Mario Draghi, der italienische Ministerpräsident, hatte schon als Chef der EZB weniger Geldpolitik für ganz Europa, sondern eher Rettungspolitik für Italien betrieben. Die Enteignung der deutschen Sparer, der künftigen Rentner und der Versicherten in Deutschland, die den Verlust der Pensions- und Rentenfonds und den der Versicherer bei der Erwirtschaftung von Kapital durch die Nullzinspolitik ausgleichen müssen, die Staatsverschuldung und die verdeckte Staatsfinanzierung durch den Anleiheaufkauf halfen, das hochverschuldete Italien zu stützen.
Es ist sicher kein Zufall, dass Italien mit 209 Milliarden Euro die höchste Summe aus dem Next Generation Fonds (auch „Wiederaufbaufonds“) der EU erhält. Die Antwort auf die Frage, weshalb Italien so viel Geld letztlich auch aus Deutschland erhält, lautet: Mario Draghi – und zwar in doppelter Weise. Zum einen natürlich, weil Mario Draghi als Chef der EZB in vielem sehr erfolgreich war, was nicht unbedingt dem Nutzen und Frommen der Deutschen galt. Zum anderen, weil die Brüsseler Administration Draghi stützen und Salvini verhindern will.
Die EU hat gerade die Erwartung für das Wirtschaftswachstum in Italien von 5 Prozent auf 6,5 Prozent nach oben korrigiert, und in Deutschland erwartet sie nur 3,6 Prozent (in der Euro-Zone im Schnitt 4,8). Die Inflationsrate wurde im Sommer 2021 für Italien auf 1,4 Prozent prognostiziert, für Deutschland doppelt so hoch, nämlich auf 2,8 Prozent. Im August hat das Statistische Bundesamt die Inflationsrate für Deutschland sogar auf 3,9 Prozent veranschlagt. Die Tendenz ist steigend, 5 Prozent könnten es bis Jahresende noch werden. Im Baugewerbe liegt Deutschland ohnehin bei 30 Prozent Inflation. Die Inflation schlägt auch hart auf die Lebensmittelpreise durch.
Die Daten zeigen Italien im wirtschaftlichen Aufstieg und Deutschland im Abstieg. Wagt man in einzelnen Positionen einen Vergleich zwischen Italien und Deutschland, wird schnell deutlich, wo die deutschen Probleme liegen, maßgeblich im gesinnungsethischen und wohlstandszerstörenden Handeln der deutschen Classe politique. Es existiert nicht der geringste Grund, den Italienern vorzuwerfen, Politik für Italien zu machen; man muss im Gegenteil deutsche Politiker fragen, weshalb sich ihre Politik gegen die deutschen Interessen richtet.
Das Dogma der Erneuerbaren Energien macht dem deutschen Wohlstand den Garaus. Es existiert in der deutschen Sprache unter vielen schönen Sprachbildern auch das von dem Ast, auf dem man sitzt und an dem man sägt. Das ist exakt die deutsche Situation: Die Energie- und „Klimaschutz“-politik der Regierung sägt an dem Ast, auf dem Deutschland sitzt. Die neue Regierung wird noch eine zweite und dritte Säge auspacken, weil das Ende des Wohlstandes für sie nicht schnell genug kommen kann.
Wenn eine Volkswirtschaft finanzielle Mittel von 209 Milliarden Euro im Grunde geschenkt bekommt, entfaltet sie eine wirtschaftliche Dynamik. Wenn man damit die Rentenkasse stützt und den Erwerb von Konsumgütern wie Fahrräder und Autos subventioniert und den digitalen Ausbau vorantreibt, dann sowieso. Da die italienische Staatsverschuldung hoch ist, wird unter anderem Deutschland für die teils schuldenfinanzierten Mittel einstehen müssen. Es sieht auch nicht so aus, als ob Italien auf das Schuldenmachen verzichten will.
In diesem Sinn ist es natürlich sinnvoll, dass Mario Draghi weiter für die Aufweichung der Maastricht-Regeln eintritt, die wegen der Corona-Krise bis 2023 ausgesetzt bleiben. In diesem Punkt kann er sich auf seine Nachfolgerin, Christine Lagarde, verlassen. Hatte Angela Merkel fast ganz den Widerstand dagegen aufgegeben, wird für einen Kanzler Olaf Scholz der Widerstand gegen die Aufweichung der Maastricht-Regeln ein Fremdwort sein. Die aktuelle Staatsverschuldung liegt in Italien gemessen am BIP bei 159 Prozent. Zum Lagebild gehört allerdings auch, dass Italiens Wirtschaftskraft, bevor sie um 6,5 Prozent wuchs, zuvor um 9 Prozent eingebrochen war.
Dennoch: Die Italiener gehen es beherzt an und setzen ihre Interessen klug durch. Ob die wirtschaftliche Erholung sich verstetigt oder nur ein etwas längeres Strohfeuer bleibt, wird die Zukunft zeigen. Es wird davon abhängen, ob Draghis Wirtschafts- und Haushaltspolitik auf europäischer Umverteilung, Subventionen und Schulden oder auf nachhaltigem Wirtschaften beruht.
Darüber hinaus wäre es für den Interessenausgleich in der EU und mithin zu ihrer Stabilisierung wünschenswert, wenn zur Mittelmeerunion ein weiteres europäisches Zentrum treten würde. Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen besitzt die alte Mitteleuropa-Idee beträchtlichen Charme. Doch statt darüber nachzudenken, machen sich die deutsche Politik und deutsche Medien zum Büttel der Brüsseler Hegemonie-Politik. Politisch treibt Deutschland Mitteleuropa wirtschaftlich in die Arme Chinas. Man kann der deutschen Politik und Teilen der deutschen Medien zu diesem Scharfblick nur gratulieren.
Ob die wünschenswerte wirtschaftliche Erholung Italiens anhalten wird, lässt sich schwer prognostizieren, doch dass Deutschland seine Wirtschaftskraft und seinen Wohlstand selbst zerstört, ist sicher. Die Deutschen haben den Abstieg gewählt. Und zwar den beschleunigten.