Von „Leaks“, also einem „Leck“ ist die Rede, aber das Bild ist mehr als schief. Die „Pandora-Papers“ – 11,9 Millionen Dokumente, die das „International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ)“ jetzt bekannt machen, sickerten wohl kaum unabsichtlich einfach so durch, wie Öl durch ein Leck aus einem Tank oder Wasser, dass in ein Schiff eindringt. Die Daten, die heimliche Geschäfte hunderter Politiker, teilweise noch aktiv und regierend, mit Briefkastenfirmen in sogenannten Steueroasen (Offshore) wurden wohl eher mit bestimmten Absichten freigesetzt.
Unter investigativen Journalisten stellt man sich wohl am ehesten solche vor, die aktiv nach Informationen suchen. In diesem Fall (und wahrscheinlich auch bei den meisten anderen journalistischen Aufdeckungen) war das aber offensichtlich umgekehrt: Sie wurden aufgesucht. Die Daten wurden den Journalisten vermutlich von einer Person oder (sehr viel wahrscheinlicher) einer Organisation zugestellt. Sie stammen nicht alle aus einer Quelle, sondern laut ICIJ aus 14 verschiedenen Unternehmen, die Offshore-Konstrukte anbieten. Da ist es naheliegend, keinen einzelnen Whistleblower wie Edward Snowden anzunehmen, sondern eine Organisation, die eine solche gigantische nicht öffentliche, vermutlich sogar besonders gesicherte Datenmenge aus mehreren Unternehmen zusammengetragen hat. Zum Beispiel einen Geheimdienst.
Dass eine solche Organisation, so sie denn die Daten zusammengetragen und an ICIJ gegeben haben sollte, dies womöglich mit eigenen politischen oder wirtschaftlichen Interessen getan haben dürfte, ist ebenfalls naheliegend.
Hinter diesem moralischen Urteil verschwimmt damit auch die Unterscheidung von eindeutig illegalen und legalen (aber möglicherweise unmoralischen) Praktiken in den Pandora Papers. In der Süddeutschen, die an ICIJ beteiligt ist, heißt es: „Geschäfte in Steueroasen sind nicht verboten, und sehr vieles, was sich an Deals und Investitionen im Leak findet, scheint absolut legal zu sein. Illegal wird es zum Beispiel, wenn steuerpflichtige Einnahmen, die in Steueroasen verbucht wurden, dem heimischen Finanzamt nicht gemeldet werden. Das wiederum zu überprüfen, ist für Medien kaum möglich.“
Auf der Liste der Übeltäter stehen mehr als 330 Politiker und Amtsträger, teilweise auch unpolitische Sport- und Show-Prominente und „130 Milliardäre aus Russia, den Vereinigten Staaten, der Türkei und anderen Ländern“. Zwischen vielen prominenten Namen taucht auch der mit zahlreichen Morden in Verbindung gebrachte Mafioso Raffaele Amato auf. Unter den bloßgestellten „World Leaders and Billionaires“ sind die Familie des aserbaidschanischen Präsidenten Alijew, der jordanische König Abdullah II., der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta und Personen aus dem Umfeld von Russlands Präsident Wladimir Putin und von Pakistans Premierminister Imran Khan. Sehr viel mehr Aufsehen in Europa als diese wenig demokratischen Persönlichkeiten erregte auf dieser Liste der amtierende tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš. Er soll demnach lange vor seiner politischen Karriere im Jahr 2009 über ein kompliziertes Firmengeflecht aus mindestens drei Briefkastenfirmen in Washington, Monaco und den Britischen Jungferninseln anonym ein Herrenhaus in Frankreich für mehr als 15 Millionen Euro erstanden haben.
Das ICIJ stellt zwar im Zusammenhang mit den Pandora Papers keine unmittelbaren konkreten Forderungen, aber die offen geführte Klage über die „Power Players“, die das Offshore-System beenden könnten, es aber zum eigenen Nutzen missbrauchen und ihre Länder verarmen lassen, baut einen moralischen Druck auf zugunsten der politischen Pläne für eine globale Mindestbesteuerung, also zur Austrocknung von Steueroasen. Im Juli erst hatten sich die Finanzminister der G20-Staaten darauf geeinigt, dass Unternehmen einen globalen effektiven Steuersatz von mindestens 15 Prozent auf ihre Gewinne zahlen sollen, um „dem schädlichen Steuerwettbewerb um die geringsten Steuern ein Ende“ zu setzen – „eine echte Revolution der internationalen Besteuerung von Unternehmen, die historisch ihresgleichen sucht“, heißt es dazu beim Bundesfinanzministerium. Die Initiative ging seit 2018 vor allem von den Ministern Deutschlands und Frankreichs, Olaf Scholz und Bruno Le Maire, aus. Die Anprangerung von Offshore-Praktiken bei Politikern und Prominenten könnte nun als Argument dafür dienen, solch eine Regelung schneller und umfassender einzuführen.
Politisch brisant ist vor allem der Fall des tschechischen Ministerpräsidenten. Babiš, der als Chemie-Unternehmer reich wurde, und 2011 die „Bewegung ANO 2011“ gründete, ist schon früher wegen Korruptionsverdacht in Verruf gekommen und auch mit der EU-Kommission in Konflikt geraten, wegen möglichen Interessenkonflikts durch Agrarsubventionen für sein Unternehmen Agrofert. Und vor allem: Babiš gilt als „Populist“ (die Vorsilbe „rechts“ allerdings ist ANO schwerlich anzuhängen, er wird manchmal Unternehmerpopulist genannt und mit Silvio Berlusconi verglichen). Als solcher ist er weder in Brüsseler Fluren, noch in den Redaktionen der meisten westeuropäischen Medien besonders wohlgelitten.
Auffällig ist, dass ausgerechnet jetzt die Pandora-Papers bekannt werden, da in Tschechien in der kommenden Woche das Parlament neu gewählt wird. Die Daten liegen dem ICIJ nach eigenen Angaben schon seit rund zwei Jahren vor und wurden seither von rund 600 Journalisten untersucht. Babiš wies die Anschuldigungen mittlerweile zurück: Er habe weder etwas Ungesetzliches noch etwas Schlechtes getan, sagte Babiš der Nachrichtenagentur CTK laut Medienberichten. Er sprach von einem Versuch, ihn „zu beschmutzen und auf diese Weise die tschechischen Parlamentswahlen zu beeinflussen“. Nach einer neuen Umfrage im Auftrag des Senders CNN Prima News würde ANO mit 27,3 Prozent der Stimmen deutlich stärkste Kraft werden.