Seit Verhängung der Lockdowns hat die EZB ihre konsolidierte Bilanz rasant ausgeweitet. Die Bilanzsumme verdoppelte sich nahezu auf über 8,2 Billionen Euro. Das treibt nicht bloß die Preise von Vermögensgütern wie Aktien und Immobilien nach oben, sondern auch zunehmend die Konsumentenpreise. Im Euroraum lag der Harmonisierte Verbraucherpreisindex im August bei 3 Prozent – in Deutschland verteuerten sich Alltagsgüter innerhalb eines Jahres um 3,9 Prozent.
Die Öffentlichkeit schaut deswegen gebannt auf die Sitzung des EZB-Rates, der am Donnerstag (13.45 Uhr) den weiteren geldpolitischen Kurs und eine Inflationsprognose verkündet. Dass die EZB den Leitzins erhöht, der seit März 2016 bei 0 Prozent liegt, gilt als unwahrscheinlich. Indes könnte die Zentralbank an zwei anderen Stellschrauben drehen: Beobachter rechnen damit, dass sie weniger Anleihen aufkauft und ihre Inflationsprognose für das Jahr 2023 anheben könnte.
Mit einer höheren Prognose für 2023 würde die EZB wohl Wasser auf die Mühlen der Kritiker leiten. Immer wieder behaupten EZB-Vertreter, Inflationsraten von 3 oder 4 Prozent seien bloß „vorübergehend”. Doch an dem EZB-Narrativ werden vermehrt Zweifel laut. Etwa sagte der ehemalige Bundesbank-Chef Axel Weber kürzlich, er glaube nicht, dass sich das Problem der steigenden Preise von selbst erledigen werde. Vielmehr werde ein aktives Gegensteuern der Zentralbanken zu irgendeinem Zeitpunkt notwendig sein. Die EZB werde aber zuerst den Zuwachs und das Niveau ihrer Bilanz stabilisieren. „Und erst in ferner Zukunft wird man Bilanzen abbauen und dann eventuell die Zinsen angehen”, sagte der Verwaltungsratschef der Schweizer Großbank UBS.
Gleichwohl ist eine Kurswende in naher Zukunft unwahrscheinlich. Ein höherer Leitzins oder deutlich geringere Anleihekäufe dürften nicht im Interesse der Euroländer liegen, besonders der hochverschuldeten Südstaaten. Die Zinsen auf Staatsanleihen würden steigen und den Budget-Druck auf insbesondere Italien und Co. erhöhen. Es sind denn auch vor allem EZB-Ratsmitglieder aus Schuldenstaaten, die sich öffentlich für ein Fortsetzen der Anleihekäufe aussprechen, berichtete kürzlich eine Studie des Mannheimer Instituts ZEW. Ratsmitglieder aus sparsamen Ländern plädierten eher für das Aussetzen von Programmen wie PEPP und warnten vor Inflationsgefahren. Das galt vor allem für die nationalen Zentralbankpräsidenten, die einen Großteil der Sitze im EZB-Rat halten. Weniger deutlich war dieses Ergebnis für die sechs weiteren Mitglieder aus dem EZB-Direktorium, zu denen auch EZB-Chefin Christine Lagarde und die deutsche Vertreterin Isabel Schnabel zählen.
Indes hätte eine Zinsanhebung auch massive Folgen für Privatunternehmen. Die Kreditzinsen der Geschäftsbanken würden steigen, was die Finanzierungskosten von verschuldeten und ertragsschwachen Unternehmen nach oben treiben dürfte. Das könnte angesichts einer steigenden Zahl von Zombiefirmen – laut einer Studie der Unternehmensberatung Kearney hat sich die Zahl seit dem Jahr 2010 weltweit fast verdreifacht – zu einer Pleitewelle führen. Auch hierzulande lag die Zahl der Unternehmenspleiten im August auf einem Rekordtief, berichtete das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). 570 Personen- und Kapitalgesellschaften gingen demnach bankrott – in der Boomphase von 2010 bis 2018 seien es etwa 1000 pro Monat gewesen. „Aufgrund staatlicher Stützungsmaßnahmen spiegeln die anhaltend niedrigen Insolvenzzahlen nicht das tatsächlich Insolvenzgeschehen wider“, sagte IWH-Mitarbeiter Steffen Müller.
Die Geldmengenausweitung trifft vor allem Menschen, die wenig Vermögensgüter wie Aktien und Immobilien besitzen, und drückt die realen Löhne. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen berichtet etwa, dass die Niedrigzinsen den Vermögensaufbau für ärmere Haushalte erschweren. „Von der expansiven Geldpolitik haben vor allem die Haushalte profitiert, die in der Vorkrisenzeit eine Immobilie erworben und finanziert haben und die bei sinkenden Zinsen ihre Kreditkosten senken konnten und gleichzeitig von steigenden Immobilienpreisen profitiert haben“, schreiben die Autoren des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.