Tichys Einblick
Liebesmüh unter Polizeischutz

Auf der IAA buhlt die Autoindustrie um öffentliche und staatliche Zuneigung

Mit der IAA will die deutsche Autoindustrie ihr Produkt konsensfähig erhalten – und den Staat zur Hilfe motivieren. Proteste von teils militanten Umwelt- und Verkehrsaktivisten kommen dazwischen. Und die aktuellen Marktzahlen sind auch nicht berauschend.

Polizisten sichern den West-Eingang zur Messe München – Proteste gegen die IAA machen es notwendig

IMAGO / Sven Simon

In München hat in dieser Woche die IAA Mobility begonnen, die Internationale Automobilausstellung, einst die weltgrößte Leitveranstaltung der deutschen Automobilindustrie, bis ihr China und Shanghai vor wenigen Jahren den Rang abgelaufen haben. Aber nur der Dimension, nicht der thematischen Substanz nach, was auf die gekonnte und bewährte Organisationsführung durch den Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) zurückzuführen ist.  

Diesmal also IAA Mobility mit neuem Konzept, an neuen Ort, mit neuer Zielrichtung. Mobilität auf Rädern, nicht mehr nur Auto! Und das alles in der Hoffnung, das Automobil auch unter Ökologieaspekten als Mobilitätsträger Nr. 1 im Individualverkehr in seiner Spitzenposition für alle konsensfähig zu erhalten – vergebliche Liebesmühen – Proteste von teils militanten Umwelt-  und Verkehrsaktivisten auch in München, der Metropole der Gemütlichkeit.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Um die neue Botschaft zu verbreiten, hat der VDA keine Mühen und Kosten seiner Mitglieder gescheut. Die ganze Stadt wurde auf den Kopf gestellt, sozusagen Oktoberfest auf Rädern. Es war sofort zu sehen: Auf den großen Plätzen der Innenstadt standen Kräne, Handwerker arbeiteten unermüdlich, Bühnen und LED-Wände wurden aufgebaut, blaue Verkehrslinien von der Innenstadt zum Messegelände eingerichtet, viele Dinge zum ersten Mal ausprobiert: ein großes Konferenz-Programm, eine Test-Strecke über die Stadtautobahn, ein digitales Streamprogramm in die ganze Welt. Und ein neues Konzept in Form eines zusätzlichen und beeindruckenden Open Space Ausstellungsgeländes, das sich quer über Plätze der Münchner Innenstadt erstreckt und für das breite Publikum zugänglich ist.

Viel Aufwand, um zu demonstrieren, dass Automobilität nachhaltig und Deutschland auch in Zukunft das Autoland der Welt sein will.  

Allerdings: Aufregende neue Verbrennerautos, die sonst seit 100 Jahren bei jeder IAA die Auto-Enthusiasten anzogen, gab es keine. Auch 100 Weltneuheiten, viele im Gimmik-Format, reißen keine PS-Fan aus dem Sessel. Stattdessen ein eindringliches Verdeutlichen an allen Ecken und Kanten, vor welche Herausforderungen die Transformation die deutsche Automobilindustrie stellt. Und warum staatliche Förderung und Unterstützung entscheidend für das Gelingen dieses Umbruchs sind – etwa bei Prämien für E-Autos, dem Ausbau der Ladeinfrastruktur, aber auch der Schaffung entsprechender Standortbedingungen.

Internationale Automobilausstellung IAA
Automobilindustrie paradox – Ein Sommer voller Widersprüche
Wenn die Erinnerung nicht ganz täuscht, hat man diese Botschaften irgendwie schon mal gehört! Nicht in tibetanischen Klöstern sondern in Wort und Schrift beim VDA. An der Empfehlung von Präsidentin Hildegard Müller vom Wochenende davor „…  noch einmal durchzuatmen,….bevor es zur IAA geht..“, ist also was dran. Und, wie Müller sibyllinisch hinzufügte: “.. zum hoffentlich letzten Mal in Zeiten von Corona …“! Auch BMW-Vertriebsvorstand Pieter Nota orakelte: „Die IAA steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit“ (Interview Automobilwoche). 

Aber das heißt eben noch lange nicht, dass die IAA auch nachhaltig ist. Die Branchendaten für eine IAA waren in der Vergangenheit jedenfalls schon mal besser.

Vorkrisenniveau im August weiter deutlich verfehlt 

Auch im August konnten alle wesentlichen Schlüsselzahlen der Branche: Zulassungen, Produktion, Export erneut nicht an das Vorjahresniveau heranreichen. Lediglich der Markt für Elektro-Fahrzeuge expandierte weiter und gewann Marktanteile hinzu. (Tabelle + Schaubild; Quelle: VDA, KBA).

Im August 2021 wurden in Deutschland 193.300 Pkw neu zugelassen,  23 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Aufgrund der schwachen ersten Quartale 2020 wurden in den ersten acht Monaten  mit 1,8 Mio. Pkw das Vorjahresvolumen allerdings um 2 Prozent  überschritten. 

Das Wachstum täuscht allerdings, denn im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Jahres 2019 wurden immer noch ein Viertel weniger Pkw neu zugelassen. Das Vorkrisenniveau auf dem deutschen Pkw-Markt ist weiterhin nicht in greifbarer Nähe. Im Einzelnen zeigte sich folgende Entwicklung:

Trotz der hartnäckigen Marktschwäche gibt es Lichtblicke, nicht nur für Radfahrer sondern vor allem für Klima-Aktivisten. Der Elektroanteil auf dem deutschen Pkw-Markt erreichte einen neuen Höchststand.

Bis einschließlich August wurden in Deutschland 18.067 Tesla zugelassen (+ 121,6 Prozent; 1,0 vH), etwas mehr als von Porsche mit 17923 (+11,9 Prozent; 1,0 vH)

Der durchschnittliche CO2-Ausstoß ging weiter um -18,2 Prozent zurück und betrug 114,6 g/km.

Erholung der Branche ins Stocken geraten
Ausblick 2021

Die August-Daten haben die Skepsis des letzten TE Branchenreport (August 2021) untermauert: Die Prognose für die nächsten zwölf Monate ist durchwachsen. Die schlechte Verfügbarkeit von Halbleitern ebenso wie rapide steigende Preise für Frachten, Vormaterialien und importierte Rohstoffe trüben den Ausblick. Auch die Unsicherheit über den Wahlausgang mag die eine oder andere Kaufentscheidung zunächst einmal auf Eis gelegt haben.

Die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen speziell in Deutschland sind trotz aufkommender Inflationsverunsicherung (noch) gut. 

Eine weitere Beherrschung der Covid-19-Pandemie in Deutschland vorausgesetzt hätte vieles für eine Fortsetzung der kräftigen Erholung der Autoindustrie in den kommenden Monaten gesprochen. Allerdings ist inzwischen klar, dass die mangelnde Verfügbarkeit von Halbleitern diese Erholung stark dämpfen wird.

Die Prognose 2021 wird also wesentlich von der Frage der Lieferfähigkeit der Hersteller bestimmt. Die ursprüngliche Prognose von 3,1 Millionen Neuzulassungen ist mit einem Fragezeichen zu versehen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen