Vor einigen Tagen erst wurde öffentlich, dass die USA sich auf die Taliban bei der Sprengstoffkontrolle am Kabuler Flughafen verließen (TE-berichtete) – bevor dann bei einem Anschlag 13 US-Marines getötet wurden. Doch damit nicht genug: Wie CNN jetzt berichtet, setzt die US-Regierung weiter auf die Unterstützung der Taliban – man teilte Geheimdienstinformationen über den Aufenthaltsort von US-Staatsbürgern und ließ die Taliban diese dann zum Flughafen eskortieren. Was die Gegenleistung ist, ist bisher nicht bekannt.
Die Taliban bemühen sich dieser Tage darum, sich ein legitimes Image zu verschaffen. Abdul Qahar Balkhi, Sprecher der Taliban und Mitglied ihrer „Kulturkommission“ erklärte, dass die Islamisten in Zukunft eine Rolle in der Welt spielen wollen. „Wir hoffen, dass die Weltgemeinschaft uns als die legitimen Repräsentanten der Völker Afghanistans anerkennt, die ihr Selbstbestimmungsrecht von fremden Besatzern mit der Unterstützung der gesamten Nation zurückerobert haben“, sagte der Talib der amerikanischen Nachrichtenseite Newsweek. „Wir glauben, dass die Welt eine einzigartige Gelegenheit hat, sich einander anzunähern und gemeinsam die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen nicht nur wir, sondern die gesamte Menschheit steht.“
China hingegen gibt sich offener gegenüber den Taliban. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying, nahm am Donnerstag in einer Pressekonferenz Versprechen der Taliban zur Kenntnis, sich um eine friedliche Lösung der Probleme zu bemühen und eine „offene und inklusive islamische Regierung“ zu bilden, die die Rechte von Menschen mit unterschiedlichen ideologischen Ansichten und ethnischen Hintergründen respektiere. China habe „bemerkt, dass einige politische Persönlichkeiten Russlands und anderer Länder sowie viele internationale Medien das Verhalten der afghanischen Taliban nach ihrem Einmarsch in Kabul anerkannt haben und glauben, dass es sich dabei um gute, positive und pragmatische Aktionen handelt“.
Nicht zuletzt verfügt das Land auch über Ressourcen, die China gerne ausbeuten würde: Seltene Erden, Kupfer, Gold und Lithium. Um wirtschaftlich und geostrategisch zu profitieren, bräuchte Afghanistan jedoch eine stabile Regierung mit akzeptablem Image. Der chinesische Außenminister Wang Yi soll bei einem Treffen mit den Taliban offenbar bereits auf ein „rebranding“, ein neues Image für die Taliban gedrängt haben. Doch die Skepsis gegenüber den Gotteskriegern ist noch groß: Nicht zuletzt, weil China in seiner östlichen Provinz Xinjiang selbst aggressiv gegen Muslime vorgeht. Die Angst, dass aus dem an das Gebiet angrenzende Afghanistan ein zusätzlicher Problempunkt für Chinas Unterdrückung der Uiguren erwachsen könnte, ist in den Hinterköpfen der Diplomaten und Strategen in Peking wohl präsent.
Doch allein die theoretische Offenheit seiner größten globalen Gegenspieler gegenüber den Taliban setzt auch den Westen unter Zugzwang. Deutschland hat zwar die Entwicklungshilfezahlungen nach Afghanistan eingestellt, viele westliche Länder haben Afghanisches Staatsvermögen im Ausland eingefroren – doch dass die Taliban nun Realität sind, ist unbestreitbar. Und über UN-Organisationen wird auch weiter westliches Geld ins Land kommen. Der Mythos von den „gemäßigten Taliban“ kommt da nicht nur den Gotteskriegern selbst, sondern auch so manchem Politiker in Amerika und Europa sehr gelegen. Die 20-Jährige Intervention soll so zumindest das erreicht haben – moderate Mudschahedin, mit denen zu kooperieren den eigenen Bevölkerungen verkauft werden kann.
Dieser Mythos hat mit der Wirklichkeit allerdings wenig zu tun – die Scharia bietet keinen Raum für Kompromisse oder Moderierung. Bereits jetzt gibt es Berichte aus Afghanistan über Zwangshochzeiten und barbarische Strafen bis zu Hinrichtungen – die Taliban sind und bleiben Taliban. Sie wissen auch, dass man als islamistisches Regime durchaus Gesprächspartner des Westens sein kann – Pakistan, der langjährige Förderer der Taliban, beweist das genauso wie der Iran, dessen Flagge man auch schon längst in den Hauptstädten der Welt gehisst hat. Ein wirklich „inklusives“ Regime braucht es da gar nicht. Die Taliban setzen darauf, dass der Westen auch nach dem Abzug seiner Truppen mit ihnen reden wird – allein schon, weil es seine globalen Gegenspieler tun werden.