Der SPIEGEL-Titel warnt auch in dieser Woche wieder einmal vor einer Katastrophe. Wir erinnern uns: Vor der Olympiade kam das Böse mit der Zika-Mücke in die Welt. Zu Ostern war es die böse Rückkehr der Religion. Davor war der Untergang von VW angeblich unvermeidlich. Diesmal sind es Computer und Roboter, die uns ins Unglück stürzen, weil sie uns die Arbeit wegnehmen. Erregungsjournalismus, der in dem Augenblick, in dem er gedruckt wird, schon wieder verpufft.
Dabei gäbe es an diesem Wochenende Grund zur Schlagzeile „Sie sind entlassen!“ Nämlich bezogen auf Justizminister Heiko Maas. Und es gibt Grund sich darüber aufzuregen, wie SPIEGEL Online in dieser Sache den Nutzern eine Exklusivität vorgaukelt – denn die erwarte ich, wenn ich für einen Beitrag zahlen soll –, die jeder Grundlage entbehrt, weil die Redaktion nicht mehr und nicht weniger das schreibt, was andere schon früher geschrieben haben. Siehe den TE-Beitrag von Tomas Spahn.
Boulevard verkauft sich besser. Also haut der SPIEGEL mächtig auf die Pauke. Die Überschrift der Titelgeschichte ist da schon genauer. Unter „Mensch gegen Maschine“ skizzieren die Autoren Markus Dettmer, Martin Hesse, Alexander Jung, Martin U. Müller und Thomas Schulz verschiedene Szenarien, in denen sich in den nächsten Jahren durch die fortschreitende Digitalisierung eine neue Welt auftun kann und wird. Kollege Computer ist schließlich alles zuzutrauen. Zu wessen Nutzen? Das wird sich herausstellen.
Aber Phantasien haben dürfen wir: von einer Welt ohne überbordende Bürokratie, weil die Computer sich selbst nicht so wichtig nehmen wie so manche Sachbearbeiter in ihren Amtsstuben (ich kann dann allerdings auch keinen Ermessensspielraum für mich selbst mehr erwarten), von einer Welt mit Zeitgewinn durch servicefreundliche und ergebnisorientierte Hotlines, von einer Welt, in der all das (wieder) einen höheren Stellenwert erhält, was durch Maschinen nicht zu ersetzen ist: menschliche Zuwendung, medizinische Betreuung, pädagogische Aufgabenfelder. Und noch eines wird diese Gesellschaft benötigen: das Know-how, um die neue Arbeitswelt betreiben und nutzen zu können. Die Ausbildungsfelder werden sich massiv verschieben und all diejenigen zurücklassen, die nicht die notwendigen Bildungsvoraussetzungen erfüllen. Und wessen Arbeitsplätze sind in Zukunft noch sicher: Am wenigsten gefährdet ist laut SPIEGEL das bestverdienende Viertel der Bevölkerung.
Apropos Künstliche Intelligenz (KI): Hilmar Schmundt entführt mit seinem Beitrag ⁻\_(”/)_/⁻ in die Welt der „Chatbots“, die man angeblich in wenigen Minuten bauen kann, selbst wenn man noch nie programmiert hat. Die Qualität der Dialoge: „heiter bis wolkig“.
In „Der Kanzlermalus“ portraitieren Ralf Neukirch und René Pfister eine zunehmend entrückte und diskussionsunwillige Kanzlerin, die unbeirrbar Kurs hält und eine CDU, die sich zu lange hinter ihrer Galionsfigur versteckte und es dabei verlernt hat zu kämpfen. Zu erwarten, dass eine Erneuerung der Partei von der Spitze ausgehen könnte, ist eine Illusion. Dabei ist das Desaster mit der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern und zum Berliner Abgeordnetenhaus zum Greifen nahe.
Passend dazu interviewen Alexander Neubacher und Alfred Weinzierl den ehemaligen Merkel-Bewunderer Hans-Olaf Henkel, der bei der Kanzlerin „schwaches Selbstwertgefühl“ und „pathologische Hilfsbereitschaft“ diagnostiziert und sie für das Brexit-Desaster verantwortlich macht.
Christoph Pauly verströmt in „Bereit zur Eskalation“ Schadenfreude über die von der EU angekündigte Entscheidung, dass Apple 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen muss. Ob es dazu kommt, ist fraglich: Denn es ist zweifelhaft, ob eine Kommissarin nachträglich die Spielregeln ändern kann. Und wenn Apple, warum nicht auch IKEA? Mal sehen, wie viel Euro am Ende wirklich in die EU-Kassen kommen.
Spiegel-Korrespondent Bernhard Zand liefert in „Ehrgeiz einer Seemacht“ einen faszinierenden Bericht über die neue „Maritime Seidenstraße“. Schade nur, dass der Spiegel sich noch immer weigert, die Fülle an Infos in übersichtlichen Charts zusammenzufassen.
Bereichernd ist das Gespräch von Romain Leick mit dem altersweisen 90-jährigen Zygmunt Bauman „Nationalismus ist ein Ersatz“. Beeindruckt hat mich dabei besonders die Charakterisierung von Abschottung und Vertreibung von Flüchtlingen als „eine Art moderner Exorzismus“.