Längst ist der Skandal um das Frankfurter Spezialeinsatzkommando (SEK) der hessischen Polizei zu einem Kampf zwischen dem Innenminister Peter Beuth (CDU) und einigen SEK-Beamten geworden, die sich vorverurteilt fühlen. Nachdem mehrere SEK-Beamte sich an die Presse wandten, ist jetzt der Innenminister am Zug.
Beuth hatte das SEK Frankfurt wegen Verdacht auf Rechtsextremismus aufgelöst, ohne die Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Der schon zuvor durch den NSU 2.0-Skandal angeschlagene Innenminister wollte wohl einen neuen Skandal durch eine voreilige Auflösung der Spezialeinheit verhindern. Diese Strategie ging so lange gut, bis SEK-Beamte sich an Tichys Einblick und dann auch an andere Medien wie Bild, Spiegel, Welt und den Hessischen Rundfunk (HR) wanden. Die vermeintlich rechtsextremen Räume erschienen plötzlich nicht mehr rechtsextrem, was dann auch der Verfassungsschutz und das LKA bestätigte. Und von den SEK-Beamten an die Presse gegebene Chats stellten sich als überwiegend harmlos heraus. Selbst die Ermittlungen kamen zum Urteil, dass es sich bei den vermeintlich rechtsextremen Chats um „überwiegend straffreie Kommunikation“ handele.
Innenminister Beuth schlägt gegen SEK-Beamte zurück
Nun hat Innenminister Beuth zurückgeschlagen. Es ist eine Schlacht, die er gewinnen will, bestenfalls noch vor der Bundestagswahl. In Absprache mit dem hessischen Landeskriminalamt (LKA) und der Staatsanwalt (StA) Frankfurt hat das hessische Innenministerium nun Bildbeschreibungen der SEK-Räume sowie Wortlaute der Chats veröffentlicht – und die haben es in sich. Zweifellos sind die acht Chat-Beispiele, welche auf einer Pressekonferenz mit nur eingeladenen, ausgesuchten Journalisten veröffentlicht wurden, menschen- und fremdenverachtend. Trotzdem darf die Verhältnismäßigkeit der Dimension nicht außer Acht gelassen werden: Ausgewertet wurden rund eine Millionen Nachrichten, 2,3 Millionen Bilder, 55.000 Videos und 82.000 Audiodateien, von denen nur insgesamt 27 Inhalte als strafrechtlich relevant eingestuft werden.
Aus dem Dienst entfernt wurden aber sämtliche Beamten der rund 65 Mann starken Einheit; auch jene, die sich nicht an den Chats beteiligt haben. Es handelt sich also um eine Kollektiv-Strafe. Außerdem werden die Beamten von Ihrem Dienstherren gezielt öffentlich diffamiert und in ihren Persönlichkeits- wie Arbeitnehmerrechten geschädigt.
Zudem räumten SEK-Beamte gegenüber TE ein, dass im Jahr 2018 eine „Fehlerkultur“ stattgefunden habe, indem sie beschlossen haben, mit dem „Stammtischniveau“ und „schwarzen Humor“ Schluss zu machen. Die betreffenden Chats sind aus den Jahren 2016 und 2017. Damals hatte die Polizei noch verbreitet Nordafrikanische Intensivtäter als „Nafris“ bezeichnet – heute darf die ethnische Herkunft nicht mehr benannt werden. Doch Beuth greift tief in die Kiste, um möglichst alle Beamten zu diskreditieren.
Fakt ist: Diese präsentierten Chat-Beispiele haben zu recht schockiert, aber sie sollten auch schockieren. Falls dies ein Versuch war, die SEK-Beamten einzuschüchtern, so mag dies zumindest teilweise funktioniert haben. So teilte ein SEK-Beamter der Autorin mit: „Hallo liebe Zara, ich habe heute erst durch die Presse von den neuen Vorwürfen gegen uns erfahren. Ich bin ehrlich schockiert und persönlich sehr enttäuscht, dass es solche Äußerungen anscheinend gegeben hat. Hätte ich so etwas mitbekommen, hätte ich das nicht toleriert. Allerdings war ich nicht in allen Chats, daher kann ich nicht sagen, wo diese Zitate plötzlich her kommen. Wenn mir diese Äußerungen bekannt gewesen wären, wäre ich niemals an die Presse herangetreten und wäre ich nicht von der Unschuld aller ausgegangen. Ich kann mich nur für die dort getätigten Aussagen entschuldigen.“
Die von Beuth eingeladenen Journalisten berichteten über diese gravierenden Chat-Nachrichten – die tatsächlich so gravierend erscheinen, dass keiner der Journalisten sie mehr hinterfragte. Doch jetzt sollten erst recht journalistische Fragen und Zweifel aufkommen: Wie kann es sein, dass betroffene SEK-Beamte diese veröffentlichten Chats nicht kennen? Wieso sollten Polizisten sich die Blöße geben, bei der Presse ihre Unschuld zu beteuern, wenn sie in Kenntnis solcher Chat-Nachrichten wären?
Die Wirkung der Veröffentlichung: Nun werden alle SEK-Beamten mit diesen acht abscheulichen Chat-Beispielen in eine direkte Verbindung gebracht. Differenziert wird nicht. Dabei stellen sich nun relevante Fragen: Woher kommen diese veröffentlichten acht Chat-Beispiele? Sind diese alle aus einem Chat – oder aus verschiedenen Chatgruppen?
Innenministerium und Staatsanwaltschaft verweigern konkrete Einordnung
TE bat mit einer Reihe von Fragen das Landeskriminalamt (LKA), die Staatsanwaltschaft und das Innenministerium um eine konkrete Einordnung der acht Chat-Beispiele – doch die Fragen wurden nicht beantwortet. Das LKA verwies sofort auf die Staatsanwaltschaft, diese wiederum kam nach „Absprache mit der Fachabteilung“ zum Entschluss, dass man nicht antworten könne, da die Ermittlungen noch laufen. Beuths Innenministerium verwies schlicht auf vorhandene Pressemitteilungen, die keine der Fragen nur annähernd beantworten können.
Das LKA und Beuth machten öffentlich, wie viele Millionen Dateien ausgewertet wurden – aber sie verschwiegen, wie viele Chat-Gruppen insgesamt ausgewertet wurden. Ist das Absicht? Als TE nochmals beim Ministerium nachhakte mit dem Hinweis, dass diese Information doch schon im öffentlichen Umlauf durch Vorträge innerhalb des Polizeipräsidiums seien, folgte ein völliges Ignorieren. Kritischer Journalismus stört offenbar nur. LKA, Staatsanwaltschaft und Beuth haben sich offensichtlich dazu entschieden, diesen Fall nicht de facto transparent zu machen. Dieser Eindruck ist verheerend.
Aus welchen Chat-Gruppen stammen die veröffentlichten Chat-Beispiele?
Ein geschockter SEK-Beamter sagte gegenüber TE: „Die versuchen uns so schlecht dastehen zu lassen wie möglich.“ Laut diesem SEK-Beamten gab es insgesamt über zwanzig(!) Chat-Gruppen, an denen jeweils unterschiedliche SEK-Beamte teilnahmen. Es gab ihmzufolge auch Gruppen mit nur vier Personen. Ein SEK-Beamter ist sich sicher, dass das „Beispiel 7“ aus einem Chat von nur zwei Personen stammt. Zudem hätten „mindestens zwei der Beispiele“ in Chats mit womöglich nur zwei Personen stattgefunden. Das Ministerium wollte dies weder bestätigen noch negieren oder kommentieren. An einer konkreten Einordnung besteht also kein Interesse. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass viele SEK-Beamte einige dieser gravierenden Chat-Nachrichten nicht empfangen, nicht gelesen oder auch nicht weiter versendet haben; letzteres ist strafrechtlich eine relevante Frage.
Das LKA und Beuth gaben keine Auskunft auf ihrer Pressekonferenz über die konkrete Zahl der Versender, Empfänger, Leser oder Weiterversender der Chat-Nachrichten. Ein SEK-Beamter äußert gegenüber TE die Ansicht, dass vermutlich viele der veröffentlichten Chat-Beispiele aus einem bestimmten Chat (TE ist der Name der Chat-Gruppe bekannt) mit ca. 15 teilnehmenden SEK-Beamten stammen. Auch sei ein Problem, dass dort Tausende von Beiträgen geteilt worden waren, sodass oft verpasste Nachrichten im zweistelligen Bereich nicht mehr nachgelesen wurden. „Nur wer es offiziell empfangen hat mit dem Häkchen in Whatsapp, muss es nicht auch gelesen haben.“
Das Ministerium lässt die Öffentlichkeit und die Pressevertreter völlig darüber im Unklaren, wie viele SEK-Beamte tatsächlich Versender der acht Chat-Beispiele sind und wie viele Empfänger es gibt. Niemand weiß zum jetzigen Zeitpunkt, woher genau alle Chat-Beispiele explizit stammen. Zu keinem einzigen Beispiel gibt es einen präzisen Kontext.
Wurden Chats vom Ministerium falsch präsentiert?
SEK-Beamte kritisieren gegenüber TE, dass einige der Chat-Beispiele aus dem Kontext gerissen wurden. Sie betonen aber, dass sie die Aussagen dadurch nicht als weniger problematisch ansehen. Am Inhalt der zitierten Chat-Nachrichten gibt es nichts zu relativieren
Laut den Beamten sei etwa das „Beispiel 4“ in dieser präsentierten Bildbeschreibung falsch dargestellt worden. Es lautet: „Ein Bild zeigt einen bearbeiteten Stimmzettel für die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag im Wahlkreis 158 Sächsische Schweiz – Osterzgebirge. Bei der Erststimme wurde der Name Adolf Hitler und bei der Zweitstimme der Parteiname NSDAP eingefügt. Beides wurde händisch mit einem dicken schwarzen Stift angekreuzt.“ Mit dieser Beschreibung werde der Eindruck vermittelt, dass der jeweilige Versender diesen Wahlzettel selbst kreiert und eigenhändig angekreuzt hätte. Stattdessen würde es sich um ein „fertiges Satire-Bild“ handeln, das sehr wahrscheinlich „kommentarlos“ in eine der größeren Chat-Gruppe mit ca. 15 Teilnehmern geschickt worden war. Überdies könnte man dieses „Satire-Bild“ auch anders verstehen, nämlich „als eine Kritik an einer im Osten durch Wahlergebnisse erstarkten rechtsaußen Partei“, so ein Beamter gegenüber TE.
Falls dies tatsächlich als eine solche Kritik gemeint war, dann würde das bedeuten, dass das Ministerium hier eigenwillige Interpretationen präsentiert. Wurde denn überhaupt schon der Versender nach seinen Beweggrünen befragt? Das Ministerium verbreitet mit dieser Darstellung den Eindruck, als ob alle SEK-Beamten der Gesinnung der Nationalsozialisten nahestünden. Dabei ist ein beschuldigter SEK-Beamter sogar der entscheidende Hinweisgeber im NSU 2.0 Fall gewesen. Eigentlich sollte er dafür ausgezeichnet werden, doch nun wird auch er durch diese Präsentation der Ermittlungen selbst in Zusammenhang mit Nazis gebracht.
Hintergründe zu umstrittenen Chat-Nachrichten
„Beispiel 8“ ist zweifellos eine sehr Ausländer- und Frauen-feindliche Kommunikation „(Zu sehen sind Fotos, bei denen es sich um Polizeikommissaranwärterinnen handeln soll) – „Endlich mal ne Tussi! Sonst machen sich ja nur Messerstecher und Kanacken bemerkbar auf der HPA! [Anm. TE-Redaktion: Hessische Polizei Akademie]“ – „Wir wollten doch immer Nutten bei der Polizei. Jetzt sind sie da und ihr beschwert euch“ (lachender Smiley)“
Ein SEK-Beamter spricht gegenüber TE über die Hintergründe für einen solchen verbalen Ausfall, ohne ihn dadurch entschuldigen zu wollen. Demnach stünden diese Aussagen in Zusammenhang mit beruflichen Erlebnissen der Polizisten, die in Chats „immer wieder thematisiert“ wurden. Ein SEK-Beamte erklärt: Viele Menschen mit Migrationshintergrund hätten sich damals für die Polizei Akademie beworben, wovon auch einige angenommen wurden. Zum einen hätte man zu einer bestimmten Zeit diese Bewerber durchs Polizeisystem laufen lassen, wodurch sich herausgestellt hätte, dass einige von den Bewerbern mit Migrationshintergrund bereits Strafanzeigen hatten. Zum anderen wurden immer wieder problematische Fälle bekannt. Beispielsweise schrieb ein Polizist mit Migrationshintergrund nach seiner Zulassung auf der Polizei Akademie auf Facebook unter einem Bild von sich selbst mit Polizei-Marke: „Dankeschön an jedem der mir Glück gewünscht hat bin jetzt endlich bei der Polizei und dieser pic [türkisch: Bastard] der unseren Bruder Bekir erschossen hat den ficke ich noch! Allah yorhamak bekir [Gott schütze Bekir].“ Der Screenshot liegt TE vor.
Des Weiteren sei das Wort „Messerstecher“ nicht auf Ausländer bezogen gewesen, sondern auf einen Fall wie im Juni 2017 in Wiesbaden – die Chats stammen aus den Jahren 2016 und 2017 – als ein 23-jähriger Polizeianwärter in eine tödliche Messerattacke verwickelt war. „Solche Fälle waren bei uns natürlich immer Thema und wurden in Chat-Gruppen kritisch angesprochen.“ Der Beamte spricht von „bösem Humor“. Die Frage wie viel Humor und wie viel Fremdenfeindlichkeit in solchen Aussagen steckt, ist wiederum eine andere.
Auch dass „Nutten bei der Polizei“ gewesen wären, hätte mit der Realität der Polizisten zu tun, was aber nach eigenen Angaben der SEK-Beamten keinesfalls ein genereller Sprachgebrauch der Beamten sei und diese Formulierung nicht entschuldigen soll. So hätten sich mehrere Frauen bei der Polizei auf Facebook freizügig bis völlig nackt gezeigt mit anstößigen Bildbeschreibungen. TE liegen davon Screenshots vor. Eine der Polizistinnen schreibt unter ihrem Bild: „Fuck the poli**e (lachende Smiley). Wer Spaß und Freude haben will kommt zur mir zur Bundespolizei (Kuss-Smiley) #Sex #Spaß #Bitch (lachender Smiley).“ Darunter seien Polizistinnen, die nebenberuflich auch als „Escort-Damen“ aktiv gewesen wären.
Hat das Innenministerium die Reihenfolge der Chats manipuliert?
Beim „Beispiel 7“, das vermutlich einen Zweier-Chat darstellt, fällt eine Ungereimtheit bei den Zeitstempeln auf.
Entweder die eingeladenen Journalisten oder das Innenministerium haben die Reihenfolge oder den Zeitstempel falsch angegeben. Abgesehen davon, dass „Alle erschießen einfach“ eine vollkommen unakzeptable Aussage für einen Polizisten ist, wäre es dennoch wichtig, richtigzustellen, ob sich dies konkret auf „Ausländer“ bezieht oder nicht. Wurde hier bewusst die Reihenfolge für eine noch stärkere Dramaturgie verändert? Weder die Staatsanwaltschaft noch das Ministerium wollten nach einer Anfrage diesbezüglich für eine Richtigstellung sorgen. Womöglich kriegen Journalisten von auserwählten, dem Ministerium wohlgesonnten Medien demnächst eine Antwort darauf. Fragt sich auch, wieso die bei der Pressekonferenz anwesenden Journalisten nicht die Diskrepanz der Zeitstempel hinterfragt haben,
Die vorverurteilende Politik nimmt kein Ende
Obwohl TE detailliert öffentlich machte, dass Teile der Einrichtung der SEK-Räumlichkeiten, die als „bedenklich“ und „rechtsradikal“ dargestellt wurden, größtenteils präsidiumsbekannt und abgesegnet waren, beharrt das Innenministerium auf der Argumentation. Fakten zählen offenbar nicht mehr. Denn: Verfassungsschutz und LKA haben nach einer Raum-Analyse festgestellt, dass dort keine direkten Bezüge zu Rechtsextremismus und kein Verdacht für weitere Straftaten existieren. Und dennoch zieht der externe Berater Dr. Reiner Becker einen Vergleich bis zum Nationalsozialismus: „Auch wenn die Sprüche und Symbole nicht als rechtsextremistisch zu bewerten sind, wecken sie zum Teil Assoziationen zur Zeit des NS-Unrechtsregimes.“
Gleichzeitig erwähnte der Expertenrat, dass Symbole gegen Rechtsextremismus vorgefunden wurden – womöglich wurde diese Information nur preisgegeben, weil TE publik mache, dass auch antirechtsextreme und antinationalsozialistische Dekorationen in den Räumen existent waren. Das ist das erste Mal, dass Beuth Ministerium entlastende Informationen veröffentlicht. Dennoch halten der vom Ministerium eingesetzte „Expertenstab“ und Polizeipräsident Stefan Müller an der Behauptung der „inakzeptablen“ Räume fest, die von einer militarisierten Selbstwahrnehmung und Überhöhung zeugen würden. Dass es in den Räumen beispielsweise ein Bild mit einer Faust gab, die ein Hakenkreuz zerschlägt mit der Aufschrift „GEGEN NAZIS“, scheint da keine Rolle spielen zu dürfen.
Der Eindruck verfestigt sich, dass Innenminister Beuth die Fakten so auslegt, wie es ihm politisch von Vorteil ist. Keine Frage: Es gab im SEK Frankfurt Beamte, die inakzeptable Äußerungen taten. Doch was hier passiert, ist eine pauschale Brandmarkung aller SEK-Beamten als Nazis, unabhängig von Fakten.
Anmerkung: TE liegen weitere Information über Hintergründe der Chat-Beispiele vor, die zum Schutz der Betroffen hier nicht genannt werden können.