Tichys Einblick
Berlin:

Missbrauchs-Prozess gegen prominenten Arzt um Jahre verzögert

Ein Mediziner, der Patienten belästigt haben soll, wurde von der Justiz auffällig lange verschont. Ein Abgeordneter, der sich mit der Affäre beschäftigte, erlebte dafür einen bizarren Zensurfall.

IMAGO/Eibner

In Berlin steht der Arzt und prominente Aids-Spezialist Thomas Lambrecht (Name geändert) wegen des Verdachts vor Gericht, fünf seiner früheren Patienten sexuell missbraucht zu haben. Der heute 62jährige Arzt soll Patienten ohne medizinische Notwendigkeit am Geschlechtsteil manipuliert, sich selbst entblößt und in einem Fall einen Patienten gegen dessen Willen geküsst haben. Er bestreitet die Vorwürfe vehement.

Bis zum Urteil dürfte noch einige Zeit vergehen, für den Beklagten gilt die Unschuldsvermutung. Trotzdem gibt es in diesem Fall eine außergewöhnliche Fülle von Merkwürdigkeiten: Es scheint so, als könnte der angeklagte Mediziner auf den Schutz durch einflussreiche Kreise der Stadt zählen. Mehrere Antworten des Berliner Senats auf Anfragen des Abgeordneten der Freien Wähler Marcel Luthe erhärten diesen Verdacht.

Zum einen dauerte es selbst für Berliner Verhältnisse ungewöhnlich lange, bis der Beklagte, der 2014 angezeigt wurde, überhaupt vor Gericht stand. Denn die mutmaßlichen Taten, für die er sich verantworten muss, sollen sich zwischen August 2011 und Mai 2013 ereignet haben. Nach der ersten Anzeige 2014 – das bestätigte die Senatsverwaltung Luthe auf dessen parlamentarische Anfrage – ermittelte die Staatsanwaltschaft sehr umfangreich, und erhob am 23. Februar 2016 Anklage wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses in fünf Fällen (Aktenzeichen lautet 282 Js 1549/14). Dann vergingen allerdings mehr als zwei Jahre, bis das Gericht das Verfahren im November 2018 zuließ. Danach passierte wieder gut zweieinhalb Jahre nichts. Erst am 19. April 2021 begann tatsächlich die Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten – gut zehn Jahre nach dem ersten mutmaßlichen Übergriff. Möglicherweise hätte das Verfahren ohne das öffentliche Drängen der früheren Patienten auch 2021 nicht stattgefunden. Im Jahr 2022 wäre die so genannte absolute Verjährung eingetreten – das doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist für das Delikt.

Während der vergangenen Jahre praktizierte der Beklagte weiter. Auch danach fragte Luthe. Und bekam zur Antwort, das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) habe 2016 „ein Verwaltungsverfahren mit dem Ziel des Ruhens der Approbation“ gegen den Arzt eröffnet, aber auch wieder eingestellt. Auch die Berliner Ärztekammer habe ihr Untersuchungsverfahren „bis zur Entscheidung des Strafgerichts ausgesetzt“. In der Antwort des Senats auf Luthes Anfrage heißt es: „Grundsätzlich erfolgt bei offener Beweislage in einem Strafverfahren, in dem eine umfassende Beweisaufnahme zur vollständigen Aufklärung der angeklagten Vorwürfe durchgeführt wird, kein paralleles Verwaltungsverfahren zur Aufklärung der gleichen Sachverhalte. Vielmehr wird dies, auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts, bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Strafgerichts ausgesetzt.“

Juristisch mag das korrekt sein. Allerdings schien es im Fall des Angeklagten jahrelang so, als würde es überhaupt nie zu einem Gerichtsverfahren kommen – auf wessen Betreiben auch immer. Warum sich der Prozess gegen den Mediziner trotz der schweren Vorwürfe jahrelang verzögerte, ist bisher nicht klar.

Die Zeugen in dem Verfahren, die teilweise auch als Nebenkläger auftreten, fühlen sich in der Gerichtsverhandlung außerdem von den drei Anwälten des Angeklagten eingeschüchtert und demonstrativ missachtet. Das Magazin „Siegessäule“ berichtete, wie der prominenteste der Verteidiger, der Berliner Anwalt Johannes Eisenberg, eine transsexuelle Zeugin mit „er“ angesprochen habe und außerdem während der Verhandlung öfters laut dazwischenrede, offenbar mit Duldung durch den Richter.

Bei Eisenberg handelt es sich um einen für sein rüdes Auftreten bekannten Anwalt. Er vertritt nicht nur Privatpersonen, sondern wurde in der Vergangenheit auch immer wieder für die öffentliche Hand tätig. Einen seiner größten Aufträge erhielt er vom Bundesverteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen, die wegen Vetternwirtschafts-Vorwürfen und üppigen Beraterverträgen unter Druck geraten war. In der Zeit, als ein Untersuchungsausschuss versuchte, das Ministerium zu durchleuchten, engagierte von der Leyen Eisenberg zu einem Stundensatz von 380 Euro – als Berater.

Dem Juristen, so nahmen Oppositionspolitiker damals an, kam die Aufgabe zu,  Mitarbeiter des Ministeriums und andere Zeugen für Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss so zu präparieren, dass möglichst keine Widersprüche auftraten. Auch für das Land Berlin war Eisenberg schon tätig geworden. Der Abgeordnete Luthe fragte deshalb Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), wie er den Auftritt des des Anwalts vor Gericht beurteile. Immerhin setzen sich Grüne dafür ein, die absichtliche Verwendung einer falschen Anrede gegenüber Transsexuellen zum Straftatbestand zu machen, und verfechten normalerweise einen besondere strenge Antidiskriminierungspolitik. Noch ehe Luthe allerdings die Antworten der Regierung bekam, musste jemand aus dem Berliner Abgeordnetenhaus oder aus der Senatsverwaltung seine Anfrage an Eisenberg vorab durchgestochen haben. Denn der zog vor Gericht und erreichte, dass sein Name von der Senatsverwaltung in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage nicht genannt werden darf. Dem, so urteilte das  Berliner Verwaltungsgericht , stehe Eisenbergs Persönlichkeitsrecht entgegen. Die Argumentation mutet merkwürdig an. Denn das Strafverfahren gegen den Arzt ist öffentlich; Eisenbergs als einschüchternd empfundener Auftritt war Gegenstand eines Presseberichts.

Die Senatsverwaltung entfernte Eisenbergs Name nicht nur aus ihrer Antwort, in der sie im übrigen erklärte, nicht zuständig zu sein – sondern schrieb auch Luthes Fragen nachträglich entsprechend um. Statt des Namens erschien nun im Text ein X. Für den Politiker ist es ein einmaliger Vorgang, dass die Regierung in den Wortlaut seiner Fragen eingreift.

„Die Indemnität aus Artikel 51 der Verfassung schützt die freie Rede in Wort und Schrift im Parlament“, sagt Luthe. „Eine Zensur  von Fragen ist ein eindeutiger Verfassungsbruch, über den nun der Verfassungsgerichtshof wird befinden müssen.“ Gleichzeitig, fordert der Berliner Spitzenkandidat der Freien Wähler, müsse parlamentarisch aufgeklärt werden,  „welche dubiosen Netzwerke hier die Verhöhnung mutmaßlicher Opfer von Sexualdelikten mindestens billigen, eher noch mit diesen Hinterzimmerspielchen begünstigen – und weshalb bisher niemand strafrechtlich eingegriffen hat.“  Zur künftigen Beauftragung Eisenbergs durch das Land Berlin meint er: „Wer als Anwalt Opfer vor Gericht verhöhnt, darf in Zukunft nicht einen Cent aus den Mitteln des Senats bekommen – erst Recht nicht bei transsexuellen Opfer und einem grünen Antidiskriminierungssenator, der zufällig auch noch für Justiz zuständig ist.“

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