Tichys Einblick
Ehrenretter des Ethikrates

Mitglieder des Ethikrates blamieren die politischen Auftraggeber

Vier Abweichler im Deutschen Ethikrat kritisieren nicht nur dessen Empfehlung zur Impfpflicht, sondern letztlich dessen Funktionsweise als Moral-Lieferant für die Regierenden.

Prof. Dr. Steffen Augsberg, einer der vier Abweichler im Deutschen Ethikrat

IMAGO / Jürgen Heinrich

Wer moralisch fragwürdige Entscheidungen zu treffen hat, trägt eine schwere Verantwortung. Das ist die Bürde der Macht. Auf der Suche nach Entlastung von dieser Bürde hat die deutsche Politik mit dem Deutschen Ethikrat (sein Vorgänger war 2001 bis 2008 der „Nationale Ethikrat“) ein praktikables Werkzeug gefunden. 

Seine Funktion für die höchste Politik in Deutschland gleicht derjenigen von Unternehmensberatungen zum Beispiel bei Entlassungsrunden: Der Vorstand kann sich hinter ihrer Expertise verstecken, wenn der Belegschaft der nächste Personalabbau-Plan präsentiert werden muss. Und so wie ein Unternehmensvorstand selbst die Berater auswählt, ist auch der Ethikrat tatsächlich wohl nicht so unabhängig wie im Ethikratgesetz behauptet, denn seine Mitglieder werden je zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Bundestag vorgeschlagen. Und da die Bundestagsmehrheit bekanntlich die Regierung stützt, ist auch diese Aufteilung längst kein Garant für Neutralität. 

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Der Ethikrat gehört zu jenen Institutionen, die die politischen Eliten in säkularisierten Gesellschaften als eine vermeintlich höhere Instanz geschaffen haben. Sie sollen ersatzweise liefern, was zuvor die Kirchen lieferten: Rechtfertigungen der Macht und ihrer Entscheidungen. Im Cicero hat Alexander Marguier dafür die schöne Formulierung „Moral auf Bestellung“ gefunden. Eine Funktion, die in der Klima- und der Corona-Politik auch „die Wissenschaft“ generell übernehmen kann, aus der missliebige Stimmen dann bisweilen diskursiv ausgeschlossen werden. Gefragt sind solche Institutionen besonders dann, wenn die Regierenden mit ernsthaftem Widerstand der Bevölkerung rechnen, wenn sie also fürchten, dass ihre Verantwortung als Bürde so schwer wird, dass sie sie zu erdrücken droht. 

Und so war es denn auch keine große Überraschung, dass der Ethikrat mit der Mehrheit seiner Mitglieder entschieden hat, dass eine allgemeine Corona-Impfpflicht moralisch gerechtfertigt sei. Allerdings müsse die Durchsetzung dieser Pflicht „unter Anwendung körperlicher Gewalt“ ausgeschlossen bleiben, und: „Die politischen Akteure und staatlichen Instanzen sollten bei der Umsetzung der Impfpflicht bewusst darauf hinwirken, Frontstellungen zwischen geimpften und nicht geimpften Menschen zu vermeiden.“

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Überraschend und für die regierenden Impfpflicht-Forderer sicherlich höchst unwillkommen ist nun, dass vier der Ethikrat-Mitglieder öffentlich aus der Reihe tanzen. Die Peinlichkeit, die sie in einem Beitrag in der FAZ bereiten, betrifft aber letztlich parteienübergreifend den gesamten politischen Betrieb, denn sie hinterfragen die „Rolle wissenschaftsgeleiteter Politikberatung bei der politischen Entscheidungsfindung“. 

Die drei Juristen Frauke Rostalski, Stephan Rixen und Steffen Augsberg sowie die Juniorprofessorin für islamische Theologie, Muna Tatari, fordern nicht nur, „die Unsicherheiten stärker zu betonen“, und kritisieren, „dass die aktuelle öffentliche Debatte in einem Tunnelblick verfangen ist, der eine weitreichende („allgemeine“) Impfpflicht als alternativ- und problemlos erscheinen lässt“. 

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Die Abweichler stellen auch das ganze Prozedere der bestellten Moral bloß, indem sie von „politisch gewünschten Entscheidungen“ und der „Einbeziehung des Deutschen Ethikrats zum informellen, verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens“ schreiben. Ja, sie warnen sogar von der „Ur-Versuchung von Politikberatungsgremien“, nämlich, „dass autonomer Rat sich politischen Wünschen zuweilen geschmeidig anzupassen versteht“.

Da haben offensichtlich vier Mitglieder des Ethikrates die Vorgabe der Unabhängigkeit und die Kriterien der ethischen Erörterung wirklich ernst genommen und auf die eigene Institution angewendet, also in ihrer Funktion als Mitglieder einer Institution diese Institution selbst und ihre Schöpfer kritisiert. Das ist – auch ganz unabhängig vom konkreten Thema Impfpflicht – vorbildlich im Sinne wissenschaftlicher Freiheit zur Kritik. Die darf nicht vor der eigenen Institution und erst recht nicht vor mächtigen Auftraggebern einknicken.

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