Spätestens nach dem Hören der Frühnachrichten im Radio oder beim Blick auf den Info-Screen gibt es für die Deutschen nur einen Aufreger: die erneute Panne bei der Versorgung mit Impfstoffen. Sichtbar geknickt musste in den Spätnachrichten der Tagesschau der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach eingestehen, dass er selbst von dieser neuen Organisationspanne überrascht wurde. Von der Bundesregierung herrschte ansonsten Funkstille zu diesem Desaster.
Diejenigen, die Zeit hatten, um neun Uhr die Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz zu verfolgen, warteten allerdings vergeblich auf eine Reaktion von oberster Stelle. Ganz im Gegenteil: Fast beschwörend rief der Kanzler die Deutschen zu den Zusatzimpfungen auf und die Impfverweigerer, endlich Einsicht zu zeigen. Hätte man das Gelächter draußen im Lande über diesen Slapstick live in den Plenarsaal übertragen können, hätten wohl die Tische der Parlamentarier vibriert. Die Bürger mussten sich einfach verhöhnt gefühlt haben. So gesehen, ging der Scholz’sche Auftritt glatt daneben. Auch ansonsten lohnt es sich, das in seiner Grundsatzrede zu Beginn der Legislaturperiode Nicht-Angesprochene zu thematisieren.
Kein Wort zur zunehmenden Polarisierung und damit erneute Ignoranz gegenüber einem gesellschaftlichem Klima, das – insbesondere gefördert durch die öffentlich-rechtlichen Medien – dazu geführt hat, dass mittlerweile zwei Drittel der Deutschen nach gleich mehreren Allensbach-Umfragen Bedenken haben, die eigene Meinung aus Furcht vor Nachteilen öffentlich zu äußern. Der Bogen spannt sich hier von der Genderei über das Verhältnis zur deutschen Nation, bis hin zur angeblich toxischen Männlichkeit im Umgang mit dem anderen Geschlecht, genannt „Sexismus“. Wenn die Politik diese Stimmungen weiterhin als rechts-außen abtut, trägt sie selbst zur Polarisierung im Lande bei. Scholz hätte gestern Gelegenheit zur Eröffnung einer tatsächlichen gesellschaftlichen Debatte gehabt. Doch auch dazu wieder keine Silbe.
Ebenso verblieb sein Bekenntnis zu einer Beschleunigung der Planungsvorhaben der Wirtschaft, also der Abbau von Bürokratie im Vagen stecken. Dabei gibt es doch ein gutes Vorbild: In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung galt beispielsweise für Bauvorhaben in den neuen Bundesländern ein eigens geschaffenes Beschleunigungs-Gesetz. Ohne dieses wären die insgesamt 17 Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ des, zu unrecht vergessenen, damaligen Verkehrsministers Günther Krause niemals Wirklichkeit geworden. In kurzer Zeit wurde die marode Infrastruktur der ehemaligen DDR, ohne die Behäbigkeit westdeutscher Hürden der Bürokratie, auf ein modernes Niveau gebracht.
Warum nicht etwas mehr Mut, Herr Bundeskanzler!
Einen anderen Bereich, nämlich den der Familienpolitik, sparte Scholz völlig aus, ebenso wie die Migration in die Sozialsysteme im Unterschied zur Zuwanderung dringend gesuchter Fachkräfte, die zukünftige Finanzierung des Rentensystems wie auch die Bundeswehr, die sich über ein Bekenntnis zu ihrer Stärkung sicher gefreut hätte. Auf fruchtbaren Boden dürften wohl zu Recht die sozialpolitischen Ankündigungen gefallen seien. Besonders sticht hier die geplante Grundsicherung für Kinder heraus. Wie und woher die notwendigen finanziellen Mittel organisiert werden sollen, blieb allerdings offen. Fast rührend fiel die Feststellung der Regierungschefs auf, dass auch in weiterer Zukunft das Automobil ein gebräuchliches Verkehrsmittel in Deutschland sein werde.
Überraschend deutlich fiel das Bekenntnis zur westlichen Wertegemeinschaft, repräsentiert durch NATO und EU, bei besonderer Betonung der Freundschaft mit den USA, aus. Auffallend auch, wie stark der Bundeskanzler seine persönlichen Beziehungen zu US-Präsident hervorhob. „Einen deutschen Sonderweg wird es mit mir nicht geben“, so Scholz wörtlich. Für einen beachtlichen Teil seiner eigenen Partei, angeführt vom Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, dürfte das schwer zu verdauender Toback sein. Konflikte vorprogrammiert!
Der Gesamtauftritt des Merkel-Nachfolgers war vom Habitus her dem Angela Merkels nicht unähnlich. Allerdings waren die Botschaften präziser formuliert, und am Ende gab es sogar eine pathetische Anwandlung: „Die Deutschen können selbstbewusst auf ihr Land blicken und haben die Kraft, die großen Herausforderungen zu meistern und aus Krisen herauszufinden“ – lange nicht gehörte Töne!
In seiner unmittelbaren Erwiderung versprach CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus eine Opposition der ausgestreckten Hand. Wo Gemeinsamkeiten möglich sind, werde man sie auch mitgestalten. In seiner, in weiten Teilen kämpferischen Rede, zeichneten sich auch erste Elemente der zukünftigen Positionierung der CDU ab. So betonte Brinkhaus die Rolle der Familie in der Gesellschaft, das christliche Menschenbild der Union und das Eintreten für den Schutz des Lebens „von seinem Beginn an bis zu seinem Ende“. Konkret gemeint haben dürfte der Oppositionschef die Absicht der Ampel-Koalition, Schwangerschaftsabbrüche endgültig von der Strafbarkeit zu befreien. Dies dürfte nur ein Konfliktfeld auf dem Gebiet der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung sein, die die nächsten Jahre prägen wird.