Tichys Einblick
Fernsehwahlkampf

Scheinbar ausgewogen und doch manipulativ – ARD und ZDF in der „Schlussrunde“

Die Moderatoren der öffentlich-rechtlichen Sender haben eine echte Herkulesaufgabe auf sich genommen: ihre ansonsten meist spürbar grün-linke Parteipräferenz zu verbergen – wenngleich die Fassade des guten Journalismus allzu leicht bröckelte.

Screenprint ARD /Schlussrunde Parteienkandidaten

Wahl-Debatten sind in aller Welt Sternstunden des Fernsehens. Millionen Menschen lassen sich von der zuweilen schicksalshaften, wahlentscheidenden Konfrontationen der Spitzenkandidaten in den Bann schlagen. Doch es gibt Unterschiede, jede Demokratie hat ihre eigene politische Kultur, ihre Besonderheiten. In Deutschland konnte man heuer erleben, wie diese Debatten in den öffentlich-rechtlichen Sendern eingebettet waren von Wellen der Sympathie für Politik und Kandidaten der Linken und Grünen – ein Spiegelbild so gut wie aller Programme und Sendungen im Radio und Fernsehen. Die AfD dagegen wurde von den Journalisten der Sender fast wie ein politischer Paria behandelt; Unionsparteien und FDP wurden oft ziemlich krass benachteiligt, ohne dass sie sich trauten, sich dagegen zu wehren. Ein klein wenig anders war es bei der „Elefanten-Runde“ am Donnerstagabend, drei Tage vor der Wahl.

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Tina Hassel hat sich wirklich große Mühe gegeben. Die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios versuchte gemeinsam mit ihrem Berliner ZDF-Kollegen Theo Koll demonstrativ unparteiisch und fair die letzte große TV-Wahlveranstaltung vor dem Bürgervotum am Sonntag zu moderieren. Vor vielen Millionen Fernseh-Zuschauern sollte keiner der sieben Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien bevorzugt werden.

Der ehrenwerte Versuch verdient zunächst einmal Respekt, muss es doch für Starjournalisten der öffentlich-rechtlichen Sender eine echte Herkulesaufgabe sein, ihre ansonsten meist spürbar grün-linke Parteipräferenz zu verbergen. Also sollte man Hassel und Koll nachsichtig zugestehen, dass sie sich bemüht haben – wenngleich die Fassade des guten Journalismus allzu leicht bröckelte.

Die angebliche Populistin ohne viel Brillanz

Ausgerechnet der wohl schwierigste, weil tief verabscheute Gast, die Vorsitzende der AfD, Alice Weidel, machte es den Moderatoren ziemlich leicht, die ihr zustehende Redezeit nicht wie sonst üblich drastisch mit vehementen Zwischenfragen zu zerlöchern. Frau Weidel mag durchaus nachvollziehbar und sachlich gerechtfertigt vor einer Stigmatisierung aller Kritiker der Berliner Corona-Politik warnen, verschleuderte Milliarden für die EU, für Migranten und Flüchtlinge anprangern oder die fragwürdige deutsche Energie- und Klimapolitik kritisieren – aber die AfD-Vorsitzende ist nun alles andere als eine begnadete Rednerin.

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Die Formulierungen sind mühsam, die Argumente nicht griffig, der Redefluss eher stotternd. Und dazu immer dieses unecht anmutende Lächeln einer etwas beleidigten und unverstandenen Person. Vielleicht typisch für AfD-Politiker, die persönlich kaum im Verdacht stehen, mit Rechtsextremismus zu sympathisieren. Trotz der eher schwachen Performance von Weidel hatte Frau Hassel nicht die innere Disziplin, sich eine lästerliche Kritik zu verkneifen. Nach einer Argumentation von Weidel betonte die Moderatorin naserümpfend, dass „man das ja auch anders sehen kann“. Als ob das nicht für jeden einzelnen Redebeitrag der gesamten Sendung gegolten hätte – aber nur einmal wurde es ausgesprochen, nämlich gegen Weidel.
Die Illusion einer fairen Debatte unter Demokraten

Ganz anders erging es der Vorsitzenden der Linken, Janine Wissler, die sich rhetorisch geschickt und freundlich lächelnd für sozialistische Phantasien von Enteignung, Umverteilung und Abrüstung einsetzte, aber auch Kompromissbereitschaft signalisierte. Sie durfte ausführlich und kaum wirklich hinterfragt für R2G (rot-rot-grün) werben. Auch die beiden anderen Wahlkampf-Lieblinge der öffentlich-rechtlichen Sender in diesem Wahlkampf, Annalena Baerbock von den Grünen und Olaf Scholz von der SPD, konnten ihre Argumente und Sichtweisen darlegen. Sie wurden, wenn sie überhaupt nicht auf die Fragen der Moderatoren eingegangen waren, durchaus auch wiederholt unterbrochen. Harmlose Geplänkel einer solchen Runde.

Hassel und Koll werden in der Nachbesprechung sicher hochzufrieden mit sich gewesen sein; denn es war keineswegs so, dass nun die Vorsitzenden von Union und Liberalen bei der Debatte auffällig benachteiligt worden wären. Ein unbefangener, wenig informierter Wahlbeobachter aus Chile oder Neuseeland müsste den Eindruck bekommen haben, eine faire, gut geführte Wahldebatte gesehen zu haben.

Armin Laschet (CDU), Markus Söder (CSU) und vor allem Christian Lindner (FDP) kamen ausführlich zu Wort. Die Zuschauer werden wieder einmal den Eindruck gehabt haben, dass Laschet selbst mir guten Argumenten wenig mitreißend daher kommt, Söder persönlich eindrucksvoller und rhetorisch brillanter als der Unions-Kanzlerkandidat auftritt und Lindner ein sehr beschlagener, eloquenter und gewiefter Politiker ist, der für die wichtigsten Werte von Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaat eintritt, bei dem man nicht ganz sicher sein kann, welchen und wie vielen Kompromissen er letztendlich zustimmen wird.

Wollte man nun Wasser in den Wein der Veranstaltung gießen, müsste man die Wahlbeobachter zur Seite nehmen und sie auf einige Aspekte aufmerksam machen.

Themenauswahl, Framing, Tabus

Die Sendung begann mit dem Thema eines spektakulären Mordes an einer Tankstelle in Idar-Oberstein vor einer knappen Woche. Ein ausgeflippter, 49 Jahre alter „Querdenker“ erschoss einen jungen Mann hinter der Kasse, weil dieser ihn aufgefordert hatte, eine Maske beim Biereinkauf zu tragen. Die Tat begründete der Mann mit seinem Hass auf staatliche Anti-Corona-Maßnahmen. Schnell entstand im ganzen Land das Narrativ, der eigentliche Nährboden für diese Wahnsinnstat sei „die Rechte“, ganz besonders die „Querdenker“-Bewegung und die AfD, aber auch alle anderen, (in Wirklichkeit sehr heterogenen) Kritiker der staatlichen Corona-Politik.

Heftig wurden mehr Maßnahmen „gegen den Hass im Netz“, mehr Zensur, Eingriffe und Kontrolle gefordert – ein absolutes Lieblingsthema der Linken und Grünen, bei dem sie leidenschaftlich und hoch emotional nach mehr Staat verlangen und gerne auch Konservative („Nähe zu rechts“) und Liberale (die bei der Beschneidung von Freiheitsrechten sensibel sind) mit in den weiteren Kreis der Schuldigen für die „Gefahr von rechts“ einbeziehen.

Thematisch war der Einstieg bei der TV-Debatte ein Elfmeter für Baerbock, Scholz und Wissler – auch wenn Laschet sich mühte, sich selbst an die Spitze jener zu stellen, die gegen den „Hass im Netz“ vorgehen wollen. Die Moderatoren taten das Gleiche, was unzählige ihrer Kollegen in den Redaktionen seit geraumer Zeit tun: sobald es eine Gewalttat gibt, die in irgendeiner Weise den „Rechten“ zugerechnet werden kann, wird es gnadenlos und in endlosen Wiederholungsschleifen gegen alles, was nicht links ist, instrumentalisiert.

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Dass es in Deutschland auch ein enormes Potenzial von Hass und Gewalt von links gibt, ist in einer solchen Sendung selbstverständlich kein Thema, nicht ein Wort fällt über die Aggressivität und Militanz der Antifa-Szenen oder die Radikalität der Kommunisten im Land. Auch bei den Linken sprach eine Teilnehmerin auf einer „Strategiekonferenz“ unverblümt davon, dass nach der Revolution ein Prozent der Reichen erschossen werden. Unbeachtet blieb, dass sich die Antifa seit jeher mit Gewaltaktionen gegen angebliche Rechtsextreme brüstet, ignoriert, dass die gewalttätigen Ausschreitungen von Linksextremen seit vielen Jahren fast reaktionslos hingenommen werden, die Behörden von Berlin oder Hamburg vor allem mit fragwürdigen „Deeskalations-Strategien“ reagieren – wie gerade erst in Leipzig geschehen. Von der Unzahl angezündeter und ausgebrannter „Luxusautos“ in Berlin, anderen Sachbeschädigungen („Gewalt gegen Sachen“) oder den Drohungen von Linksextremen gegen unliebsame Politiker, Wissenschaftler oder Künstler gar nicht zu reden. 2020 wurden laut Bundeskriminalamt 9973 linksextremistisch motivierte Straftaten und 1359 linksextreme Gewaltdelikte registriert (29 Prozent mehr als 2019).

Auch der zweite Komplex – oh Wunder – gilt als Lieblingsthema der Linken: die Probleme am Wohnungsmarkt. Zwar unterscheiden sich Linke, Grüne und SPD durchaus in Nuancen, was die Bereitschaft zu Enteignungen und gravierenden Reglementierungen des Mietrechts betrifft. Aber dass hier die Verteidiger des Marktes und des Privateigentums einen schweren Stand gegen populistische Parolen haben, ist klar. Auch hier wird ein extrem wichtiger Aspekt schlichtweg von allen ignoriert: Die Belastung des Wohnungsmarktes durch zwei Millionen oder mehr Migranten und Flüchtlingen seit 2015 hat natürlich einen erheblichen Anteil an der Wohnungsnot in den Städten. Das auch nur anzusprechen, traut sich heute offenbar kaum ein Konservativer oder Liberaler. Zu schnell droht die Rassismus-Keule.
Auch bei der Diskussion um die Staatsfinanzen wird klar, dass Themenauswahl und Fragestellungen gezielt und geschickt zugunsten der „Guten“ (aus Sicht der Moderatoren) gesetzt wurden. Erörtert wurden Schuldenbremse und Investitionsbereitschaft, nicht aber, dass die SPD, die Grünen und die Linken massiv auch die finanzielle Integration Europas anstreben – womit die deutschen Steuerzahler für die Schulden, die Kosten der Arbeitslosigkeit oder die maroden Rentensysteme anderer Länder aufkommen müssten.

Das Framing gelingt auch beim Thema Klimawandel. Natürlich wird ein direkter Kausalbezug zwischen der Überschwemmungskatastrophe im Juli und dem Klimawandel gezogen, von niemandem hinterfragt. Die erste Frage richtet sich dann nach der Bereitschaft der Parteivorsitzenden, persönlich auf etwas zugunsten des Kampfes gegen die Klimaerwärmung zu verzichten. Angesichts dieses grotesken, politisch völlig irrelevanten Ansatzes und angesichts der Ignoranz gegenüber der realen Bedeutung Deutschlands für den weltweiten CO2-Ausstoß entsteht eine wirre Diskussion, mit moralisch und emotional argumentierenden Grünen und Linken und eher hilflosen Versuchen von Lindner und Laschet, das Thema angemessen und einigermaßen nüchtern einzuordnen. Frau Weidels berechtigte Warnungen vor einer Zerstörung des Industriestandorts Deutschland verhallen unbeachtet.

Natürlich nutzten die beiden öffentlich-rechtlichen Starmoderatoren auch das immer wieder beliebte Mittel der Cancel Culture. Nicht nur missliebige Personen werden abgedrängt und ausgeschlossen, auch inhaltlich Unliebsames wird einfach ausgeblendet, verdrängt und ignoriert. So gab es auch bei dieser Wahldebatte – wie bei den vorangegangenen Triellen und anderen TV-Veranstaltungen – kein Wort zu den Themen Migration, Flüchtlinge und Islam. Diese drei Problemkreise fordern die deutsche Gesellschaft bereits auf vielen Ebenen massiv heraus, manche fürchten, diese Themen würden in den kommenden Jahrzehnten in Deutschland und Europa immer stärker ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen rücken. Solche Überlegungen haben die Spitzenpolitiker wohl ebenso wenig wie die Journalisten vor ARD und ZDF – oder?

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