Eine Mitgliederbefragung konnte das CDU-Establishment nicht verhindern. Jetzt überstürzen sich die Ereignisse und Kandidaturen. Auf dem Schachbrett der Macht an der Parteispitze rücken Figuren ins Rampenlicht, die die scheidende Kanzlerin Angela Merkel gerne als ihre politischen Erben sehen möchte.
Dazu gehören selbstverständlich nicht ihr erklärter Erzfeind Friedrich Merz und wohl auch nicht ihr Ex-Bundesminister und NRW-Wahlverlierer Norbert Röttgen. Vor allem Ersteren will die Kanzlerin auch im dritten Anlauf für den CDU-Vorsitz um jeden Preis erneut verhindern. Für diese Rankünen führt das Merkel-Lager jetzt andere Läufer ins Feld, um die Mitgliederentscheidung zu konterkarieren.
Es ist kein vorzeitiger Faschingsscherz: Merkels linke Hand, Kanzleramtsminister Helge Braun, wird ins letzte Gefecht gegen mögliche CDU-Umformer geschickt. Im Kampf um den Posten des neuen CDU-Chefs soll der Kanzlergetreue für die Merkelianer antreten. Das verkündet ein Sprecher seines hessischen Landesverbandes ausgerechnet am 11.11.2021. Helau!
Helge Braun will sich also vermutlich im Kanzlerauftrag um die Nachfolge von Parteichef Armin Laschet bewerben. Erst einen Tag später stellt er bei der virtuellen Vorstandssitzung seiner hessischen Landespartei die Gründe für seine Bewerbung vor. Offiziell nominiert ihn aber sein Heimatkreisverband in Gießen. Vom Landesverband getraute er sich offensichtlich nicht, sich vorschlagen zu lassen. Die Pressestelle der Hessen CDU wimmelt Nachfragen an den Kreisverband ab. Das sagt alles.
Es klingt in der Tat wie ein Elferratswitz: Merkels Diener Helge Braun soll die Union nach dem schlechtesten Bundestagswahlergebnis aller Zeiten mit nur noch 24,1 Prozent aus dem tiefsten Tal herausführen. Wenn diese Kandidatur nicht real wäre, könnte sie im Grunde nur zur bitteren Satire taugen. Welchen Sinn nun auch noch Brauns Kandidatur macht, weiß wohl nur Merkel im Kanzleramt allein. Ihr Bewerber Braun raubt bestenfalls Norbert Röttgen die Stimmen.
Ausgerechnet Muttis einstiger „Klügster“ Norbert Röttgen wolle für den Neuanfang der Christdemokraten stehen, erklärt er am Freitag vor der Bundespressekonferenz in Berlin. Seine erste Kandidatur im Januar 2021 gegen Laschet und Merz begründete Röttgen so: „Die CDU braucht eine grundlegende Erneuerung, um als Volkspartei bestehen zu bleiben. Ein ‚Weiter so‘ darf es nicht mehr geben.“
Doch die CDU hat auf „Weiter so“ mit Laschet und Merkel bei der Bundestagswahl gesetzt und selbst verdient verloren. Jetzt glaubt Röttgen: „Wenn ich nun heute und hiermit erneut meine Kandidatur für den Vorsitz der CDU erkläre, dann tue ich das aus dem gleichen Ansatz heraus. Mit der tiefen Überzeugung, dass es kein ‚Weiter so‘ gibt.“ Ah ja. Damit keine Zweifel aufkommen, schiebt der Wiederholungstäter für seine inzwischen dritte Kandidatur nach: „Ich gehe in die Wahl mit der Entschlossenheit, gewählt zu werden.“
Der grün angehauchte Röttgen wildert gleichzeitig noch im Revier seines stärksten Konkurrenten Merz. „Die CDU ist die Heimat für konservative Menschen in Deutschland. Anstand und Integrität sind keine altmodischen Kategorien, sondern Maßstäbe, an denen wir uns messen lassen müssen. Das konservative Prinzip ist in Zeiten des Umbruchs besonders wichtig“, behauptet der alles andere als konservative Außenpolitiker plötzlich bei seiner Presse-Vorstellung in Berlin.
Die Umfrageverluste wolle er wieder aufholen: „Die CDU muss Volkspartei in und für ganz Deutschland bleiben.“ Selbst in der CDU-Diaspora des Ostens will der Kandidat aus Nordrhein-Westfalen punkten. Ausgerechnet Röttgen.
Wenn zwei sich streiten, wartet der Dritte noch ab
Der dritte und wohl aussichtsreichste Bewerber für die Nachfolge von Laschet an der CDU-Spitze bleibt Friedrich Merz. Er hat sich clevererweise noch nicht direkt erklärt. Jedoch bestehen kaum noch Zweifel, dass der übrig gebliebene Frontmann des Wirtschaftsflügels zum dritten Mal für die Wahl zum CDU-Vorsitzenden antreten möchte. Doch auch Merz präsentiert sich für diese Aufgabe im Vorfeld schon als weichgespült. Wie zum Beweis äußert sich Merz zu einer möglichen Kandidatur nicht vor dem Wirtschaftsflügel seiner Partei, sondern vor dem Bundesverband der Lesben und Schwulen in der Union: „Ich neige dazu, das zu tun“, orakelt Merz in seiner Rede vor der LSU. Die Regenbogenfahnen sollen ihm zuwinken. An seinem 66. Geburtstag am 11.11. wollte Merz seine erneute Bewerbung noch nicht verkünden. Er wartet die Kandidaturen seiner Konkurrenten ab. Obendrein dürfte ihm hier der Faschingsauftritt von Helge Braun Recht geben.
Doch die übrig gebliebenen Konservativen in der Union sollten sich nichts vormachen: Eine klare Wende zu wertkonservativen Grundsätzen wird es auch mit einem CDU-Vorsitzenden Merz sicher nicht geben. Etwas rechts blinken und schön brav mittig links weiterfahren, so versucht die Union dann voranzukommen. Nur wohin und mit wem – mit dem grünen Original? Wer braucht schon so eine CDU-Kopie.
Ist Helge Brauns Kandidatur nur ein Ablenkungsmanöver?
Vielleicht ist die Nominierung von Braun auch nur ein raffiniertes Ablenkungsmanöver, weil weitere Merkel-Getreue im CDU-Bundesvorstand platziert werden sollen. Annette Widmann-Mauz, gerade erst als Bundestagsvizepräsidentin abserviert, aber noch im CDU-Präsidium sitzend, soll als Stellvertreterin dank Frauenbonus vorrücken. Gleichzeitig könnte so der Landesgruppenvorsitzende im Bundestag aus Baden-Württemberg, Andreas Jung, der ebenso zum linken Merkel-Lager gehört, ins Präsidium aufsteigen.
Für diese groß angelegte Postenaktion soll auch Merkel-Freundin Annette Schavan im Hintergrund herumtelefonieren. Mit diesem Durchmarsch wollen Merkels Truppen die Basis kontrollieren. Denn in der Mitgliederbefragung gilt Friedrich Merz als großer Favorit. Doch mit einem durch Merkelianer besetzten CDU-Vorstand stünde Merz weiter unter Aufsicht der Noch-Kanzlerin, die sich dann zwar im Ruhestand befindet, aber ihre Marionetten weiter aus ihrem Bundestagsbüro Unter den Linden 71 bespielt, heißt es in bürgerlichen CDU-Kreisen. „Merkel ist weg vom Fenster. Sie darf keine Kontrolle mehr über die CDU besitzen – Punkt“, appellieren kritische Basispolitiker.
Einen Teilsieg haben die Kanzlertruppen bereits errungen. Im Bundestagspräsidium konnten sie die Partnerin von Merkels höchst umstrittenen Ost-Beauftragten Marco Wanderwitz platzieren: Yvonne Magwas, Bundestagsabgeordnete wie ihr Partner aus Sachsen, ließ sich zur Vizepräsidentin für die Union wählen und schlug damit mögliche bürgerliche Kandidaten wie ihren CSU-Vorgänger Hans-Peter Friedrich oder den von Merkel geschassten Ex-Ost-Beauftragten Christian Hirte aus dem Feld.
Obendrein gibt es an der Basis eine tiefe Spaltung: „90 Prozent für Merz ist nur eine Legende“, warnt selbst ein konservativer Bundespolitiker. Die jüngeren Mitglieder seien eher für Röttgen, die seinen Rausschmiss durch Merkel und seine verlorene NRW-Wahl gar nicht mehr im Kopf hätten. Es wird für Merz also kein Spaziergang an die CDU-Spitze via Befragung von über 400.000 Mitgliedern.
Doch wie läuft die Wahl für den CDU-Vorsitz ab?
Bis zum 3. Dezember werden Wahlzettel verschickt, die Abstimmung ist auch online möglich. Noch vor Weihnachten, am 17. Dezember, will die Bundesparteizentrale das Ergebnis bekannt geben. Ist eine Stichwahl nötig, würde diese über den Jahreswechsel stattfinden und schon am 28./29. Dezember starten. Verkündung des Ergebnisses wäre dann am 14. Januar.
Nach den jetzigen Plänen findet am 21. und 22. Januar ein Bundesparteitag in Hannover statt, auf dem die gut 1.000 Delegierten ihre CDU-Führung neu aufstellen. Die Wahl für den CDU-Vorsitz ist für den 21. Januar geplant.
Angeblich müsste sich die Funktionärsschar an das Votum der Mitgliederbasis halten, selbst wenn die Kandidaten nach der Basisbefragung mit ihren Ergebnissen eng beieinander liegen. Doch werden sich die Parteitagsfunktionäre in so einem Fall dann daran halten? Auch bei der CDU stirbt die Hoffnung zuletzt.