Brauchen wir eine andere Regierung? Ansichtssache. Unbestritten ist: Wir brauchen eine bessere Opposition. Ja-Sagen reicht nicht.
Wettbewerb belebt das Geschäft – er ist ein geniales Entdeckungsverfahren, weil er ständig neue Lösungen produziert, die er auch wieder infrage stellt: So wie neue Bestzeiten im Sport sofort wieder geschlagen werden. Das gilt für Kunst wie Kultur, für Wirtschaft wie Wissenschaft und selbstverständlich auch für die Demokratie. Die Opposition muss es besser wissen wollen als die Regierung; ohne Wettbewerb herrscht die Friedhofsruhe von Diktaturen.
Schade, dass die Opposition im Deutschen Bundestag – SPD und Grüne – aufgegeben hat, die Regierung vor sich herzutreiben. Beispiel Euro-Rettung: Vermutlich ist es in der Demokratiegeschichte einmalig, dass die Regierung kaltschnäuzig ihre Vorhaben als „alternativlos“ hinstellt und die Opposition lauthals zustimmt – das mutet so seltsam an wie Kälber, die ihrem Metzger applaudieren, ehe sie sich alternativlos in ihr Schicksal ergeben. Dabei ist Politik die Kunst, Alternativen zu suchen und Tauglichkeit und Kosten abzuwägen. Alternativen gibt es immer, außer beim Blinde-Kuh-Spiel, wo man sich freiwillig durch das Wohnzimmer schubsen lässt.
Aber das Einzige, was diese Opposition zu einer fragwürdigen Politik vorzutragen hat, ist, dass es ihr damit gar nicht schnell genug gehen kann. Das haben wir auch in der Energiepolitik erlebt. Da fährt die Regierung einen Achterbahnkurs mit doppeltem Überschlag – und die Opposition jubelt über eine Vielzahl von schlampig zusammengeschusterten Gesetzen, deren Unstimmigkeiten und unzureichende Umsetzung für die Wirtschaft und die Arbeitnehmer dieses Landes allmählich brandgefährlich werden: Der Strom kommt nämlich nicht vom Reden und Ja-Sagen, sondern aus Kraftwerken und Stromleitungen, die wir gerade nicht bauen. Und die Opposition? Klatscht Beifall.
Diese Geschichte wiederholt sich. Da will die Bundesregierung wenigstens einmal die Steuern zurückgeben, die sie im Zuge der beschleunigten Inflation zusätzlich abkassiert hat. Mehr Netto vom Brutto traut sie sich ja nicht, aber nach vielen Jahren der Steuererhöhung will sie uns wenigstens ein Jahr mehr vom Netto lassen. In einer normalen Demokratie würde die Opposition aufschreien und einen echten Steuernachlass einfordern.
Nicht so diese Opposition. Sie kämpft für noch weniger Netto vom Brutto – als sei es ihr einziges Ziel, es der Regierung leicht zu machen, denn mit vollen Taschen regiert es sich ja auch kommoder. Früher hat sich ja die SPD für den Wohlstand der Arbeitnehmer eingesetzt – heute kämpft sie nur noch für solche, die in Gestalt griechischer Beamter und Pensionäre daherkommen.
Da passt es, dass als Kanzlermacher der Opposition der frühere Bundeskanzler und Weltökonom Helmut Schmidt auftritt. Von ihm stammt der Satz, dass fünf Prozent Inflation besser seien als fünf Prozent Arbeitslosigkeit. Am Ende hatte er sieben Prozent Arbeitslosigkeit, sieben Prozent Inflation und den Grundstock der heutigen Staatsverschuldung gelegt. Das ist wirklich ein tolles Programm, und für die Bundesregierung ist so eine Opposition der Schuldenaltkanzler wie ein Sechser im Lotto – für das Land leider ein Totalschaden.
Warum sind die so zahnlos? Benehmen sie sich so artig, damit sie mitregieren dürfen? Man sieht die Herren Steinmeier, Gabriel und Trittin wie Tramper im Regen an der Autobahn stehen, eifrig winkend mit einem durchweichten Pappschild, während die dunklen Regierungslimousinen an ihnen vorbeibrausen und sie – nicht mitnehmen. Wozu auch?
Oder ist es die Bundesregierung, die der Opposition die Themen wegnimmt, sie wie bei der Mindestlohndebatte in der Umarmung erstickt, indem sie auch die absurdesten Forderungen vorwegnimmt? Es macht die Sache nicht besser, wenn sich die Regierung auf das Niveau der Opposition herablässt – denn so wird die politische Mitte freigegeben.
Man spürt in diesem Land, dass der Wettbewerb, der Streit um die bessere Lösung, freiwillig aufgegeben wurde.
(Erschienen auf Wiwo.de am 12.11.2011)