Nichts Neues bei den Spitzenkandidaten der Bundestagsparteien im ÖRR
Georg Gafron
CDU, CSU und FDP setzen auf Steuersenkungen, die Kraft des Marktes und weniger Staat, SPD, Grüne und Links-Partei auf Steuererhöhungen für „Besserverdiener“, weniger Markt, mehr Staat - nichts Überraschendes.
Diese Schlussrunde der Spitzenkandidaten der relevanten Parteien war tatsächlich wie der Endspurt beim 1.000-Meter-Lauf. Im sprichwörtlichen Schweinsgalopp jagte das Moderatorenduo Tina Hassel und Theo Koll durch die Landschaft der wichtigsten politischen Probleme. Sieben auf einen Streich – so lautete diesmal die Devise, Olaf Scholz als Kanzlerkandidat der SPD, Armin Laschet in gleicher Funktion für die CDU/CSU, Markus Söder als Chef der bayerischen Schwester CSU, die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, die Scholz zusammen mit der Vorsitzenden der Links-Partei, Janine Wissler, in die Mitte nahmen, gegenüber FDP-Chef Christian Lindner und die von allen sichtbar als Fremdkörper behandelte Alice Weidel, Vorsitzende der AfD.
Gleich zu Beginn ging es um den Mord von Idar-Oberstein. Im Streit über die Maskenpflicht erschoß ein offensichtlicher Kritiker dieser Maßnahme einen jungen Angestellten einer Tankstelle. Einstimmig die Verurteilung dieser schlimmen Tat durch die Runde. Dann aber zog, wie fast immer bei solchen Anlässen, ein Bodennebel von Behauptungen und Urteilen auf. Obwohl die genauen Umstände der abscheulichen Tat noch nicht aufgeklärt sind, und Näheres über den Täter noch nicht bekannt ist, wurde pauschal die Querdenker-Bewegung für die Mordtat verantwortlich gemacht. So bequem solche schnellen Zuordnungen auch sein mögen, sind wie immer bei Pauschalierungen mehr Emotionen als sachliche Bewertung die Grundlage.
Schon mehrfach hat der Verfassungsschutz betont, daß die Querdenker-Bewegung und die, die sich durch sie angesprochen fühlen, in der Mehrheit aus Personen der bürgerlichen Mitte dieser Gesellschaft bestehen. Versuche, rechtsextremistischer Gruppierungen, auf diesen Zug aufzuspringen, seien gescheitert. Es ist bezeichnend, wie gerade im Staatsfernsehen, aber auch in der Politik, diese Fakten unter den Teppich gekehrt werden. Diffamieren von Kritikern anstelle von sachlicher Auseinandersetzung führt zwangsläufig zu Verhärtungen und passen nicht zu westlichen Demokratien.
Die einzige, die darauf hinwies, war Alice Weidel. Auch hier stellt sich die Frage, ob die offene Feindseligkeit der Moderatoren gegenüber dieser Frau der AfD mehr nutzt als schadet? Interessant wäre auch gewesen, ob die Bewegung der Kritiker der Corona-Maßnahmen in Frankreich, Italien, Israel und vielen anderen Staaten eigentlich auch Nationalsozialisten seien, oder ob dies eine originär deutsche Erscheinung sei. Wer sich jetzt über dieses Argument empört ist, sei gesagt, daß es dem Autor nicht um Sympathien oder Antipathien geht, sondern lediglich um den fairen und sachlichen Umgang mit Fakten und Personen. Stattdessen wurde für mehr Härte des Staates plädiert. Eigentlich hätte an dieser Stelle die Grünen-Kandidatin Baerbock, wie auch der Liberalen-Chef Lindner, mal ein paar kritische Worte zu dem unverhältnismäßig-brutalen Vorgehen der Polizei gegenüber Corona-Demonstranten sagen müssen. Immerhin beschäftigt sich mittlerweile der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen mit den Berliner Vorgängen im August.
Dann aber ging es Schlag auf Schlag weiter: Wohnungsnot?, Lage der Finanzen?, Klimapolitik? und natürlich Steuern hoch oder runter? – die Antworten waren vorhersehbar, weil schon etliche Male vorgetragen. SPD, Grüne und Links-Partei für Steuererhöhungen für die „Reichen“ und mehr staatliche Regelungen – die CDU gemeinsam mit FDP und AfD für insgesamt weniger Steuern, Abschaffung des Solidaritätszuschlages für Alle, und Vertrauen in die Lenkungskräfte des Marktes. Jedem Zuschauer musste klarwerden, daß es sich am Sonntag um eine Richtungswahl für unser Land handelt. Interessant dabei war die klare Absage des SPD-Matadors Scholz an Mietendeckel und Enteignungen, wofür sich Wissler von der Links-Partei klar aussprach. Baerbock wollte sich nicht festlegen und verwies auf die weitere Entwicklung, dann könne man ja entscheiden.
Der wirklich neue und spannende Teil des Abends kam fast zum Ende der Kandidaten-Show. Wie sollte Deutschlands Rolle in der sich dramatisch verändernden Weltlage aussehen? Angesichts der immensen Bedeutung dieses Komplexes aus Bündnisfragen, Sicherheitspolitik und wirtschaftlichen Interessen für die Entwicklung aller Bereiche unserer Gesellschaft kann die geringe Präsenz dieser Frage während des ganzen Wahlkampfs nur verwundern. Oft wird bei uns mit Blick auf die auftrumpfende Großmacht China auf die wirtschaftliche Bedeutung dieses Landes für Deutschland hingewiesen und dabei vergessen, daß die USA bei deutschen Exporten den gleichen Rang wie das Reich der Mitte einnehmen.
Unweigerlich dürfte eine weitere Zuspitzung des Verhältnisses zwischen Washington und Peking, aber auch zu Moskau, zu Konflikten führen und Europa im Verlaufe ihrer Lösungen zu unbequemen Entscheidungen zwingen. Eine neutrale Position könnte sich gerade Deutschland nicht leisten. Erstaunlich klar bezog der sonst bei diesen Fragen eher schwammige Markus Söder Stellung. Ein neuer deutscher Sonderweg würde zu großer Unruhe führen und auf keinen Fall vom Rest Europas akzeptiert werden. Bei allem Befürworten einer stärkeren Eigenständigkeit Europas waren sich Scholz, Laschet, Söder, Lindner und auch Baerbock einig, daß die Mitgliedschaft in der Nato als Kern der transatlantischen Beziehungen, sowie die Einhaltung aller Verträge und Absprachen mit den USA unverrückbarer Bestandteil deutscher Politik bleiben müsse.
Niemanden kann es wundern, daß Links-Partei und AfD hier andere Positionen einnahmen. So hielt Wissler für ihre Partei am Ziel der Auflösung der Nato, und damit der Westbindung, fest, wie auch Weidel den Vorrang deutscher Wirtschafts-Interessen vor moralischen Aspekten im Verhältnis zu China und Russland betonte. Auffallend war das klare Nein Lindners auf die Frage, ob die Ukraine Mitglied der Nato werden solle. Bei allem Für und Wider – an erster Stelle muss unverändert das Recht der Völker stehen, in freier Selbstbestimmung über ihre Bündniszugehörigkeit zu entscheiden. Das Votum der Ukrainer ist hier ein eindeutiges Ja. Ob das westliche Bündnis einem Antrag auf Aufnahme zustimmt, ist eine andere Frage. Überraschend war auch, daß CDU, SPD, FDP und Grüne einer Stärkung der militärischen Kraft zur Sicherheit Europas zustimmten. Schon von daher müssten sich Koalitionen mit Links-Partei und AfD verbieten.
Die nächsten Wochen werden für die Zukunft Deutschlands von großer Bedeutung sein. Nach langen Jahren des Herumtänzelns und Schwadronierens wird es, wie in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wieder um grundsätzliche Weichenstellungen gehen.
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