Es wirkt schon fast putzig, wenn ein beamteter Staatssekretär wie Werner Gatzer (SPD) zur Feder greift und kurz vor Weihnachten in der FAZ einen Gastbeitrag platziert, mit dem er die verbreitete Kritik am Nachtragshaushalt seines Ministers Christian Lindner (FDP) zu kontern versucht. Dass sowohl die Rechnungshöfe der Länder und des Bundes, aber auch renommierte ehemalige Bundesverfassungsrichter wie Paul Kirchhof die Umwidmung von Kreditermächtigungen, die zur Bewältigung der Corona-Pandemie gedacht waren, als verfassungswidrige Umgehung der grundgesetzlichen Schuldenregel einstufen, ist Gatzer in seinem Beitrag keine Erwähnung wert.
Das Bundesfinanzministerium hat sich vorausschauend mit Kreditermächtigungen vollgepumpt
Gatzer ist allerdings ein sehr vorausschauender Diener. Der Mann, der sich in der FAZ selbst zu den „Architektinnen und Architekten der Schuldenregel im Grundgesetz“ zählt, hat bereits mit dem Haushaltsplan 2021 und dem 1. Nachtragshaushalt unter seinem damaligen Minister Olaf Scholz zu einem Zeitpunkt Vorsorge für die neue Legislaturperiode getroffen, als noch niemand mit einer Ampel-Regierung unter dem heutigen SPD-Kanzler gerechnet hat. Denn Gatzer sorgte mit seiner hausinternen Kalkulation dafür, dass die Kreditermächtigungen in den Regierungsplänen außerordentlich üppig etatisiert wurden. Bereits der Haushaltsplan 2020, der erste Etat unter Pandemie-Notfallbedingungen, sah samt eines Nachtragsplans eine Kreditermächtigung von 217,8 Milliarden Euro vor. Tatsächlich beansprucht wurden aber laut Jahresabschluss 2020 „nur“ 130,5 Milliarden Euro.
Trotzdem sorgte Gatzer im Bundesfinanzministerium dafür, dass der Bundestag noch Ende April 2021 mit einem ersten Nachtragshaushalt für das laufende Jahr die Kreditaufnahmeermächtigungen des Bundes auf 240 Milliarden Euro erhöhte. Das war ein dreistelliger Milliarden-Euro-Anstieg gegenüber dem Abschluss des Krisenjahres 2020. Selbst der Spiegel spekulierte damals darüber, dass sich das SPD-geführte Finanzministerium einen ordentlichen Schluck über den Durst genehmige, um Schuldaufnahme-Reserven für die neue Bundesregierung anzulegen.
Skizziert Gatzer die Verteidigungsstrategie für das Bundesverfassungsgericht?
Gatzers Gastbeitrag in der FAZ liest sich wie die Grobskizze der Verteidigungslinie der Bundesregierung, mit der sie sich gegen das von der Unions-Bundestagsfraktion angestrengte Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Wehr setzen will. Denn die Union hält diese Umwidmung von Corona-Schulden für andere Zwecke als die Pandemie für einen Bruch der grundgesetzlichen Schuldenregel. Doch der Staatssekretär argumentiert ungeniert wie folgt: Viele Investitionen seien wegen der Corona-Pandemie in den vergangenen beiden Jahren auf der Strecke geblieben.
Doch wer die sozialpolitische Ausgabenfreude von Sozialdemokraten und Grünen kennt, kann dieser Argumentation nicht über den Weg trauen. Allein schon Hubertus Heil wird mit seinen sozialpolitischen Reformvorschlägen vor allem für eine Aufblähung der konsumtiven Ausgaben sorgen. Und seine noch unbekannte Grünen-Kabinettskollegin Anne Spiegel, die Familienministerin, kündigt bereits großspurig weitere Sozialleistungen wie eine bezahlte Familienzeit nach der Geburt an, von der im Koalitionsvertrag nichts zu lesen ist. Das ist Volksbeglückungspolitik auf Kredit! So konterkarieren Regierungsmitglieder das wohlfeile Versprechen des Werner Gatzer, die neue Regierung bekenne sich zur Schuldenregel des Grundgesetzes, als reines Lippenbekenntnis.