottung, seien „ohnehin nicht zu erreichen“. Zero-Covid bleibt demnach eine Utopie, die Krankheit durch staatliche Mittel unbeherrschbar. Für eine Gesellschaft, die zwischen Angst vor dem Tod und staatlichem Machbarkeitswahn changiert, ist das eine Hiobsbotschaft, die man letztlich nur durch (medialen) Tod des Überbringers wieder vergessen machen kann.