Tichys Einblick
Olaf Scholz gibt bekannt

Karl Lauterbach wird Gesundheitsminister: Konsequent ist nur seine Selbstdarstellung

Karl Lauterbachs Popularität basiert darauf, dass selbst Konservative manchmal sagen: Wenigstens ist er konsequent. Doch Lauterbach lag in der Pandemie ziemlich oft daneben – er ist nur ein Meister darin, sich rückwirkend reinzuwaschen. Ein sehr deutsches Phänomen.

IMAGO/photothek

Bei einem Lanz-Auftritt am 18. November sagte Karl Lauterbach: „Es ist klar seit ein paar Monaten, dass wir alle Erwachsenen boostern müssen.“ Es ist ein sehr typischer Satz von dem Mann, den Olaf Scholz am Montagmorgen als neuen Bundesgesundheitsminister vorstellte. Denn es ist nicht nur eine medizinische Feststellung, sondern gleichzeitig ein Vorwurf gegen alle anderen. Markus Lanz fragt ihn ungläubig: „Seit ein paar Monaten?“ – und lacht entgeistert. Bei ihm und den Zuschauern bleibt hängen: Wie können die alle so blöd sein? Hätte man doch nur auf Karl Lauterbach gehört. Lauterbach ist Meister dieser Selbstinszenierung. Er ist gleichzeitig erster Kritiker der Regierung und dennoch ihr Sprecher. Er profitiert vom urdeutschen Vertrauen nach oben, ohne sich die Hände schmutzig zu machen.

Blöd nur, dass derselbe Lauterbach zwei Wochen vor dieser Sendung noch eine ganz andere Meinung vertrat. Am 31.10.2021 sagte Karl Lauterbach der Welt: „Eine Booster-Impfung für alle wäre jetzt auf keinen Fall sinnvoll.“ Was angeblich klar war, war ihm selbst also auch nicht klar gewesen.

Lauterbachs Popularität hat ihn ins Amt gebracht, Scholz verkauft die Ernennung bei der Vorstellung auch als Geschenk an das Volk. Maybrit Illner hatte ihn in ihrer Sendung vor wenigen Tagen erst als „Gesundheitsminister der Herzen“ vorgestellt. In wenigen Sätzen kündigte der von Scholz designierte Minister Lauterbach dann eine konsequente Gesundheitspolitik an: Corona werde länger bleiben, als viele denken.

Doch nicht alles ist bei Lauterbach so durchdacht, es gibt viele Widersprüche. Am 23. Februar sagte Lauterbach etwa: „Es gibt Experten, die ich gar nicht kenne, die glauben, dass die Gefährdung aus saisonalen Gründen abnimmt. Das wird alles nicht geschehen. Das Problem wird sich nicht durch das bessere Wetter lösen.“ Lauterbach widerspricht hier renommierten Wissenschaftlern wie Klaus Stöhr oder Hendrik Streeck nicht nur; er macht sie lächerlich. Am 15.06. twittert der gleiche Lauterbach: „Spannende und überraschende Studie zur Saisonalität der SarsCov2 Übertragung. Könnte bei über 40 % liegen. Bisherige Studien gaben viel geringere Werte. Ich ging auch von weniger aus. Das wäre gute Nachricht. Weil Lockerungen im Sommer den Erfolg der Impfung nicht gefährden würde.“ Doch seine Fans nehmen ihm das nicht übel. Saisonalität ist erst lächerlich, dann kommt sie völlig „überraschend“.

Der Wissenschaftler Lauterbach nimmt es manchmal auch nicht so genau mit den Fakten. Bei Maybrit Illner etwa sagte er im Februar, die Covid-Patienten auf den Intensivstationen seien im Durchschnitt 47 bis 48 Jahre alt. „Die Hälfte von denen stirbt.“

Zu dem Zeitpunkt gab es keine aktuellen Daten – Anfang Mai wies das RKI diese Zahlen erstmals aus. Sie zeigten: Tatsächlich waren die Covid-Intensivpatienten im Durchschnitt weit über 60 Jahre Jahre alt. Auf Anfrage des BR erklärte Karl Lauterbach, dass es sich bei seiner Angabe lediglich um eine Schätzung gehandelt habe, die er aus persönlichen Gesprächen und eigenen Eindrücken abgeleitet habe. Auch dass „die Hälfte von denen“ sterbe, ist frei erfunden.

Wie bei der Impfpflicht?
Bei Illner sagt Lauterbach über Nicht-Geimpfte: „Die haben wir doch eh schon verloren“
Es tat seinem Ruf keinen Abbruch. Er saß weiter wöchentlich in den Talkshows, und im Netz wuchs seine Fangemeinde. Unter dem Motto „Wir wollen Karl!“ wird nicht nur seine Kompetenz gefeiert, sondern auch seine Art, seine Person als solche. Wenn in der Talkshow ein bisschen Widerspruch kommt, twittert die Gemeinde: der arme Lauterbach, wie viel Dummheit und Ignoranz er ertragen muss.

Entstanden ist dadurch eine Art Mythos des einsamen Helden, der sich für die Gemeinschaft opfert, ohne dass die es ihm dankt. Verbildlicht wird dieses Image durch jenes Foto der SPD-Bundestagsfraktion, auf dem alle dichtgedrängt stehen, ohne Maske. Nur ganz an der Seite, wie ausgestoßen, steht Lauterbach, er trägt sogar eine FFP3-Maske. Der einsame Kämpfer für die gute Sache, ausgeschlossen von der eigenen Partei. Selbst manche Konservative können sich darum manchmal zu der Aussage hinreißen lassen: Wenigstens ist der Lauterbach konsequent. Bei Bild Live spinnt er das Märchen dann weiter. Mit Scheinargumenten scheint er seine Kollegen zu verteidigen, in Wahrheit denunziert er sie. „Ich habe die Maske dort routinemäßig getragen, weil es natürlich auch Vorschrift ist“, so Lauterbach. Die Fraktionskollegen hätten aber nichts falsch gemacht. Das ist die virtuose Kommunikation des Karl Lauterbach.

Andere Fotos zeigen auch Lauterbach zuvor an anderer Stelle ohne Maske im Bundestag.

Erst gegen, nun für die Impfpflicht
Karl Lauterbach, gedreht und gewendet
Auf die Spitze treibt er diese Virtuosität in einem Tweet aus dem Dezember 2020 über den Corona-Tod eines Berliner Lehrers: „Der bestürzende Tod des jungen Lehrers sollte nicht zu Schuldzuweisungen führen sondern zur Handlung. Ich bleibe dabei: Präsenzunterricht plus Lüften reicht nicht, Fallzahlen gehen nach Öffnung der Schulen dann sofort wieder hoch.“ Merke: Keine Schuldzuweisungen bitte, aber mit mir wäre das im Unterschied zu euch natürlich nicht passiert.

Lauterbach warnt immer vor allem – daher hat er oft recht. Aber er liegt genauso oft mit seinen Warnungen völlig daneben. Er ist nicht wirklich konsequent – nur ein völliger Selbstdarsteller und daher sehr deutscher Popstar. Mit der medialen Öffentlichkeit im Rücken hat er sich durchgesetzt – gegen den Willen der eigenen Partei. Möglich wurde das auch, weil niemand dieses Amt so wirklich selbst besetzen wollte. Ein Gesundheitsminister hat am Ende wenig zu entscheiden und ist das Maskottchen einer Politik, die andere beschließen. Spahns Absturz erklärt sich auch dadurch.

Doch zu Lauterbach könnte die Rolle passen. Wenn er eines beherrscht, dann ist es die Inszenierung. Vorerst könnte das also gutgehen – zumindest für ihn selbst und die künftige Bundesregierung. Aber die Stimmung für den „Gesundheitsminister der Herzen“ könnte rasch umschlagen, wenn es nicht mehr um die Inszenierung geht, sondern um Entscheidungen und Ergebnisse. Denn der Gesundheitsökonom Lauterbach hat immer nur seiner eigenen Ansicht nach nachträglich recht gehabt.

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