Tichys Einblick
NGO-Aktion eines Grünen

Wie die private Luftbrücke nach Kabul scheiterte und an wem

Als Ende August die Evakuierung deutscher Ortskräfte aus Afghanistan sehr drängend wurde, sahen auch grüne Welt- und Deutschlandverbesserer ihre Stunde gekommen. Am Ende scheiterte ihr Plan grandios. Fünf Fragen der Grünen-Fraktion und die Antworten der Bundesregierung zeigen, woran die privat organisierte »Luftbrücke« scheiterte.

IMAGO / MediaPunch

Sage noch einer, dass der grüne Weltbeglückungswahn nicht grenzenlos wäre. Zumindest will er es sein. Das bewies im Spätaugust 2021 der EU-Abgeordnete Erik Marquardt, Ex-Sprecher der Grünen Jugend, und inzwischen Mitglied im Parteirat. Da die Bundesregierung mit der Evakuierung ihrer Ortskräfte (der echten ebenso wie der falschen) – aus Gründen, die vielfältig sind und nicht hierhin gehören – überfordert schien, hatte Marquardt die geniale Idee, als erfahrener NGO-Betreiber etwas beizutragen. Der Plan: Mit einer privaten Chartermaschine wollte man nach Kabul fliegen, um »möglichst viele« Menschen aus der Gefahrenzone zu evakuieren. Den privaten Helfern sollte gelingen, was Außenamt und Bundeswehr im Chaos des Afghanistan-Abzugs schwer fiel.

Was sich zunächst mildtätig anhört, muss man wohl eher der Profilneurose des Organisators zuschreiben. Marquardt hat gewissermaßen schon Erfahrung mit derlei ›unmöglichen Missionen‹, die er zuverlässig in den Sand setzt. So verspricht er seit vielen Jahren sehr beständig, ein Schiff ins Mittelmeer zu bringen, um dort private Search-and-Rescue-Operationen zu unternehmen. Doch bis jetzt ist dort außer Spesen nichts gewesen.

Nun also ein neues, noch wichtigeres Werk. So viele ausreisewillige Afghanen wie irgend möglich sollten aus ihrem Land geschafft werden. Mit großem Getöse kündigte Marquardt seine »Luftbrücke Kabul« oder – so der vom Erfinder bevorzugte Name – die »Kabulluftbrücke« an. Sprachlich erinnert das an die legendäre Bagdadbahn, mit der sich die deutschen Kaiser einst um die Infrastruktur im Nahen Osten verdient machten, um von weiteren möglichen Parallelen (Eskapismus, Neo-Kolonialismus) zu schweigen.

In kürzester Zeit erstellte Marquardt eine Website, auf der um Spenden für das Chartern eines Fliegers geworben wurde, der parallel zu der umfangreichen Luftbrücke der Amerikaner und ihrer Verbündeten weitere Personen aus Afghanistan ausfliegen sollte. Die Formalien erklärte er kurzerhand für »geklärt«. Nun stehe man mit »hunderten« Rettungswürdigen im Kontakt, die man nur noch in den Flieger setzen musste, um das Rettungswerk zu vollbringen.

Die zähe Realität

Doch die Realität erwies sich als zäher, wie einige parlamentarische Fragen der grünen Bundestagsfraktion an die Bundesregierung zeigen. In fünf Fragen, die zu einem größeren Katalog mit 114 Punkten gehören, beklagen sich die Grünen implizit über die mangelnde praktische Unterstützung der Bundesregierung für die Marquardt-Initiative, die eigentlich in sich selbst absurd genug war.

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Dabei war die Behauptung doch gewesen, dass zwischen dem Außenamt unter SPD-Ikone Heiko Maas und der »Kabulluftbrücke« eitel Sonnenschein herrsche. Marquardt hatte angegeben, seine Initiative arbeite mit dem Lagezentrum und dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr zusammen und agiere »in Absprache mit der Bundesregierung«. Aber das erwies sich im Nachhinein als leeres Getue oder Angeberei.

Was man nicht geglaubt hätte: Der Luftbrücken-Verein konnte tatsächlich eine Maschine chartern und vor dem Ablauf des Monats August nach Kabul befördern. Dort ergaben sich allerdings zahlreiche Schwierigkeiten. Aus den aktuellen Fragen der grünen Bundestagsfraktion quillt die Frustration über die harte Landung in Kabul hübsch heraus. So heißt es: »Warum war bei Ankunft der Maschine zunächst keine deutsche Verbindungsperson vor Ort, und warum mussten die Begleiter des gecharterten Airbus A 320 mühsam über Kontaktpersonen anderer NATO-Partner deutsche Kontaktpersonen ausfindig machen?«

In der Antwort der Regierung wird zwar versichert, das Außenamt ebenso wie der Minister persönlich hätten Marquardts privates Vorhaben »von Anfang an unterstützt«. Allerdings hatten die Luftbrückler es offenbar versäumt, auch um Unterstützung beim sogenannten »Groundhandling« in Kabul zu bitten. Denn das übernahm wohl nicht Maas persönlich, ebenso wenig das Botschafts- oder Bundeswehrpersonal am Ort. Vor allem waren die deutschen Kräfte offenbar vollauf mit der eigenen Luftbrücke beschäftigt. Hier machte sich am Ende also doch noch ein Unterschied zwischen hoheitlichem Handeln und privater Rettungsmanie geltend – auch wenn beide Akteure an der Aufgabe scheiterten, die deutschen Ortskräfte (also die echten) aus Afghanistan auszufliegen und alle anderen (die Glücksritter und Trittbrettfahrer) außen vor zu lassen.

Wie die Einmischung in hoheitliche Aufgaben scheiterte

Vielleicht funktionierte auch die Kommunikation zwischen Außenamt und Bundeswehr oder Außenamt und State Department nicht ganz so reibungslos, wie man es sich wünschte. Denn, wie uns die nächste Grünen-Frage belehrt, »erhielten die Begleiter des Fluges zunächst von der deutschen Seite die Auskunft, das Flugzeug sei nicht autorisiert, Zivilisten auszufliegen«, obwohl doch das Außenamt den Flug »zuvor autorisiert hatte«. Hatte es das aber wirklich? Oder war das nur Marquardts naive Annahme gewesen?

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Außenminister Heiko Maas mochte dem grünen Weltenlenker ja zugesagt haben, er dürfe Zivilisten ausfliegen, aber die Beamten vor Ort, die deutschen oder US-amerikanischen Soldaten sahen das anders – und vielleicht mit Gründen. Am Ende startete der Flieger doch mit menschlicher Fracht. Irgendwie hatte man es hingekriegt. Allerdings hatten sich nur ganze 18 Personen gefunden, keine deutschen Ortskräfte freilich, dafür portugiesische. Die dortige Linksregierung freute sich angeblich über die unbestellte Hilfe.

Daneben mussten die Charterflieger auch die eigens mitgebrachten Journalisten wieder mitnehmen, weil die US-Kräfte ihre Sicherheit nicht garantieren konnten. Auch das Projekt Aufklärung über die Gräuel der Taliban misslang damit. Hier musste der Spiegel mit vielen bunten Online-Stories übernehmen.

Der alte Grünen-Fehler: Naivität

Erik Marquardt war verbittert. Er sah sich boykottiert von jener Bundesregierung, mit deren Zuneigung er zuvor vor der Öffentlichkeit angegeben hatte. In einer Pressemitteilung war nun von »massiven Widerständen seitens der deutschen Bundesregierung« die Rede. Das Auswärtige Amt habe den privaten Evakuierungsflug an mehreren Stellen »aktiv blockiert«. Eine schlichte E-Mail zur Freigabe eines Transports wurde demnach verweigert. Gegenüber den US-Behörden wurde »klar kommuniziert«, dass auch die portugiesischen Ortskräfte – wäre es nach dem Außenamt gegangen – besser nicht von der »Kabulluftbrücke« evakuiert worden wären.

So blieben am Ende 180 Sitze in der Chartermaschine frei. Und für Marquardt war klar: »Wir sollten scheitern, damit das Kartenhaus der Evakuierungsaktion der Bundesregierung nicht in sich zusammenfällt.« Zuletzt heißt es schon mit Resignation: »Vielleicht war es naiv zu glauben, dass die Bundesregierung uns aktiv unterstützt.« Es war der alte Grünen-Fehler Naivität.

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Aber irgendwie hatte Marquardt die Bundesregierung zuvor auch ganz schön zackig kritisiert, als er sagte, dass sie im Grunde hilflos und unfähig sei, die eigenen Leute aus der Gefahrenzone abzuziehen. Nun mochte all das gewesen sein, wie es will: Die Zeit als Klassenprimus oder Best Buddy des SPD-geführten Außenamts war damit vorbei, und die Rüpeleien und Clownerien konnten von Neuem beginnen. Erneut kam die grüne Fundamentalopposition gegen den Staat zum Vorschein, die Marquardt als geschulter NGO-›Seenotretter‹ im Mittelmeer natürlich aus dem Effeff beherrscht: Die grausame deutsche »Ministerialbürokratie« hatte die Rettung von Menschen aus Afghanistan »aktiv« verhindert.

Das Narrativ dieser grünen Welt- und Staatsverbesserer ist klar: Der Staat, seine Institutionen tragen Schuld an der Misere der Welt, wie sie ist. Hätten wir etwas weniger Bürokratie, etwas mehr Menschlichkeit, dann ginge es uns allen besser. Dass das nicht so einfach ist, sieht man bei jedem Staatsscheitern von Neuem. Die »Ministerialbürokratie« jedenfalls hat sich gegen diese Einsicht gewehrt und die Zusammenarbeit verweigert.

Bundesregierung: Eine private Luftbrücke war niemals nötig

Gab es am Ende Grenzen der deutschen Aufnahmebereitschaft, die sich im Handeln der Bundesregierung in Kabul zeigten? Aus heutiger Sicht, angesichts der immer weiter anschwellenden »Ortskräfte«-Listen, auf die laut Antwort der Bundesregierung »alle gefährdeten Afghanen« gehören, muss man daran große Zweifel haben.

Die Bundesregierung macht in ihrer Antwort allerdings vollkommen klar, dass eine private »Kabulluftbrücke« niemals notwendig war, auch wenn die Regierung an ihrer selbstgestellten Aufgabe gescheitert war: »Nicht die Kapazität und Anzahl der Luftfahrzeuge« begrenzte die Anzahl der Evakuierten, sondern »die Zugangsmöglichkeiten der zu evakuierenden Personen zum Flughafen«. Das zeige sich schon an der unterschiedlichen Auslastung der eingesetzten Maschinen. Die Bundesregierung hatte nur Flugzeuge eines kleineren Airbus-Typs (für gut 100 Fahrgäste) nach Kabul geschickt, während andere Regierungen mit Boeing C17 flogen (Kapazität um die 700 Personen). Die großen Maschinen waren nicht immer voll ausgelastet.

Man kann zusammenfassen: Parlamentarische Fragen der AfD-Fraktion wurden von der alten Bundesregierung geradezu strafwürdig spät und weitgehend sinnfrei beantwortet (TE berichtete). Dagegen wurden die Grünen von der scheidenden Bundesregierung noch kurz vor der Wahl unglaublich ernst genommen, auch wenn die Umsetzung ihrer Vorhaben an den Realitäten gescheitert war.

Zugleich machen die Antworten der Regierungsbeamten aber subtil deutlich, wer in einer kommenden Bundesregierung Koch und wer Kellner sein soll. Von solchen Grünschnäbeln, wie Marquardt einer ist, will man sich nicht belehren lassen, was kluges Staatshandeln ist. Auch wenn es sicher nicht die Experten im klugen Regierungshandeln waren, die diesen Afghanistan-Abzug geplant haben.

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