Razzia im Finanzministerium. In dem Haus, das der Kanzlerkandidat der SPD leitet. Keine drei Wochen vor der Wahl. Eigentlich müsste diese Nachricht durch die Decke gehen. Doch das tut sie nicht. Zwar greifen alle Medien die Razzia auf, doch nicht unbedingt als Topmeldung. Die Bild etwa hält in ihrer Bundesausgabe am Freitag den CSU-Generalsekretär, der gegen den CDU-Kandidaten möppert, für die härtere Geschichte und setzt mit Scholz am unteren Blattrand auf.
In den sozialen Netzwerken ist diese Gewichtung ein Thema: CDU nahe Accounts monieren, die Medien würden das Thema tot schweigen, andere konservative Nutzer verstärken die Kritik. Doch sie greift zu kurz. Schon allein weil die meisten Kritiker von der Razzia aus eben der Presse von der Razzia erfahren, der sie Totschweigen vorwerfen.
Zwar gibt es eine ungleiche Gewichtung von Themen in Medien: Über ein Attentat oder ein Gewaltverbrechen berichten ARD, ZDF und die meisten Zeitungen zum Beispiel intensiver und anders, wenn der Täter einen rechtsextremistischen Hintergrund hat, als wenn es ein linksextremistischer oder islamischer Hintergrund ist: In zwei Fällen dürfe man nicht von der Tat auf die Gesellschaft schließen – im anderen Fall müsse man es.
Im Falle von Baerbock lässt sich das gesteigerte Interesse der Leser gut erklären: Die Grünen haben die Bekanntgabe, wer kandidiert, lange hinausgezögert. Das war erst einmal ein Coup und erhöhte das Interesse an der grünen Spitzenfrau. Der Effekt kehrte sich allerdings ins Gegenteil, als dann Skandale aufkamen, die von ihrer Wirkkraft eigentlich wenig bedeutend sind, aber interessante Einblicke auf den Charakter der möglichen Bundeskanzlerin und Frau der Stunde gaben.
Der andere Faktor in der Frage, ob aus einer Berichterstattung eine Kampagne wird, ist die Politik selbst. Fachleute kennen den Begriff der „parlamentarischen Eskalation“. Damit ist gemeint, dass sich Politiker der Instrumente bedienen, die ihnen ihr Status als Abgeordneter im Landtag oder Bundestag erlaubt. Das fängt mit einer Pressemitteilung an, geht über eine Anfrage an die Regierung oder die Beratung in den Ausschüssen und endet bei Resolutionen oder Gesetzesanträgen im Parlament.
Anders als die Grünen hat sich die SPD früh auf ihren Kanzlerkandidaten festgelegt. Scholz war den Bürgern zudem schon über Jahrzehnte als Person des öffentlichen Lebens vertraut. Seine Skandale auch. Wirecard oder Cum-Ex waren so – zumindest in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs – nichts Neues.
Der Grund dafür ist denkbar offensichtlich: Die CDU ist bei diesen Themen selbst vorbelastet. Zur Razzia im Finanzministerium kam es, weil eine dem Haus untergeordnete Behörde, die FIU, Vorwürfe der Steuerhinterziehung nicht weiter auf dem Amtsweg geschickt habe. Stimmt das, würde es sich um Strafvereitlung im Amt handeln. Zumal der Verdacht im Raum steht, dass Schwarzgeld in Waffengeschäfte geflossen sei.
Die CDU stellt die Bundeskanzlerin und hält einige Staatskanzleien in den Ländern. Die Gefahr, dass sie selbst in die Affäre verwickelt ist und sie auf die Union zurückfällt, ist nicht gering. Ebenso wie die Chance, dass ein Finanzminister und Bundeskanzler unter Druck entsprechendes Material sofort in der Presse lancieren würde. Also bleiben viele Möglichkeiten der parlamentarischen Eskalation ungenutzt.
Stattdessen hofft die CDU darauf, dass die Medien ihr die Arbeit abnimmt und die Berichterstattung zur Kampagne werden lässt. Doch daraus dürfte nichts werden und das nicht nur, weil viele Medien eine Schlagseite nach links haben. In den lokalen Tageszeitungen – für einen breiten Teil der Bevölkerung die einzige Zeitung und der Meinungsmacher – fehlt es an Fachwissen im Bereich des Steuerrechts. Das Gleiche gilt auch für private Funkmedien und einen Großteil der öffentlich-rechtlichen Mitarbeiterschaft. Die Redaktionen sind zu einer überwältigenden Mehrheit von Geisteswissenschaftlern besetzt.
So profitiert Teflon-Olaf davon, dass er und seine Arbeit uninteressant erscheinen. Er gibt sich keine sichtbare Mühe, das zu ändern. Und so gehen vielleicht 16 Jahre Merkel zu Ende. Doch trotz Wirecard, Cum-Ex und Strafvereitlung bleibt uns die „Asymmetrische Demobilisierung“ wohl erhalten.