Tatsächlich: Karl Lauterbach ist an diesem Donnerstag nicht bei Maybrit Illner zu Gast. Ob er krank ist? Oder mit Angelegenheiten der nationalen Sicherheit zu kämpfen hat? Man weiß es nicht, für die treue Illner-Zuschauerschaft ist das sicherlich ein Grund zur Beunruhigung.
Stattdessen sind der neue SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und der möglicherweise neue Vorsitzende der CDU Friedrich Merz zu Gast. Wenn Sie gehofft haben, dass das neue Duo vielleicht dazu führte, dass man die beiden einst großen Volksparteien wieder klarer voneinander unterscheiden könnte, muss ich Sie leider enttäuschen. Friedrich Merz meldet zwar in einem Nebensatz Bedenken zur Impfpflicht hinsichtlich der massiven Freiheitseinschränkungen an – das größte Problem an der Maßnahme sieht er allerdings bei der Umsetzung. Der Staat wisse ja gar nicht, wer denn alles geimpft wäre und wer nicht. „Spanien hat ein nationales Impfregister“, so Merz. Im Bundestag hat Merz ja jüngst immerhin schon für eine Impfpflicht für Pfleger gestimmt.
Illner hat sofort erkannt, was der SPD-Mann will und treibt es weiter. Im Grunde habe es bei allen großen Entscheidungen Kritiker gegeben, meint Illner dazu – „von Minderwerten“. Sie korrigiert sich schnell auf „Minderheiten“, aber jeder hatte einen kurzen Einblick in ihre Gedankenwelt. Also nochmal zusammengefasst: Diese kleine Gruppe da vorne, diese minderwerten Hetzer da, die gefährden den angeordneten Zusammenhalt!
1928 zur Versachlichung der Impfdebatte
Den unterhaltsamsten Auftritt des Abends lieferte Daniel Cohn-Bendit, einer der Väter der Grünen. Einst forderte er als marxistischer Studentenführer 1968 in Paris den Sturz der Regierung de Gaulle, heute fordert er in müden Worten eines verängstigten Spießbürgers die allgemeine Impfpflicht. Er sagt: „Die Impfpflicht ist auch etwas, womit der Staat, wissenschaftlich, evidenzbasierte Politik durchsetzt. Mit der Impfpflicht sagt man: Ende der Debatte. Man kann es nicht mehr infrage stellen.“ Aha, Infragestellen verboten. Fassen wir zusammen: Diese kleine Gruppe da vorne, diese minderwerten Hetzer da, die gefährden mit ihrer ganzen Infragestellung und Debatte den Zusammenhalt!
Es wäre nicht nur eine Blamage für Cohn-Bendit gewesen, es ist wie eine perfekte Karikatur der Impfpflicht-Lover – keine Rücksicht, kein Interesse an Fakten, kein Nachdenken, wenn es für die gute Sache geht. Das konnte das ZDF so natürlich nicht zulassen: Geistesgegenwärtig verweigert ihm Illner den Vortrag mit den Worten „Mmmh, später vielleicht“, ZDF-Moderatorin Bettina Schausten, ebenfalls zu Gast, reißt das Wort an sich. Und Friedrich Merz erklärt Cohn-Bendit mit Gesten und Geflüster die Lage. Der lehnt sich etwas fassungslos mit Blick auf die schönen Zeilen vor ihm zurück. Es wird die einzige Einsicht an diesem Abend bleiben.