Für den nach Kritik am Verfassungsschutzamt in Bedrängnis geratenen Politikwissenschaftler Martin Wagener zeichnet sich eine Wende ab. Er erhält Unterstützung durch eine Reihe von Professoren. Die kann er gut gebrauchen, denn für ihn kam es zuletzt knüppeldick: Nach einem „Sicherheitshinweis“ des Bundesamts für Verfassungsschutz (VS) hat der Bundesnachrichtendienst (BND) Ende Oktober seine Sicherheitseinschätzung herabgestuft. Das bedeutete, dass er das Gelände der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin nicht mehr betreten durfte. Das Hausverbot für den BND-Bereich kommt faktisch einem Lehrverbot gleich. Hinzu kam eine Kontaktsperre zu den Studenten, die er dort unterrichtet. Der Fall hat öffentlich größere Aufmerksamkeit erregt. TE berichtete.
Nun hat sich das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, ein Zusammenschluss von 600 Professoren und Professorinnen, zu seinen Gunsten eingeschaltet. Sie sehen „das aktuelle Vorgehen gegen Martin Wagener mit einer gewissen Sorge“, heißt es in einer Pressemitteilung des Vereins, der gegen Cancel Culture gegen unbequeme Wissenschaftler kämpft. Ein Eingriff in die Freiheit der Lehre dürfe „nur auf verfassungsfeindliche Tendenzen, nicht auf wissenschaftliche Kritik an der Behörde allein, wie sie jüngst von Wagener geäußert wurde, gestützt werden“. Vorsitzende des Netzwerks ist die Migrationsforscherin Sandra Kostner.
„Der Verfassungsschutz überschreitet sein Mandat“
Offenbar finden nicht wenige das Handeln der Behörde schwer nachvollziehbar. Tatsächlich ist die Wissenschaftsfreiheit in dem Fall akut gefährdet, wenn ein Professor wegen kritischer Äußerungen Hausverbot erhalt und temporär seine Lehrerlaubnis verliert.
Wagener, der seit 2012 an der Hochschule des Bundes lehrt, hat sich als scharfer Kritiker des Verfassungsschutzes einen Namen gemacht. Sowohl in der Neuen Zürcher Zeitung als auch in TE hat er auf fragwürdige Praktiken des Kölner Amtes hingewiesen. In einem Gastbeitrag für die NZZ monierte er im August: „Der Bundesverfassungsschutz lässt sich politisch instrumentalisieren.“ Er solle das Grundgesetz schützen. In der Praxis überschreite die Behörde aber regelmäßig ihr Mandat, wenn sie der Politik zu gefallen versucht, etwa beim „Kampf gegen rechts“. Das habe sich unter dem neuen VS-Präsidenten Thomas Haldenwang verschlimmert.
Was das Bundesamt für Verfassungsschutz offenbar besonders erregt hat, ist Wageners Buch „Kulturkampf um das deutsche Volk. Der Verfassungsschutz und die Identität der Deutschen“, das er im Juli im Olzog-Verlag herausgebracht hat (siehe auch hier). Laut einem Bericht des ARD-Magazins Kontraste soll der VS darin verfassungsfeindliche Aussagen erkennen. In TE (November-Heft) hat Wagener seine Kritik an der widersprüchlichen Einschätzung der Behörde über die „Identitäre Bewegung“ dargelegt.
Nach Informationen von TE von Mitgliedern des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit hat der Vorstand mehrere Gutachten von renommierten Rechts- und Politikprofessoren zu dem neuesten Buch von Wagener eingeholt. Diese Gutachten sollen Wagener entlasten, heißt es aus Kreisen des Netzwerkes. Allerdings wurden sie bislang nicht öffentlich gemacht. Warum die brisanten Gutachten unter Verschluss bleiben, ist nicht klar.
Wie Wagener auf seiner Homepage schreibt, hat inzwischen auch der Freiburger Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek ein Gutachten verfasst, in dem er zum Schluss komme, das Kulturkampf-Buch enthalte „keine verfassungsfeindliche Positionierung“. Murswieks Analyse habe er den internen Stellen von VS und BND weitergeleitet. Auch der VWL-Professor Fritz Söllner (TU Ilmenau), Autor eines Buchs zur Migrationspolitik, sowie mehrere andere Professoren haben sich hinter Wagener gestellt. Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld nannte ihn in einem Aufsatz in der Welt jüngst ostentativ „meinen guten deutschen Freund“.
Professor aus Dublin: „Das erinnert mich an die Situation in der DDR“
In einem offenen Brief an das VS-Amt fährt der am University College Dublin lehrende Mathematikprofessor Marcus Greferath schweres Geschütz auf. Er nannte darin den Fall Wagener „verstörend“. Er sehe ein „Risiko für die Freiheit von Forschung und Lehre“ im Allgemeinen. „Hinzu gesellt sich ein Problem mit der Sprache: Wer Begriffe wie Volk, Nation, Islamisierung, Überfremdung, und andere mehr im aktiven Vokabular führt, der steht in der Diskussion als vermeintlicher Rechtsradikaler bereits auf der moralisch benachteiligten Seite. Der Diskurs ist folglich nicht mehr herrschaftsfrei, er ist bedroht durch Sprech- und Denkverbote, nunmehr sogar durch Aktivitäten und Eingriffe von Bundesbehörden. Zusammenfassend denke ich, dass in Deutschland einer nach politischem Ausdruck strebenden Opposition die Sprache genommen wird durch systematische Kontamination von Begrifflichkeiten. Dies erinnert mich an die Situation der Dissidenten der späten DDR, die genau hierüber klagten!“
Martin Wagener selbst hat DDR-Vergleiche jedoch stets von sich gewiesen und betont, dass er die Bundesrepublik als einen funktionierenden Rechtsstaat und Demokratie ansieht, deren freiheitlich-demokratische Grundordnung er stets verteidigt habe.
Martin Wagener unterrichtet seit 2012 an der Hochschule des Bundes und ist Professor und Beamter auf Lebenszeit. Diese Professur wird man ihm kaum nehmen können, doch hat die Unterstellung des VS, der ihm einen Extremismus-Verdachtsetikett anklebt, schon jetzt seinen Ruf geschädigt.
Der unangepasste Professor ist schon mehrfach mit eigenen Meinungen an seiner Hochschule in Medien und Politik angeeckt. 2018 veröffentlichte er das Buch „Deutschlands unsichere Grenze. Plädoyer für einen neuen Schutzwall“, eine Mischung aus empirischer Darstellung über Grenzschutzanlagen auf der ganzen Welt und Kritik an Kanzlerin Merkels Politik der unkontrollierten Einwanderung, Migranten- und Flüchtlingsaufnahme. Mit seinen Forderungen für einen effektiven Grenzschutz kam er damals sogar auf Seite 1 der Bild-Zeitung.
Doch an seiner Hochschule wollten ihm einige aus dem Buch einen Strick drehen. Auch dazu wurde ein Gutachten eingeholt, doch kam der Autor, der Berliner Jurist Christoph Möllers, zu dem Schluss, dass das Buch keinen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstelle und dass es „ohne weitere Probleme zum Gegenstand der Lehre“ gemacht werden könnte. Allerdings müssten gegebenenfalls „diskriminierende Effekte“ auf Studenten mit Migrationshintergrund beobachtet und korrigiert werden. Auch das weist Wagener zurück. Er sei mit seinen Studenten mit Migrationshintergrund stets sehr gut ausgekommen und habe sie wo möglich gefördert.