Universitäten galten als Orte der Meinungsfreiheit, der freien Rede und der Freiheit der Lehre und Forschung. Sicher würde eine historische Betrachtung das ideale Bild differenzieren, doch selbst in Universitäten, die sich auf die eine oder andere Art gleichgeschaltet hatten, existierten noch Residuen der Freiheit.
Die Situation ändert sich, aus den Institutionen des Geistes werden Institutionen des Ungeistes, aus Orten der Freiheit Orte der Unfreiheit. Und das vor allem durch Studenten, die im Wohlstand aufgewachsen sind – und sich in einer Art metaphysischer Not gegen die Freiheit fanatisieren.
Am Dienstag, am 9. November, lud die LSESU Debate Society, die Debattengesellschaft der Studentenschaft der London School of Economics (LSE), die israelische Diplomatin Tzipi Hotovely zu einem Vortrag mit anschließender Diskussion ein. Schon vor der Veranstaltung entschuldigten sich die Organisatoren für die Einladung „angesichts des Unmuts unter den Kommilitonen“. Der Begriff Unmut ist geschichtsnotorisch, er diente nicht selten als Umschreibung für eine Pogromstimmung.
Man kann den Organisatoren wirklich nicht vorwerfen, parteiisch gewesen zu sein, denn heute tritt der Leiter der Palästinensischen Vertretung in London in dieser Veranstaltungsreihe, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigt, auf. Haben nach Ansicht der Studenten der London School of Economics nur die Palästinenser das Recht, ihren Standpunkt darzulegen? Offenbar schon.
Im Vorfeld zur Veranstaltung hatte sich eine Gruppe, die sich LSE Class War nannte, bereits zu Aktionen aufgerufen, um der Diplomatin „mal richtig Angst zu machen“. Auf ihrem Instagram-Profil rief die Gruppe dazu auf, „ihre Autofenster einzuschlagen“ und „das Gebäude zu stürmen“. Die Gruppe hatte mit dem 9. November für ihre antijüdische und antiisraelische Aktion ein denkwürdiges, ein sinnfälliges Datum gewählt.
Der Wunsch der LSE Class War ging jedenfalls in Erfüllung. Vor dem Gebäude rottete sich ein Mob aus anti-israelischen Aktivisten zusammen. Wie man auf einem Video, das in den sozialen Medien kursiert, sehen kann, wurde die Diplomatin, als sie die LSE mit einem Blumenstrauß in der Hand verließ, von einem Mob erwartet, der brüllte und buhte. Aktivisten – oder muss man sie schon Terroristen nennen? – versuchten, das Auto zu erreichen und die Diplomatin körperlich zu attackieren. Mitten in London an einem 9. November mussten Sicherheitskräfte eine Jüdin, eine israelische Diplomatin schnell zu ihrem Auto bringen.
Zwar sind „die Palästinenser“ vertreten – und zwar heute, doch spielt das keine Rolle, denn eine Zierde der studentischen Kämpfer für die Meinungsfreiheit und für die Humanität sagte dem gleichen Sender: „Jemand wie diese Person verdient nicht wirklich das Recht zu sprechen. Sie hat Dinge gesagt, die ein ganzes Volk entmenschlichen.“ Diese Äußerung, und dann noch zum 9. November einer Vertreterin des jüdischen Staates – nebenbei der einzigen Demokratie im Nahen Osten – gegenüber, lässt jede Menschlichkeit, auf die man sich so gern beruft, vermissen. Schämen sollten sich die Studenten, aber sie sind ja keine Studenten mehr, sondern nun noch Studierende.
Die Zerstörung unserer Kultur, der Freiheit, der Toleranz und der Menschlichkeit beginnt heute an den Universitäten.