Das Beste an der zweiten österreichischen Republik sind Bundesländer, die in der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wirklichkeit einen Grad von Eigenständigkeit zeigen, von der die deutschen Bundesländer sich längst verabschiedet haben. Die Landeshauptleute der ÖVP sind es auch, die für die einzige Lösung sorgen können, wenn Sebastian Kurz dazu Einsicht und Kraft fehlen. Die Lösung ist eine Koalition ÖVP und FPÖ ohne Kurz und ohne Kickl.
Was von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft gegen Kurz juristisch relevant sein wird, kann vor dem Ablauf eines Jahres niemand wissen. Ein Jahr oder länger Medienbombardement halten aber weder Kurz noch ÖVP politisch aus. Das Wort von der Unschuldsvermutung ist da eben nur ein Wort, früher hätte man gesagt: ein Muster ohne Wert.
Hätte Kurz das strategische Format, das ich ihm zu Beginn seines Weges von der ÖVP zur Neuen Volkspartei und damit ins Kanzleramt zugetraut habe, würde er selbst für den kurzen und klaren Schritt sorgen, der da nur lauten kann: Die ÖVP schickt einen ihrer Landeshauptleute zu Bundespräsident Van der Bellen und bittet ihn um einen Auftrag zur Präsentation einer neuen Koalitionsregierung unter seiner Führung mit der FPÖ.
Die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat lassen gar nichts anderes zu:
Bei insgesamt 183 Abgeordneten braucht es zur Mehrheit 92 von ihnen. ÖVP plus FPÖ haben 101. Das verträgt auch einige Abweichler. Für eine Mehrheit gegen die ÖVP müssten SPÖ, Grüne und FPÖ zusammenkommen, die NEOS werden zu einer solchen Mehrheitsbildung gegen die ÖVP nicht gebraucht. Kickl traue ich in seinem rasenden Rachefeldzug gegen Kurz alles zu, auch das. Aber so eine Konstellation könnte nur kurz halten – baldige Neuwahlen wären unausweichlich. Van der Bellen und die grünen Medienleute haben ja schon eine „Expertenregierung“ wie einst unter Frau Bierlein oder so ins Spiel gebracht, das liefe auch nur auf Neuwahlen hinaus.
Will die ÖVP sich nicht zum Spielball der anderen machen lassen, muss sie selbst handeln, jetzt. Einer der Landeshauptleute muss Kurz als Bundesobmann der ÖVP und Bundeskanzler ersetzen, jetzt, hier und zügig. Nur so kann die ÖVP verhindern, dass Van der Bellen und die Grünen alle weiteren Schritte allein bestimmen. Wäre Kurz Stratege, wüsste er das und müsste selbst für diesen Weg sorgen – lautlos und bei gleichzeitigem Verzicht auf eigenes politisches Handeln, bis die Gerichte gesprochen haben. Noch kann Kurz diesen Weg selbst freimachen, wenn nicht, müssen es die Landeshauptleute ohne ihn tun.
So oder so, die Neue Volkspartei wird in diesen Tagen zu Grabe getragen, die ÖVP ist wieder ÖVP. Türkis eignet sich als Grabschleife, man trägt besser wieder Schwarz.