Apfelwein gibt es in halb Europa (Cider, Sidra, Cidre) – aber nur in Frankfurt gilt der Apfelwein als das Nationalgetränk. Während der Deutsche im Durchschnitt pro Jahr 0,5 Liter Apfelwein trinkt, sind es hier 12 Liter.
Was aber macht eigentlich Frankfurt aus? Für viele ein gigantischer Flughafen, ein Labyrinth von verschlungenen Wegen und verschlossenen Toren, die sich dem Reisenden öffnen oder verschließen nach schwer durchschaubaren Regeln …. Wer mit der Bahn kommt, dem spreizt die Stadt ihren Unterleib entgegen; das Puff- und Rauschgiftviertel am Kaisersack widersetzt sich jedem Versuch der Gentrifizierung, Entkriminalisierung und Kultivierung, es bleibt grell, schrill, obszön.
Direkt dahinter beginnt das Bankenviertel mit seinen gläsernen Türmen, die längst nicht mehr die Verkünder von Wohlstand oder Reichtum sind, sondern kaltlächelnde Abzockmaschinen – hinter deren Fassaden wiederum bereits das Elend haust.
Und dann gibt es noch ein weiteres Frankfurt. Das des Apfelweins, der zwar Zugereisten oft vorkommt wie das ins Glas gepresste Grauen des Bahnhofsviertels, aber von Eingeweihten und Einheimischen heiß geliebt wird. Konsumiert in schummrigen Schänken oder bunt bemalten Sälen, serviert aus tönernen Krügen, zu sonst im Land wohl bald verbotenen frugalen Genüssen wie dampfender Haspel (Eisbein), duftendem Rippchen oder Handkäs mit Musik, was alles zusammen ein olfaktorisches Gemisch gibt, das heute wohl als »divers« gefeiert werden darf. Ist das Heimat? Ist es das, was man wirklich sucht in einer Stadt, die sich rühmen darf, dass man von ihr so schnell wegkommt wie von keiner anderen? Wärme im Kältebad des Kapitalismus?
Bei den Nazis war die Äppelwoi-Kultur verpönt, die nicht in die »nationalsozialistische Lebensordnung« passte. Die Nationalsozialisten wollten auf wirtschaftliche »Autokratie« setzten, um Devisen zu sparen und um im Kriegsfall unabhängig zu sein, wurden Einfuhren aus dem Ausland abgebaut. Der heimische Obstbau wurde gefördert, besonders der »Deutsche Apfel« stand – als Speiseapfel und für Konserven – hoch im Kurs. Es folgten die Auflösung der Keltereivereinigungen, Beschlagnahmung ihres Vermögens und die Anordnung, »im Zuge der Zeit« anstelle der »krampfhaften Aufrechterhaltung einer überholten Lebensmitteltechnik« im Sinne der »nationalsozialistischen Entwicklung« nur noch Apfelsaft herzustellen. Während des Zweiten Weltkriegs war das Keltern von Apfelwein gänzlich verboten. Nur zögernd wurde nach dem Krieg wieder mit dem Keltern begonnen, da zunächst die Äpfel fehlten. Trotz der wirtschaftlichen Probleme wurde Apfelwein aber bald wieder zum Bestandteil der Alltagskultur.
Das »Stöffsche« hat in der Stadt eine historisch-kulturelle Bedeutung. Die Apfelweinkultur preist die bodenständige Gastlichkeit der traditionellen Lokale, auch wenn Wirte und Kellner für ihren zuweilen rauen Ton und eigenwilligen Humor berühmt sind. An langen Tischen sitzen beim »Schoppe« Alt und Jung zusammen, soziale Unterschiede spielen kaum eine Rolle, auch der »Eigeblackte« (Zugezogene) wird einbezogen. Getrunken wird nicht einfach nur aus einem Glas, sondern aus einem »Geribbte« (Glas mit Rautenmuster), gekühlt wird der Äbbelwoi in einem »Bembel« (bauchiger Tonkrug mit grau-blauer Lasur). Zu den Accessoires rund um das Frankfurter Nationalgetränk gehört noch das »Deckelsche«, ein Bierdeckel aus Holz oder Keramik, der den Wein vor Ungeziefer schützt.
Apfelwein liegt im Trend. Er gilt als erfrischend, kalorienarm und gesundheitsfördernd, ist um fünf Prozent Alkohol leichter als Weiß- oder Rotweine. Aber auch wenn alle, die behaupten, dass ein alkoholisches Getränk gesund sei, in der Regel ein mildes Lächeln oder Kopfschütteln ernten: In der medizinischen Literatur ist in mehreren Quellen zu lesen, wie gesundheitsfördernd der klassische Wein aus Äpfeln ist. »Modus est in rebus«, heißt ein lateinisches Sprichwort: Ein Maß ist in allen Dingen, auch wenn es um die Gesundheit und den Alkohol geht. Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift. In richtigen Maßen genossen regt der Apfelwein die Verdauung an und verbessert die Durchblutung des Magens. Heiß mit Zimt und Zucker getrunken, hilft er bei Erkältungen.
Laszlo Trankovits hat nun einen durch und durch kundigen Führer zu 111 Orten gepflegter Apfelwein-, pardon: Äppelwoi-Gastlichkeit vorgelegt, der neben vielen nützlichen Fakten – wie Kontaktdaten, Öffnungszeiten und Anfahrtsbeschreibungen – reich bebildert ist und neben Spezialitäten, Geschichte und Geschichten der Wirtshäuser so manchen – bisherigen – Geheimtipp enthält. Allen, die in Frankfurt und Umgebung leben und alle, die diese vielseitige, und trotz oder gerade wegen aller Widersprüche sehenswerte Stadt besuchen möchten, sei er ebenso zur eigenen Lektüre ans Herz gelegt, wie als Geschenk für Freunde der kulinarischen Kulturgeschichte.
Unseren Lesern ist Laszlo Trankovits bekannt aus kritischen Beiträgen zur Medienlandschaft. Als leitender Journalist in vielen Funktionen für die Nachrichtenagentur dpa hat er die Welt bereist. Vermutlich gibt es kaum ein Shithole der Welt, kaum ein Schlachtfeld und kaum einen Verhandlungsort für den nächsten Friedensschluss, die er nicht bereist hätte. Man hätte ihm diese Liebe nicht zugetraut. Sie schafft Bindungswirkung; zu anderen Menschen, einer tiefverwurzelten Kultur unterhalb des Pflasters der gläsernen Stadt und einem bald sich einstellenden Gefühl globaler Verbundenheit.
Laszlo Trankovits, 111 Orte rund um den Äppelwoi, die man gesehen haben muss. Emons, 240 Seiten mit zahlreichen, vierfarbigen Abbildungen, 16,95 €