Der Musiker Bela B. hat über Facebook einen Aufruf der „Kulturschaffenden“ gestartet, diesmal grün zu wählen, den über 30 Kulturschaffende unterzeichnet haben. Dass „Kulturschaffende“ niemals an „Diskussionsorgien“, an gesellschaftlicher Diskussion interessiert waren und es bis auf den heutigen Tag auch nicht sind, dokumentiert die Zeile unter Bela B.s Aufruf im trockenen Facebook-Deutsch präzise: „Bela B hat eingeschränkt, wer diesen Beitrag kommentieren kann.“
Den Aufruf, der sich wie der Text eines Mitschunkelschlagers grüner Weltanschauung liest, wollen die „Kulturschaffenden“ nicht kommentiert haben. Das Volk hat ihm widerspruchslos Folge zu leisten. So wie sich im Schlager Herz auf Schmerz reimt, reimt sich in Bela B.s Aufruf auf: Schuld ist der Westen an Zerstörung von Klima und Natur/, deshalb wähle am 26. September grüne Ökodikatur.
Außer der Redundanz abgenutzter Phrasen, außer den bekannten drittklassigen Katastrophenszenarien und Apokalypsepolonaisen bietet Bela B.s Text, der die Frage aufwirft, ob er den Bericht des IPCC, auf den er sich beruft, wirklich gelesen hat, nichts Neues oder Nachdenkenswertes. Üblicher Politkitsch mit Weltuntergangstrallala.
Bela B. und den aufgeregten Unterzeichnern des Aufrufs geht es darum, dass die Partei, die bekanntlich immer Recht hat, die Macht übernimmt, denn erstens muss der Planet gerettet, zweitens soziale Gerechtigkeit eisern durchgesetzt werden – mit ganz klaren Zuteilungen, was jedem zukommt und was nicht. Und drittens benötigen die „Kulturschaffenden“ wieder eine Parteilinie, an die sie sich nach der verwirrenden Zeit der Meinungsfreiheit und -vielfalt halten können. Deshalb wählen sie
„am 26. September Bündnis 90/Die Grünen. Es geht nicht um Annalena Baerbock oder aufgehübschte Lebensläufe, es geht um die ökologische Transformation der Gesellschaft, um eine nachhaltige, klimabewusste und solidarische Zukunft in Deutschland und überall auf der Welt. Die zentralen Punkte ihres Programms können die Grünen nur umsetzen, wenn sie möglichst viele Stimmen bekommen. Versetzen wir sie in die Lage dazu!“
Die „Kulturschaffenden“ bereiten sich im Takt der Weltrettung gute Gefühle. Am 26. September wählen die deutschen Bürger also nicht nur den deutschen Bundestag, sondern auch die neue Weltregierung. Der ökologische Internationalismus der „Kulturschaffenden“ macht es möglich. Zwar wird da – realistisch gesehen – die Welt nicht mitmachen, aber die ökologische Gemeinwohldiktatur steht zumindest in Deutschland ante portas.
Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer, aber die Rückkehr der „Kulturschaffenden“ erinnert an kulturpolitisch düstere Zeiten, an das Klirren der Fahnen im Wind, an die bleierne Zeit.
Doch auch in der anderen totalitären Diktatur reüssierte der kollektivierende Begriff der „Kulturschaffenden“, bezeichnete er in der stalinistischen Diktatur die mit der Arbeiterklasse verbündete Schicht der „Kulturschaffenden“, die Werktätigen der Feder und des Pinsels – und was man sonst noch zur klassenbewussten Ausübung von Kunst benötigt. So konnte das Neue Deutschland am 22. November 1976 titeln: „Überwältigende Zustimmung der Kulturschaffenden der DDR zur Politik von Partei und Regierung. Und in der Unterzeile hieß es: „Für die weitere kontinuierliche Fortsetzung der Politik des IX. Parteitages der SED.“ Die „Kulturschaffenden“ warben für die Politik der Partei, damals nicht der Grünen, sondern der SED. Sie verurteilten Wolf Biermann, und ziehen ihn der Hetze. Erik Neutsch geißelte Kritiker wie Wolf Biermann als Leute, die der Partei in ihrem „gerechten Kampf in den Rücken fielen“, Ludwig Renn sah sich, die „Kulturschaffenden“ und die Partei, „in einem sich täglich verschärfenden Kampf gegen Monopolismus, Neokapitalismus, Rassismus.“ Das Neue Deutschland fasste die Statements der Kulturschaffenden wie folgt zusammen: „Tausende Künstler und Kulturschaffende sowie Tausende Arbeitskollektive und zahlreiche Werktätige äußern in Stellungnahmen und Briefen ihre entschiedene Zurückweisung der Hetze….“ Sie waren halt mehr. Schon damals wurden andere Meinungen, Auffassungen und Standpunkte als Hetze diffamiert, und in der frühen DDR wurden „Boykotthetzer“ mit drakonischen Strafen belegt, zumeist mit langjährigen Inhaftierungen.
Im Aufruf der „Kulturschaffenden“ heißt es, dass die „Die Menschheit …vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte“ steht. Das steht sie übrigens immer, wenn eine Diktatur durchgesetzt werden soll, denn nur drakonische, nur diktatorische Maßnahmen vermögen vor dem behaupteten Weltuntergang zu retten. Die „Kulturschaffenden“ „können mit den Schwächen der Grünen leben, weil es andere Politikbereiche gibt, die in ihrer Folgenschwere und Dringlichkeit unsere persönlichen Interessen in den Hintergrund drängen: Klimaschutz, Umweltschutz, Schutz der Menschenrechte.“ Für den Klimaschutz darf offenbar jedes Menschenrecht ausgehebelt werden, denn die Forderung des Klimaschutzes steht an erster Stelle. Die Hybris ist bemerkenswert. Bela B. meint, das Klima wie ein scheues Reh „schützen“ zu können, Annalena Baerbock glaubt tatsächlich, das Klima zu kontrollieren (jedenfalls fürchtet sie, dass wir die Kontrolle verlieren). Wer wird eigentlich Baerbocks Sonnenbevollmächtigter und wer ihr Asteroidenkommissar? Bela B.? Den es offensichtlich nach Sternenstaub gelüstet? Der Superlativ gehört übrigens nicht ins Lexikon der Demokratie.
Historisch ist das Muster, von Kritik abzusehen, weil es „andere Politikbereiche gibt, die in ihrer Folgenschwere und Dringlichkeit unsere persönlichen Interessen in den Hintergrund drängen“, bestens bekannt. In der DDR nannte man bspw. die Opfer des Kommunismus „Gestehungskosten“ auf dem Weg zum Kommunismus. Um das Menschheitsziel zu erreichen, mussten eben Opfer, Repressalien, Unfreiheit ertragen werden. Hauptsache man kam auf dem Weg des Guten voran. Und das Gute bekam man eben nicht umsonst, da musste das „persönlichen Interesse“ an Freiheit und Leben auch schon mal „in den Hintergrund“ treten.
Man hört aus den Zeilen des Aufrufs den Wunsch heraus, endlich den herben Bedeutungsverlust, den man nach dem Ende der sozialistischen Diktatur erlitten hat, zu überwinden.
Es mag äußerlich ein Zufall sein, doch lese ich gerade den Briefwechsel von Marina Zwetajewa und Boris Pasternak, der in vorzüglicher Übersetzung und Edition im Wallstein Verlag erschienen ist – und denke an die Dichterin, deren Verse ich das erste Mal in einer zweisprachigen Ausgabe des Verlages Volk und Welt, die 1980 erschienen ist, begegnet bin. Der Gedichtband trägt den Titel: „Maßlos in einer Welt nach Maß.“
Mit den Grünen kommt die Welt der Verbote und des Verhaltensmaßes als Maßgabe oder genauer Maßvorgabe zurück, die Welt der „Kulturschaffenden“, die darüber befinden, was man sagen und schreiben und leben darf.
Marina Zwetajewa wollte in dieser Welt des Maßes nicht länger leben und schied, die Tochter im Gulag wissend, 1941 aus dieser Welt der Vorgaben und Gestehungskosten, in der „unsere persönlichen Interessen in den Hintergrund“ treten mussten. Kunst, auch Dichtung kann nicht im Kollektiv existieren, nicht unter „Kulturschaffenden“. Sie ist individuell, wie die Freiheit. Denn darum geht es letztlich, um die Freiheit. Es existiert kein höheres Ziel.