Das griechische Parlament hat ein neues Gesetz verabschiedet, das zahlreiche Neuregelungen rund um das Thema Migration bringt. Abschiebungen illegaler Migranten sollen beschleunigt, die Zuwanderung von Akademikern und »digitalen Nomaden« erleichtert werden. Die radikal-linke Opposition kritisierte vor allem eine Neuregelung: Die Tätigkeit von NGOs soll stark eingeschränkt werden, vor allem was die Beteiligung an der Seenotrettung angeht. Das fand auch der Europarat nicht gut.
Das neue Gesetz, das am Freitag im griechischen Parlament mit den Stimmen der konservativen Regierungspartei beschlossen wurde, wird von der Opposition scharf kritisiert. Der Syriza-Abgeordnete Jorgos Psychojos sagte: »Damit es eine moderne demokratische Gesellschaft geben kann, wie wir sie uns vorstellen, sagen wir Ihnen heute, dass wir das zurücknehmen werden, wir werden es neu formulieren, wir werden es abschaffen, wenn wir an die Macht kommen.«
Artikel 40 des neuen Gesetzes sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen (NGO) – eben diese meinte auch der Syriza-Abgeordnete wohl mit der »modernen demokratischen Gesellschaft« – nur noch gemäß den Anweisungen der griechischen Behörden tätig werden dürfen. Um überhaupt noch eine Rolle bei der Seenotrettung zu spielen, müssten sie demnach von der Küstenwache in den lokalen Notrettungsplan aufgenommen werden. Eigenständige Rettungsaktionen dürfen sie nur noch dann unternehmen, wenn der Einsatz der Küstenwache unmöglich ist und nachdem sie die zuständigen Behörden vorab informiert haben. Die Strafen bei Zuwiderhandlung sind ebenfalls saftig: Haftstrafen von bis zu drei Jahren und Geldstrafen von 3.000 bis 6.000 Euro pro NGO und 500 bis 1.000 Euro für jede der beteiligten Personen stehen im Gesetz. Der privaten »Seenotrettung«, die de facto häufig den europäischen Arm des Schlepperwesens bilden, will Griechenland so einen wirksamen Riegel vorschieben.
Die Kritik der Europarats-Kommissarin
Nun könnte man das Gesetz in dieser Hinsicht symbolisch nennen, denn unabhängige Search-and-rescue-Operationen (zu deutsch Seenotrettungsaktionen) kommen in Griechenland schon seit geraumer Zeit kaum noch vor. Stattdessen haben sich die NGOs in der Ägäis auf die Beobachtung des Geschehens verlegt und werden dafür in mehreren Fällen strafrechtlich belangt (TE berichtete zuletzt im Juli). Aber auch NGOs wie der »Aegean Boat Report« (der tatsächlich nicht nur ein Berichterstatter ist) beteiligen sich noch über Funk und Internet-Apps an der Navigation irregulärer Boote hin zu natürlichen Häfen, Höhlen und Waldstücken auf den griechischen Inseln. Dieselben NGOs geben dann Anweisung an die Migranten, sich zu verstecken und sich so dem Zugriff der griechischen Behörden zu entziehen. Wie sehr das neue Gesetz (neben den bestehenden) auf sie zugreifen kann, muss sich erst noch erweisen.
Kritik kam auch von der Menschenrechtskommissarin beim Europarat, der bosnischen Europa-Technokratin Dunja Mijatović. Am Freitag – dem Tag der Parlamentsabstimmung – forderte sie die griechischen Abgeordneten zu einer Kursänderung auf: »Das griechische Parlament sollte einen derzeit diskutierten Gesetzentwurf überdenken, der die lebensrettende Arbeit von NGOs auf See und ihre Möglichkeiten zur Überwachung der Menschenrechte ernsthaft behindern würde.« Mijatović spricht damit relativ offen aus, als was sie die NGOs ansieht: als inoffizielle Organe der internationalen Zivilgesellschaft, die an Stelle des weitgehend machtlosen Europarats die Einhaltung der von diesem vertretenen Interpretation der universalen Menschenrechte überwachen sollen.
Worauf läuft eine solche Erhöhung der NGOs zu Organen einer postulierten ›europäischen‹ Zivilgesellschaft hinaus? Eine Antwort scheint sicher: auf ein Misstrauen denjenigen Nationalstaaten gegenüber, die Institutionen wie den Europarat vorderhand geschaffen haben und beide auch weiterhin ideell und mit Geldmitteln unterstützen. Kann man den Ast, auf dem man selbst sitzt, noch pittoresker absägen? Übrigens hat Mijatović erst vor wenigen Tagen ein »unzweideutiges« Bekenntnis zur Flüchtlingsaufnahme aus Afghanistan von den Europarats-Mitgliedern gefordert. Auch die Kritik des Syriza-Abgeordneten Psychojos liest sich wie ein photomechanischer Abdruck der Worte der Europarats-Kommissarin.
Mitarakis: Regierung ist der Schutzschild Griechenlands
Migrationsminister Notis Mitarakis machte in seiner Parlamentsrede deutlich, dass die Zustände der »Periode von 2015 bis 2019« – also der Regierungszeit von Syriza – nicht wiederkehren werden. Die Regierung wolle das Problem der illegalen Migration »ganzheitlich« angehen. Griechenland wolle nicht noch einmal das Einfallstor für illegale Migranten nach Europa werden. Im zuständigen Parlamentsausschuss hatten Syriza-Abgeordnete der Regierung vorgeworfen, der »Schutzschild Europas« sein zu wollen. Mitarakis erwidert nach eigener Darstellung: »Die Regierung verteidigt unser Vaterland, sie ist der Schutzschild Griechenlands.«
Das neue Gesetz enthält daneben weitere Regelungen rund um die illegale Migration. So soll die Ablehnung von Erstasylanträgen möglich werden, wenn der Antragsteller die nationale Sicherheit oder die griechische Gesellschaft gefährdet. Diese Regelung galt bisher nur für Folgeanträge. Dagegen müssen sich mutmaßliche Opfer von Folter, Vergewaltigung und anderen Formen von Gewalt künftig einer ärztlichen Untersuchung stellen.
Daneben sollen Abschiebungen und freiwillige Rückreisen abgelehnter Asylbewerber erleichtert werden. Insbesondere will man die »missbräuchliche Ausübung« gewisser Rechte durch die Abzuschiebenden verhindern. So werden die Fristen für die freiwillige Ausreise verkürzt und Fristverlängerungen erschwert. Die Ankündigung einer freiwilligen Rückkehr soll in Zukunft keine aufschiebende Wirkung mehr für Abschiebungen haben.
Dagegen soll die Einwanderung von Studenten, Forschern, Absolventen und sogenannten »digital nomads« gefördert werden. Menschen, die ihren Lebensunterhalt mithilfe digitaler Technologien verdienen, erhalten eine zwölfmonatige Aufenthaltserlaubnis in Griechenland. Auch Investoren sollen von neuen Aufenthaltsverlängerungen profitieren. Auch wenn diese Regelungen nicht als die Hauptsache des Gesetzentwurfs erscheinen, zeigen sie doch, in welche Richtung die konservative Regierung das griechische Einwanderungsrecht entwickeln will. Es geht ihr nicht um Abschottung, wohl aber um eine wirkliche Steuerung der Zuwanderung im Interesse des griechischen Staats.
Oppositionsparteien uneins: Harter Kurs oder Wählertäuschung?
In seiner Parlamentsrede beharrte Mitarakis auch auf dem Begriff »geschlossene Zentren«. Gegenüber EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte er bei einem Ortsbesuch gesagt, diese Zentren würden nur »geschlossen« genannt, das Wort habe keine Bedeutung. Daraufhin hatte Johansson geschlossene Einrichtungen in einem eigenen Statement abgelehnt. Die neuen Aufnahmezentren auf den Inseln und anderswo werden wohl ein Zwischending sein. Vor allem geht es um ein Signal an die Bürger, dass man die Situation in jedem Augenblick unter Kontrolle hat.
Im Inland wird die Kritik an Mitsotakis wohl dennoch nicht ganz verstummen. Der führende Syriza-Vertreter Nikos Voutsis verglich den Premier mit Matteo Salvini und outet sich damit als Vertreter der Open-Borders-Fraktion (Syriza stellt heute 86 von 300 Abgeordneten im griechischen Parlament). Dagegen erkundete der sozialdemokratische Abgeordnete Jorgos Kaminis (Bewegung für Veränderung, Kinal, derzeit 22 Sitze) eine andere Linie, wenn er von einer Irreführung der Wähler sprach.
So hätten Abschiebungen bisher zu 80 Prozent Albaner betroffen. Die erfolgreiche Unterbindung der Migration über die Ägäis stellt Kaminis in Frage. Die von der Regierungen errichteten Aufnahmezentren nähmen »monströse« Ausmaße an, etwa auf Chios mit 20 Hektar Ausdehnung. Auch am Evros sei eine solche Einrichtung geplant. Schließlich könnten auch die tausenden Migranten, die in Griechenland Asyl oder eine Duldung erhielten und nun meist in Deutschland nochmals um Asyl bitten, jederzeit nach Griechenland zurückkehren.
Die griechische Regierung und das Parlament bestätigen mit dem neuen Gesetz die Berichterstattung von TE. TE hat mehrfach über Praktiken von NGOs berichtet, die den Menschenschmuggel von der Türkei nach Griechenland befördern. Es ging um logistische Unterstützung und Informationen über Standorte der Küstenwache, Abfahrts- und Ankunftsorte. Mittlerweile sieht sich TE rund einem halben Dutzend Abmahn- und Folgeverfahren ausgesetzt und musste auf Betreiben der Organisation Mare Liberum vorerst informative Beiträge aus dem Netz nehmen; auch Presseberichte aus Griechenland und Mitteilungen der dortigen Behörden. Nichts soll über das Treiben in Deutschland bekannt werden. Diesen Maulkorb fechten wir an und werden dies bis zur Letzt-Entscheidung bringen. Solche Verfahren ziehen sich über Monate und Jahre. Das wissen die Kläger und wollen uns so zum Einlenken zwingen. Da sie von den deutschen Kirchen und dem deutschen Staat gefördert werden, setzen sie darauf, dass sie den längeren Atem haben. Sie werden sich täuschen. Wir fassen den Kampf um die Pressefreiheit als unsere Aufgabe auf, nachdem viele Blätter sich auf die Seite von „Mare Liberum“ geschlagen haben und ihren Agitationsjournalismus weiter wider die Wahrheit betreiben.Während NGOs es künftig vor den griechischen Küsten schwerer haben werden – unsere Gerichtsverfahren laufen weiter. Diese können wir nur deshalb durchstehen, weil uns viele Leser dabei wirtschaftlich unterstützen. Dafür bedanke ich mich sehr herzlich.
Roland Tichy