„Hart aber Fair“ fand am Montagabend im XXL-Format statt: Fast zwei Stunden will Frank Plasberg mit seinen Gästen das leidige Impfthema besprechen. „Nur ja keinen Zwang – ist unsere Politik beim Impfen zu feige?“ lautet die suggestive Fragestellung schon im Titel der Sendung. Den Beginn machen „knallige Zahlen“ über den angeblichen Unterschied bei der Inzidenz zwischen Ungeimpften und Geimpften. Aufgrund des Nicht-Testens von Geimpften sind diese Zahlen als Vergleichsmasse zwar wertlos – aber mit ihnen lässt sich gut Meinungsmache betreiben. Und darum, das merkt man, geht es Plasberg hauptsächlich in seiner Diskussion mit der Tübinger Ärztin Lisa Federle, der Philosophin Svenja Flaßpöhler, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), dem Journalisten Georg Mascolo und dem Immunologie-Professor Dr. Carsten Watzl. Der Moderator macht sich bald zum Teil der Diskussion: Um sie auf den „richtigen Pfad“ zu bringen, liefert Plasberg Suggestivfrage auf Suggestivfrage. Mit der Frage, ob Frank-Ulrich Montgomery mit seiner Formulierung von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ nicht eine „einfache Wahrheit“ sage, geht es los.
„Stimmt schon“, meint Ministerpräsident Stephan Weil. Die 20 Prozent der Ungeimpften, so der Politiker, versetzen die Gesellschaft „in Angst und Schrecken“; das könne man ihnen „nicht durchgehen lassen“, das müsse „Konsequenzen haben“, poltert der SPD-Mann wütend los. Ob das Land nicht in Geimpfte und Ungeimpfte gespalten sei, fragt Plasberg. Darauf Weil: „Wir haben einen Unterschied. Die Einen haben sich sehr vernünftig verhalten und müssen sich keine Vorwürfe machen, und die Anderen tun so, als wenn diese Pandemie nichts mit ihnen zu tun hätte!“ Aus dem Mann spricht der pure Hass auf Ungeimpfte – vom Gesichtsausdruck bis zu der Art, wie er über „die Anderen“ spricht. Auf eine Impfpflicht angesprochen muss Weil einräumen, dass diese am Ende eben doch verfassungsrechtlich bedenklich sei. „Was aber praktisch auf dasselbe hinauslaufen würde“, sei 2G. Das fände er „sehr gut“, denn schließlich müsse man die Geimpften schützen. Direkt liefert Plasberg Schützenhilfe mit einem Clip eines ehemaligen Bundesrichters, der einer Impfpflicht auch aus rechtlicher Perspektive seinen Segen erteilt.
Doch nun trifft der Moderator seine Erzfeindin für diesen Abend. Svenja Flaßpöhler ist Philosphin und Chefredakteurin eines Philosophie-Magazins. Sie legt direkt mit einem Redeschwall los, der Vorangegangenes einordnet. Sie halte es für fatal falsch, Menschen aufgrund ihrer individuellen Impfentscheidung zu kriminalisieren. Die Folgen politischen Versagens in der Corona-Krise würden in einem „Akt grandioser Projektion auf die übertragen, die von ihrem Recht Gebrauch machen, sich nicht impfen zu lassen“, stellt Flaßpöhler fest. Sie wehre sich auch dagegen, „die Ungeimpften“ als eine dumm-dumpfe Masse darzustellen. Es gäbe vielfältige Motive, warum sich Menschen gegen eine Impfung entscheiden – das sei individuelle Entscheidungsfreiheit. Deswegen könne man die Menschen nicht „wegsperren wie Kinder“. Die Politik der Bevormundung habe dazu geführt, dass die Menschen Verantwortung verlernen würden – sie werde ihnen seit 20 Monaten „regelrecht abtrainiert“, meint die Philosophin. Auf Plasbergs Frage, ob Druck ein probates Mittel zum Impfen sei, reagiert Flaßplöher energisch: „Sie haben ein völlig anderes Demokratieverständnis als ich.“ Plasberg spreche von Bürgern wie von Kindern, auf die man Druck ausüben müsse. Das findet die Philosophin nicht angemessen.
„Wohlstandsverwöhnter weinerlicher Solidaritätsverweiger“
Man merkt: Flaßpöhler stört die sonst so traute Einigkeit im Bashing von Ungeimpften. Damit wollen die restlichen Teilnehmer plus Plasberg nun möglichst schnell fortfahren. Ärztin Lisa Federle erklärt kurzum: „Es muss sich keiner impfen lassen – aber dann müssen sie halt zuhause bleiben.“ Stephan Weil kündigt hochoffiziell das Einsperren an: Alles „läuft auf einen Lockdown für Ungeimpfte hinaus“, erklärt der Ministerpräsident. Doch Frau Flaßpöhler werden sie nicht los. „Sich auf ein absolutes Wissen zu beziehen, das dann der Politik das Handeln vorgibt – das halte ich wirklich für gefährlich“, krisitisiert die Philosophin die Corona-Politik. Es sei „zutiefst in einer liberalen Demokratie verankert“, dass Menschen sich auch (vermeintlich) unvernünftig verhalten dürften. Wenn man mit der Argumentation über „selbstverschuldetes Krankwerden“ beginne, sei man schnell in gefährlichen Fahrwassern. Weil und Federle verstehen Flaßpöhler an diesem Punkt bewusst falsch, werfen ihr vor, sie setze Rauchen und Motorradfahren mit dem Coronavirus gleich. Unbeirrt erklärt Flaßpöhler weiter: „Der Punkt ist doch: Dieses Virus betrifft die Menschen unterschiedlich.“ Also könne man keine Generalmaßnahmen verhängen. Das ist zu hoch für Stephan Weil. „Ich hab’s nicht kapiert“, erklärt der Ministerpräsident. Dieses fortwährende Nicht-Kapieren wird sich wahrscheinlich auch in den Ergebnissen der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz niederschlagen.
Nach 105 Minuten Plasberg-Talk bleibt – ja, was eigentlich? Zumindest Frank Plasberg ist klar für die Impfpflicht oder zumindest die weitgehende Segregation von Ungeimpften. Die Talksendung, die wohl eher ein Tribunal gegen Ungeimpfte werden sollte, wird dank Svenja Flaßpöhler unverhofft sehenswert. Dank ihr geht das Kalkül Plasbergs nicht auf. Eine Menge bemerkenswerter Sätze sind gefallen: Von Stephan Weils Charakterisierung der Ungeimpften als „Angst und Schrecken“ über Federles Absage an Demokratie und Freiheit. Besonders negativ zeichnet sich der Moderator aus, der von Suggestivfrage zu Suggestivfrage daran arbeitet, „Haltung“ zu zeigen. Ist in dieser Diskussion noch jede Meinung von Wert? Nein, befindet Plasberg. Für einen Talkshow-Journalisten ein bemerkenswertes Urteil.