Nachdem die Staatschefs Chinas und Russlands bereits abgesagt hatten, verzichtete auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf seinen Besuch in Glasgow. Die meisten Teilnehmer der G20-Konferenz in Rom waren direkt nach Schottland weitergereist, doch Erdoğan zog es zurück nach Ankara. In der Türkei scheint der Klimagipfel keine Begeisterung auszulösen. Nach dem Montag, an dem die Staats- und Regierungschefs prominent vor die Kameras traten, kann man fast sagen: Wenigstens mit dieser Entscheidung lag Erdoğan richtig. Es bewahrheiten sich die Befürchtungen bezüglich einer Show, die womöglich keinerlei Bedeutung haben wird. Manch Klimaexperte hat das hellsichtiger erkannt als die gesamte Medienzunft. Wenn jemand wie Mojib Latif keine Aussicht auf Besserung sieht und einen verzweifelten Appell an die USA und die EU richtet, wenigstens als Vorbilder voranzugehen, „wenn andere nicht mitmachen“, dann heißt das unausgesprochen: Die wirklich wichtigen Akteure sind gar nicht da oder beugen sich sowieso nicht der Agenda.
US-Präsident Joseph Biden vergaß dann auch nicht, die großen Abwesenden Xi Jinping und Wladimir Putin zu ermahnen. Er finde das „enttäuschend“. Nach dem Treffen in Rom gehe es nun in Glasgow darum, „mehr zu tun“, sagte Biden und: „Aber wir müssen uns weiterhin darauf konzentrieren, was China nicht tut, was Russland nicht tut und was Saudi-Arabien nicht tut.“ Der Klimasünder Nummer eins zeigt mit dem nackten Finger auf die bösen Buben und ruft: Haltet den Dieb! Grotesk, aber in der wenige Monate andauernden Präsidentschaft Bidens eher Regel denn Ausnahme. Zum Auftakt der Veranstaltung wurde zu allem Übel bei Bidens Pressesprecherin Jen Psiaki COVID und damit ein „Impfdurchbruch“ diagnostiziert. Sie hat Biden, der am 20. November 79 Jahre alt wird, viele kritische Fragen erspart. Biden selbst soll negativ getestet worden sein.
So oder so: Bei der G20 und bei der COP26 konnte Biden dieses Mal der Öffentlichkeit kaum entfliehen. Über Twitter kursiert ein Video, das den US-Präsidenten einschlafend bei der Klimakonferenz zeigt.
Auch Bidens Rede erinnerte eher an ein Schülerreferat. Der angebliche Führer der freien Welt erscheint physisch und rhetorisch schlapp. Anhänger sprechen von der anstrengenden Sitzung in Rom zuvor. Die hatte allerdings der nur unwesentlich jüngere Mario Draghi als Gastgeber geleitet, der sich in Glasgow deutlich fitter zeigte. Egal, wie man zu Draghi steht: Der italienische Ministerpräsident bewies eine Routine und Professionalität, die man manch einem anderen Staats- oder Regierungschef gewünscht hätte. Anders als Biden frühstückte der Premier auch nicht die typischen Allgemeinplätze und Phrasen ab, die man seit Jahrzehnten zur Genüge hört. Wer den Vergleich zwischen Biden und Draghi scheut, scheut die bittere Wahrheit über die Führung der einst mächtigsten Nation des Planeten.
Grotesk? Vielleicht grotesker als die Radiobotschaft von Palaus Staatspräsidenten, der den Untergang seines Inselstaates befürchtet, aber offensichtlich vergessen hat, dass sein eigenes Land vorne liegt beim Pro-Kopf-Ausstoß. Aber womöglich weniger grotesk als die Rede von UN-Generalsekretär António Guterres, der davor warnte, dass sich die Menschheit ihr „eigenes Grab“ schaufele. Und: „Es ist an der Zeit, zu sagen: Genug. Genug brutale Angriffe auf die Artenvielfalt. Genug Selbstzerstörung durch Kohlenstoff. Genug davon, dass die Natur wie eine Toilette behandelt wird. Genug Brände, Bohrungen und Bergbau in immer tiefere Lagen.“
Grotesk deswegen, weil der „Klimaschutz” einer der zentralen Aspekte ist, der im Widerspruch zur Artenvielfalt steht. Etwa durch Monokulturen für Bio-Gas und Bio-Sprit. Wegen des Gas-Runs, den die Ineffizienz der „Erneuerbaren Energien“ ausgelöst hat. Die Vernichtung von Altwaldbestand und die Zerschredderung von Insekten durch Windrotoren. Die dramatische Umweltzerstörung, die der Lithium- und Kobaltabbau mit sich bringt, damit das Steckdosenauto einen neuen Akku bekommt. Die große Groteske des „Klimaschutzes” auf den Punkt gebracht: Der „Klimaschutz” betreibt offensichtliche Naturzerstörung im Namen des Umweltschutzes, vermischt aber beide Vorgänge, um sich selbst heilig zu sprechen. Guterres hat dieses Spiel auf den Höhepunkt getrieben.
Apropos Merkel. Die Kanzlerin forderte wie schon andernorts einen weltweiten CO2-Preis und sprach von einer „umfassenden Transformation“ des Lebens und Wirtschaftens. Mit einer Bepreisung von Kohlenstoff-Emissionen könne man die Unternehmen dazu „bringen“, die technologisch besten Wege zu finden. Das Wort, dass die Redenschreiber Merkels wohl eigentlich meinten: erzwingen. Wer braucht schon Annalena Baerbock, wenn er Angela Merkel hat? „Jedes Verbot ist ein Innovationstreiber“, hatte die Grünen-Chefin im Wahlkampf gesagt. Sie hat sich nur unglücklicher ausgedrückt. Merkel mit ihrer jahrelangen Erfahrung in der Knechtung der deutschen Sprache weiß es eben besser. Gemeint ist dasselbe. Merkels Mädchen in Brüssel, Ursula von der Leyen, sprach in ihrer Rede davon, dass es darum gehe, auf „der richtigen Seite“ der Geschichte zu stehen. Die EU täte das, denn Europa habe sich selbst verordnet, der erste „klimaneutrale Kontinent“ zu werden. Vielleicht sollte Putin der EU-Kommissionspräsidentin beim nächsten Besuch ein Geographiebuch schenken. Schließlich leben – je nach Berechnung – 65 bis 80 Prozent der Russen im europäischen Teil Russlands.
Man könnte das alles als weitere Groteske abkanzeln. Doch vielleicht sind diese ganzen Grotesken gar keine. Sondern Sinnbilder für den Geisteszustand des Westens.