Schon direkt nach dem „Guten Tag“ bei der heutigen Pressekonferenz nach einer Klausur seiner Regierung spricht der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angeblich „mit großer Ernsthaftigkeit und Seriosität“. Sein Jugendidol Franz Josef Strauß als Lateiner hätte ihm sagen können, dass beides exakt dasselbe ist. Und kurz darauf spricht er auch noch davon, dass die Corona-Zeit „uns alles abverlangt an … psychologischer Kraft und Feinfühligkeit“. Wie solche Södersche Feinfühligkeit zu verstehen ist, macht er auch gleich klar: „Vielstimmigkeit schwächt den Kampf gegen das Virus. Wir brauchen Einigkeit…“
Anders gesagt: Widerspruch, Kritik, Meinungs- und Interessenpluralismus, all diese Lästigkeiten soll es für die Regierenden in Corona-Zeiten nicht geben.
Warum? Söder behauptet: „Des is‘ jetzt ’ne Woche der Wahrheit, ’ne Woche der Wahrheit, die stattfindet. Vielleicht die letzte Chance, noch gegenzusteuern, bevor wir tatsächlich in eine völlig dramatische und unkontrollierte Lage kommen. Und Fakt ist: Je später man bei Corona ansetzt, desto schwieriger ist es dann und desto länger dauert der Prozess der Wellenbrechung und der entsprechenden Stärkung wieder.“
Die Wahrheit, die wirklich in dieser und schon den vorangegangenen Wochen immer deutlicher ans Licht kommt, ist allerdings eine, von der Söder nicht sprach: nämlich die von der Enttäuschung der Hoffnung, durch Impfen einen Ausweg aus der Pandemie und vor allem der damit verbundenen Politik zu finden. Die Impfung wird das Virus nicht aus der Welt schaffen, das ist längst nicht mehr zu verheimlichen, sondern mindert allenfalls seine Ausbreitung und vor allem seine Gefährlichkeit. Das ist nicht wenig und sicher auch ein Grund für den einzelnen Bürger, sich für die Impfung mit den neuartigen mRNA-Wirkstoffen zu entscheiden. Aber es ist eben nicht die Einlösung des Versprechens und des Zieles der Corona-Politiker mit Söder in der ersten Reihe, die Pandemie restlos niederzukämpfen.
Das endlich offen einzugestehen, und die politischen Maßnahmen ebenso wie die Erwartungshaltung darauf einzustellen, wäre notwendig, damit regierende Politiker in Bayern, Deutschland und anderswo wieder mit dem Begriff der „Wahrheit“ glaubwürdig auftreten könnten. Aber das würde bedeuten zu sagen: Wir haben uns geirrt, wir müssen unsere Politik revidieren. Diese Kraft bringt offenbar niemand in der politischen Klasse nicht nur Deutschlands, sondern des gesamten Westens, auf. Das ist eine der deprimierendsten Erkenntnisse nach bald zwei Jahren mit dem Corona-Virus.
Ähnliches gilt für den von Söder aber auch vielen anderen Corona-Politikern immer wieder raunend verwendeten Begriff des „Kontrollverlusts“. Er scheint ebenso Ausdruck einer verbreiteten Hybris, also eines Machbarkeitswahns zu sein. Doch was Söder als Drohung anmahnt, ist in Wahrheit selbstverständlich. Die Pandemie ist nicht unter Kontrolle der Politik. Sie war es nie. Eine Epidemie, die kontrolliert wird, ist keine. Das Virus macht die Bürger und die Politik mit den eigenen Grenzen bekannt. In Zeiten der grassierenden Hybris ist das eine Wahrheit, die nicht akzeptabel zu sein scheint.
Suggeriert wird mit der Schein-Warnung vielmehr die Notwendigkeit, im vermeintlichen Dienste des Kampfes gegen das Virus, andere Dinge zu kontrollieren, die dann wiederum mit dem Virus aktiv verwechselt werden: vor allem das Verhalten der Bürger. Oder, um nochmal Söder zu zitieren: „Vielstimmigkeit schwächt den Kampf gegen das Virus. Wir brauchen Einigkeit…“