Viel war von der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur bisher nicht zu hören. Und manchem Politiker dürfte dies auch ganz recht gewesen sein. Schließlich hatte der Bundestag im Juni mit Evelyn Zupke eine kaum bekannte ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin in das neue Amt gewählt – als Trostpflaster für die Auflösung der Stasi-Unterlagen-Behörde.
Ob das Kalkül der Abgeordneten aufgeht, ist nicht mehr sicher. Nach nicht einmal fünfmonatiger Amtszeit hat die neue Opferbeauftragte dem Bundestag kürzlich einen Bericht übergeben, der es in sich hat. Mitten in den Koalitionsverhandlungen listete das sechsseitige Dokument zahlreiche Missstände im Umgang mit den Opfern der SED-Diktatur auf.
Der unaufgefordert abgegebene Bericht zeigt vor allem das Versagen der CDU. Denn in deren Zuständigkeitsbereich lag das Thema, seitdem Angela Merkel vor 16 Jahren Bundeskanzlerin wurde. Nicht einmal das, was die Koalitionsparteien selbst beschlossen hatten, wurde von der verantwortlichen Staatsministerin Monika Grütters umgesetzt.
Parlamentsbeschlüsse ignoriert
Mehrfach hatte der Bundestag zum Beispiel entschieden, ein zentrales Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft zu errichten. Bereits 2015 forderten Union und SPD die Bundesregierung auf, eine parlamentarische Initiative für das Denkmal „an einem zentralen Ort in Berlin vorzubereiten und zu begleiten“. Nachdem vier Jahre nichts geschehen war, verlangten sie 2019, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben und dem Bundestag regelmäßig einen Sachstandsbericht vorzulegen.
Dem Bericht der Opferbeauftragten ist zu entnehmen, dass das Denkmal nicht der einzige unerledigte Auftrag des Parlaments ist. So wurde die Regierung bereits vor zweieinhalb Jahren beauftragt zu prüfen, ob Gesundheitsschäden von SED-Verfolgten nicht nach einem ähnlichen Verfahren anerkannt werden können wie die von NS-Opfern. Da viele ehemalige DDR-Häftlinge bis heute unter den Folgen ihrer Haft leiden, haben sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente – doch nur theoretisch. Denn während bei NS-Opfern die Tatsache ausreicht, dass sie in Haft waren, müssen SED-Opfer den kausalen Zusammenhang zwischen Krankheit und Gefängnis beweisen – womit sie in 90 Prozent der Fälle scheitern. Auch dazu stellt die Opferbeauftragte fest, dass die alte Bundesregierung „kein Prüfergebnis vorgelegt“ hat. Genauso wenig wurde das 2019 beschlossene Kompetenzzentrum zur Begutachtung und Behandlung von Langzeitfolgen bei SED-Opfern geschaffen.
Ein weiterer Auftrag lautete, die Einrichtung eines Härtefallfonds für SED-Opfer zu prüfen. Einen solchen gibt es zwar in einigen ostdeutschen Ländern, so in Berlin, Brandenburg, Sachsen und bald auch in Thüringen. Doch wer in einem westdeutschen Bundesland lebt, bekommt keinerlei Unterstützung, wenn er sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet. Die Opferbeauftragte kommt auch hier zu der Feststellung: „Eine Berichterstattung durch die Bundesregierung zur Prüfbitte des Deutschen Bundestages ist in der zurückliegenden Wahlperiode nicht erfolgt.“ Gleiches gilt für den Beschluss, die Schaffung eines Forschungszentrums über die Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu prüfen.
Verschleppte Probleme
Außer den unerledigten Aufträgen spricht der Bericht der Opferbeauftragten aber noch weitere Probleme an, die von der alten Bundesregierung nicht geregelt wurden. So wird Personen, die in einem der gefängnisähnlichen DDR-Jugendwerkhöfe untergebracht waren, oft die Rehabilitierung verweigert. Dasselbe gilt für Opfer des DDR-Staatsdopings. Wurde der Antrag einmal abgelehnt, wird häufig die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt – selbst wenn sich die Rechtslage für die Betroffenen inzwischen verbessert hat.
Die Opferbeauftragte kritisiert darüber hinaus, dass die ohnehin geringfügigen Hilfen für mittellose SED-Verfolgte ab dem Renteneintritt von 240 Euro auf 180 Euro sinken. Bei der Überprüfung der Bedürftigkeit wird zudem das Einkommen des Lebenspartners mitgerechnet. Angesichts der zunehmenden Inflation sorgen sich viele ehemalige politische Häftlinge schließlich um ihre Opferrente von derzeit 330 Euro, die – anders als bei einer normalen Rente – gesetzlich eingefroren ist.
Auch Grütters’ designierte Nachfolgerin Claudia Roth von den Grünen ist bisher nicht durch besonderes Engagement für SED-Opfer hervorgetreten. Im Gegenteil: Als es 1990 um den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik ging, marschierte sie hinter einem Transparent „Nie wieder Deutschland“. Noch Jahre später kritisierte sie, dass der DDR damals das System der Bundesrepublik aufgezwungen worden und die Wiedervereinigung „eher ein Anschluss“ gewesen sei.
Immerhin hat der Bericht der Opferbeauftragten schon Wirkung gezeigt: Im neuen Koalitionsvertrag steht, dass die Beantragung und Bewilligung von Hilfen für Opfer der SED-Diktatur erleichtert werden soll, insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden. Auch die Opferrente soll dynamisiert und ein bundesweiter Härtefallfonds eingeführt werden.
Manchen ehemaligen Stasi-Häftling dürfte das an das Jahr 1998 erinnern, als die SPD schon einmal einen Bundeskanzler der CDU aus dem Amt vertrieb. Rot-Grün vereinbarte damals im Koalitionsvertrag, die Entschädigung des DDR-Unrechts zu verbessern. Ein Jahr später wurde die Haftentschädigung für kommunistisch Verfolgte verdoppelt.