Indien rührt die Welt – zumindest den journalistisch-klimabewegten Teil der Welt. Nachdem China mittlerweile als Schurke im „Kampf gegen den Klimawandel“ gehandelt wird, weil das Reich der Mitte seine Klimaziele nur minimal angepasst hat, sorgte Premierminister Narendra Modi für einen vielbeachteten Auftritt. Modi, dessen Land den dritten Platz beim CO2-Ausstoß belegt, gab fünf ehrgeizige Ziele vor, die das Milliardeneinwohnerland stemmen will: 500 Gigawatt aus nicht-fossilen Energieträgern bis 2030; Deckung von 50 Prozent des indischen Energiebedarfs durch „Erneuerbare Energien“ bis 2030; Reduzierung der Kohlenstoffemissionen um 1 Milliarde Tonnen bis 2030; Reduzierung der Kohlenstoffintensität um 45 Prozent; Klimaneutralität bis 2070.
Modi hat damit eine Verschärfung der indischen Klimaziele betont, was angesichts der Verhältnisse auf dem Subkontinent fast schon titanische Leistungen voraussetzt. Zwar hat Indien in der Vergangenheit die Solarenergie vorangetrieben und liegt auf Platz 5 im weltweiten Gesamtausbau der Photovoltaik. In der Energieversorgung Indiens sind das aber nur 4 Prozent. Dabei hatte Indien 2015 das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2022 Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 100 Gigawatt zu installieren. Im August 2021 waren es etwas mehr als 43 Gigawatt. Es wäre demnach nicht das erste Mal, dass Ankündigung und Realität auseinandergehen.
Der Prozess, den Indien ankündigt, bleibt demnach schwierig – und teuer. Der hindu-nationalistische Regierungschef hat seine kühnen Projekte demnach an ein anderes Thema gekoppelt, mit dem er schon früher in Erscheinung trat: Klimagerechtigkeit. Alle Versprechen in Sachen Klimafinanzierung seien bisher „hohl“ gewesen. Die Ambitionen könnten nicht dieselben sein wie in Paris vor fünf Jahren. „Indien erwartet, dass die Industrieländer eine Billion Dollar für die Klimafinanzierung zur Verfügung stellen“, sagt Modi auf der Weltklimakonferenz.
Schon im Vorfeld hatte Modi betont, Klimagerechtigkeit zu einem Hauptthema zu machen. Indien positioniert sich damit als Fürsprecher des „globalen Südens“, der sich vom „globalen Norden“ geprellt sieht. Indien sieht sich als eines der Länder, das vom Klimawandel überproportional betroffen ist; ein Klimawandel, den mehrheitlich der alte Westen zu verantworten hätte, weil dieser seit der Industrialisierung CO2 produziert. In der Tat hat Modi in der Sache nicht Unrecht: sowohl die Gesamtproduktion von CO2 wie auch der Pro-Kopf-Ausstoß in Indien ist gering angesichts eines dicht bevölkerten, riesigen Landes, das rund ein Sechstel der Weltbevölkerung stellt, aber nur für 7 Prozent der Emissionen verantwortlich ist.
Modis COP26-Auftritt ist daher in mehrfacher Hinsicht ein kluger politischer Schachzug. Worte und Versprechen kosten nichts. Zugleich kann der indische Premier Druck auf seine westlichen Kollegen aufbauen, denen NGOs und Aktivisten im Rücken sitzen, indem er das frühere Narrativ von der Ausbeutung des Südens modernisiert: verbunden mit konkreten Zahlungsaufforderungen. Geschickt stilisiert sich Indien als Anwalt der ehemaligen Dritten Welt, eine moralisches Vorsprecherrolle, die der chinesische Rivale nicht in derselben Art und Weise ausfüllen kann. Ganz abgesehen davon, dass die COP26 Modi ein Publicity-Schaufenster bietet, bei dem innenpolitische Missstände vergessen gemacht werden können. Ein Eindruck allerdings, der – fairerweise – nicht nur beim indischen Stellvertreter aufkommt.