Berlin (ATN). Die Grünen wollen nach der Bundestagswahl Sozialpolitik auf neue Art betreiben: Hilfe vom Staat für Haushaltsarbeiten wie Putzen, Rasenmähen oder Babysitten. „Künftig soll es vom Staat geförderte Gutscheine geben, die bei geprüften Dienstleistungsagenturen eingelöst werden können“, heißt es in einem fünfseitigen Papier, das die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckhardt vorgestellt hat. Göring-Eckardt will die bisherige Lösung für haushaltsnahe Dienstleistungen, von der vor allem Besserverdienende durch teilweisen Steuerabzug profitieren, ersetzen durch ein System staatlicher Gutscheine.
Wie das genau funktionieren soll darüber hat TE exklusiv ein Interview mit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden geführt. Es kam nur unter der Bedingung zustande, dass wir Göring-Eckhardt zusagen mussten, ihre Vorbemerkung zu Beginn des Interviews abzudrucken:
Göring-Eckardt: Eigentlich gebe ich rechtsgerichteten Meinungsmedien wie Tichys Einblick keine Interviews, weil sie ja doch meine Äußerungen verdrehen und verbiegen würden, so dass sie in Ihr Weltbild von den „verbotssüchtigen Grünen“ passen. Aber diesmal mache ich eine Ausnahme. Ich will deutlich machen, dass hinter der in einigen Medien geradezu hämisch aufgemachten Schlagzeile „Gutscheine für Putzfrauen“ viel mehr steckt. Nämlich ein neuer Ansatz, eine neue Philosophie – wir Grünen wollen Deutschland wirklich verändern. Und zwar zum Guten – durch uns, die Guten.
TE: Das ist ja ein hoher Anspruch, wie so oft bei den Grünen. Aber die Mühsal liegt ja in der Ebene, in den Einzelheiten. Wer soll denn die Gutscheine bekommen und wer nicht?
Göring-Eckhardt: Wir wollen weg von Förderung, von der die Reichen profitieren, hin zu einer Förderung, mit der den Bedürftigen geholfen wird. Vom jetzigen Steuerabzug von 510 Euro im Jahr für die haushaltsnahe Dienstleistung einer Putzhilfe im Mini-Job oder gar 4000 Euro in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung hat die Arztgattin im Bungalow gut 200 Euro oder sogar rund 1800 Euro Vorteil. Die alleinerziehende Mutter zweier Kinder in der Hochhaus-Mietwohnung nichts. Denn sie zahlt keine Einkommensteuer und das Geld für die Putzhilfe hat sie gar nicht. Die staatlichen Gutscheine für Putzhilfen soll es nur geben für Alleinerziehend:innen, für Hartz-IV-Empfänger:innen, für Bezieher:innen von Grund-und Mindestrente, für Studierenden-WG`s, und für Migranten-Großfamilien.
Die ersten drei kann ich ja noch nachvollziehen. Aber wieso denn die letzten beiden Gruppen?
Sie haben mal in einem Interview über die Erziehung Ihrer zwei Söhne gesagt: „Wenn Du das Klo nicht putzen kannst, findest Du keine Frau“. Wieso wollen Sie heute Studenten dafür einen Gutschein geben?
Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun. Das eine war private Erziehungsmaxime, das andere ist grüne Bildungs-und Sozialpolitik.
Wer bekommt denn die Gutscheine, um den Rasen mähen zu lassen oder Unkraut zu beseitigen?
Wer gibt denn die Gutscheine aus, wer stellt die Bedürftigkeit der Begünstigten fest? Da besteht ja große Mißbrauchsgefahr.
Da haben Sie Recht. Deshalb werden wir eine oberste Bundesbehörde einrichten, ein „Staatliches Gutscheinamt“, das bei einem der grüngeführten Ministerien nach der Bundestagswahl angesiedelt sein wird. Wir werden dem erfolgreichen Modell von Bundesgesundheitsminister Spahn bei der Verteilung von FFP2-Masken folgen. Damals wurden 400 Millionen FFP2-Masken kostenlos an Risikogruppen und bedürftige Hartz-IV-Empfänger verteilt. Die fälschungssicheren Gutscheine dafür druckte die Bundesdruckerei und das wollen wir auch künftig beibehalten. Denn Missbrauch von Bedürftigkeit, also das Vortäuschen echter Not, das darf es nicht geben. Und wir wollen das Gutschein-System später auf weitere Bereiche ausbauen, zum Beispiel im Klimaschutz.
Aber diese einmalige Aktion war ja auch einmalig teuer, 2,5 Milliarden Euro hat das laut Bundesregierung gekostet. Bundesrechnungshof, Steuerzahlerbund und andere haben das heftig kritisiert. Und das wollen Sie zur Dauereinrichtung machen?
Göring-Eckhardt: Das ist eine völlig schiefe Betrachtung. Jede Bedürftige ist eine Bedürftige zuviel, in der Corona-Pandemie hat die Große Koalition ja auch ständig gewarnt, jede Corona-Tote ist eine zu viel. Ja, die Hilfe für Bedürftige muss uns etwas wert sein. Wir sind ein reiches Land, ich zitiere mal die scheidende Bundeskanzlerin: Wir schaffen das – und zwar mit Umverteilung des Reichtums.
Und wie sollen diejenigen bezahlt werden, die per Gutschein die Leistung erbringen, sei es als Putzhilfe oder Babysitter?
Wer beschäftigt und bezahlt Ihre „Gutschein-Arbeiter:innen“ denn, der Staat?
Natürlich nicht. Das geschieht bei Dienstleistungsagenturen, die vom Staatlichen Gutscheinamt zertifiziert werden. Wir werden dabei profitorientierte Anbieter von Reinigungsleistungen wie Helpling, Mr.Cleaner, HappyMaids oder Dussmann von vornherein ausschließen. Mit der Notdurft anderer darf kein Geschäft gemacht werden (lacht). Es werden gemeinwohlorientierte Hilfsorganisationen sein wie das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt oder die ethisch besonders gefestigte „Aktion.Deutschland.Hilft“. Diesen Organisationen erstattet das Staatliche Gutscheinamt dann auf Nachweis pauschal die Kosten, so wie bei der FFP2-Masken-Verteilung die Apotheken für ihre Leistung entlohnt wurden.
Alle Erfahrung zeigt, wenn es etwas umsonst gibt, z.B. einen Gutschein, explodiert die Nachfrage. Nochmal: Wer prüft, wer wirklich bedürftig ist und wie weisen die Bedürftigen ihre Bedürftigkeit nach?
Auch wenn Sie suggerieren wollen, das sei alles Wolken-Kuckucksheim. Nein, das ist – wie Annalena Baerbock in der Energiewende nachgewiesen hat – alles durchgerechnet. Das ist machbar. Bei Anträgen von Hartz-IV-Empfänger:innen und Rentner:innen reicht die Bescheinigung vom Amt. Bei der Alleinerziehenden der Steuerbescheid oder eine Bescheinigung vom Sozialamt. Bei Studierenden-WG´s Mietvertrag, Studienbescheinigung und Selbstauskunft über die Anzahl der Personen. Bei den Migranten-Großfamilien ebenfalls ein Mietvertrag, Grundbucheintrag, Bescheinigung der Ausländerbehörde und eine Selbstauskunft über die Anzahl der Familienangehörigen. Das soll alles unbürokratisch und vor allem digital geschehen, am besten per Handy. Damit fördern wir auch die dringend nötige Digitalisierung des Landes. Und im Staatlichen Gutscheinamt brauchen wir natürlich eine Gegenkontrolle. Dafür wollen wir viele neue, gutbezahlte Arbeitsplätze schaffen – für junge, computeraffine Akademiker:innen, bevorzugt aus solchen Studiengängen, die ansonsten Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Also Geistes- und Gender-Wissenschaften, divers und nach allen Regeln identitätspolitischer Ausgewogenheit ausgewählt. Wir dürfen kein akademisches Prekariat schaffen, wir wollen den direkten Übergang vom Bafög in den TaVöD*. Wir müssen den jungen Leuten Chancen bieten, am Umbau der Gesellschaft für eine bessere, sozialere, grünere Welt mitzuwirken. Denn – wie ich einmal gesagt habe – unser Land muss sich ändern, und zwar drastisch.Und ich freue mich drauf. Das alles steckt hinter meiner scheinbar simplen Idee von staatlichen Gutscheinen für Putzhilfen. Das hätten Sie nicht gedacht, oder?
TE. Nein, wirklich nicht. Wir danken Ihnen für das Gespräch.
*Tarifvertrag öffentlicher Dienst
Claudia Pritt