Nicht nur die deutsche Öffentlichkeit verfolgt mit Spannung die Gefechte um die Besetzung des Finanzministeriums. Angesichts der ordnungspolitischen Verwüstung, die hier durch die lange Inhaberschaft des Portfolios bei den Herren Schäuble und Scholz stattgefunden hat, ist allen Beobachtern deutlich geworden, über welche mächtigen Hebel dieses Haus verfügt. Dies gilt für das Unterlassen in jenen Fragen der Finanzaufsicht, in denen Finanzminister besser genauer hingeguckt hätten.
Die Cum-Ex-Geschäfte – insbesondere auch des Bankhauses Warburg, der Wirecard-Skandal – haben die Befürchtung aufkommen lassen, dass die personellen Umbesetzungen, die Olaf Scholz vorgenommen hat, die Funktionalität des Hauses nicht gestärkt haben. Die Europa-Abteilung unter Thomas Westphal und die Grundsatzabteilung unter dem ehemaligen Europa-SPD-Abgeordneten Jakob von Weizsäcker gehören zu jenen Teilen des Ministeriums, die durch ihre politische Willfährigkeit besonders aufgefallen sind.
Trotz einer Riesenlücke in der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung, ungelöster Probleme bei der nachhaltigen Finanzierung der Krankenversicherung sowie explodierender Neuschulden durch die Corona-Krise (ca. 500 Milliarden Euro Neuschulden innerhalb von 2 Jahren) meint Stiglitz, es zu wissen: Die Lösung aller Probleme liegt in noch mehr Schulden. Und Robert Habeck fügt dem hinzu, das Geld sei ja momentan auf den Kapitalmärkten für Deutschland so preiswert zu haben. An diesen Einflussnahmen auf die gegenwärtige Willensbildung zur Neubesetzung des Finanzressorts ist einerseits bemerkenswert, wie kurzfristig Kandidaten für das Amt wie Habeck denken, um ein Mehr an Schulden – unabhängig von der Schuldenbremse – zu bejahen.
Neben diesen Argumenten finanzpolitischer Logik ist es andererseits aufschlussreich für das Selbstverständnis der zweiten deutschen Republik, dass sie sich die Einmischung abgetakelter Nobelpreisträger in die interne Politik gefallen lässt. Es geht Joseph Stiglitz überhaupt nichts an, wer wann, unter welchen Umständen und mit welchem Programm in Deutschland zum Finanzminister befördert wird. Dass er sich gleichwohl berufen fühlt, hierzu Stellung zu nehmen und – in lautstarkem Chor zusammen mit italienischen Politikern und dem europäischen Wirtschafts- und Finanzkommissar Paolo Gentiloni – Lindner abqualifiziert, ohne dass es in Deutschland dagegen Protestschreie gibt, zeigt einmal mehr die souveränistische Verzwergung unseres Landes. Zwar kann Stiglitz für sich als Wissenschaftler Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen, doch würden weder deutsche Politiker noch deutsche Hochschullehrer sich in den Prozess der Ernennung eines Finanzministers in den USA auch nur andeutungsweise einmischen.
Dies führt zurück zur Problematik der Lindner-Kandidatur. Will Lindner ein Finanzministerium haben, das dem Anspruch gerecht wird, Treuhänder öffentlicher Finanzen in Deutschland zu sein, wird er das gesamte Führungspersonal, also Abteilungsleiter und Staatssekretäre, austauschen müssen. Dies setzt voraus, dass er in diesem Bereich hinreichend loyale Fachleute findet, die sich nicht vor einen Parteikarren spannen lassen und die ihre Entscheidung nicht nach Gesichtspunkten der Tagespolitik treffen.
Christian Lindner wird Finanzminister werden, aber ob er das Amt auch sachverständig ausfüllen wird, wird davon abhängen, ob er diesen Apparat von Fachleuten um sich zusammenzuziehen vermag.