In der deutschen Politik verschwimmen allzu oft moralische Wünsche und Wirklichkeit. Der Satz eines Berichts des Bundesinnenministeriums fürs Kabinett hat daher hohes Konsenspotential: „Flüchtlinge und Migranten dürfen nicht zu politischen Zwecken missbraucht und einzelne Mitgliedstaaten wie auch die Europäische Union (EU) als Ganzes unter Druck gesetzt werden.“
Es geht um die zunehmende Migration via Belarus. Machthaber Alexander Lukaschenko macht – sicher mit Billigung aus Moskau – seine im Frühjahr erhobene Drohung wahr, indem er seine Flughäfen für Migrationswillige aus dem Nahen Osten öffnet. Inwiefern die dortigen Behörden diese dann direkt an die EU-Grenze weiterleiten, ist letztlich unerheblich. Die Migranten wissen ohnehin, dass sie nicht in Minsk bleiben wollen, sondern in die EU, vor allem nach Deutschland, wollen.
In Deutschlands politischer Klasse ist man sich einig, dass das ein übles Spiel von Lukaschenko (und im Hintergrund wohl Putin) ist. Aber viel weiter als bis zur moralischen Verurteilung kommt man nicht.
Bestimmte Staaten täten das aber „bisweilen zu ihren eigenen politischen Zwecken – z.B. um außenpolitische Ziele zu erreichen oder auch um die innenpolitische Stellung der Regierung zu festigen“. So sollten die Zielstaaten zu „grenzschützenden Maßnahmen gezwungen werden, wobei die bestehende Grenzinfrastruktur überlastet werden soll“. Und: „Grundsätzlich scheinen liberale westliche Demokratien hier jedoch besonders angreifbar zu sein, u.a. da in ihren heterogenen Gesellschaften gegensätzliche Positionen zum Thema ,Migration’ zum Ausdruck kommen.“ In verständlicheren Worten soll das wohl heißen: Nicht die Migration, sondern die mögliche Reaktion der Einheimischen ist das Problem. Und so ist konsequenterweise auch mehrfach von einer nur „vermeintlichen Überforderung“ der Zielstaaten die Rede.
Und so wundert es dann auch nicht, dass den Ministerialbeamten laut Medienberichten kaum ein anderes Gegenmittel einfällt, als die Resilienz der Gesellschaft zu verstärkten – etwa durch Integrationsprojekte. Letztlich ist das der Rat, das Problem einfach nicht mehr als Problem wahrzunehmen. Der Vogel-Strauß sollte vielleicht bald an Stelle des Adlers zum neuen deutschen Wappentier erhoben werden.