Eine DIHK-Umfrage unter 3.000 Unternehmen kommt zu alarmierenden Ergebnissen. Demnach haben bereits 26 Prozent der Unternehmen die Produktion gestoppt oder gedrosselt, weil Vorprodukte fehlten. Besonders betroffen ist demnach die Fahrzeugindustrie – hier mussten bereits 58 Prozent langsamer produzieren oder zeitweise stoppen. Danach folgen die Gummi- und Kunststoffindustrie (45 Prozent), die Chemieindustrie (36 Prozent), die EDV und Elektrotechnik (34 Prozent) und die Holzindustrie (28 Prozent).
Auch ein Architekt berichtet TE, dass es lange dauere und teuer sei, Handwerker anzustellen. „Wir arbeiten gerade an einem Rohbau-Projekt, das wir vor anderthalb Jahren mit Kosten von 450.000 Euro veranschlagt haben“, erklärt der Mann, der in Frankfurt ein Architekturbüro mit über 20 Angestellten leitet. Das erste Angebot habe bei 870.000 Euro gelegen, das zweite bei 650.000 Euro. Üblicherweise schreibe man sechs bis acht Handwerker an und die Hälfte gebe ein Angebot ab. „Wir baten 41 Handwerker um ein Angebot – bloß vier antworteten“, sagt er. Der Baubetrieb verlaufe wie “in lähmender Zeitlupe”.
Die DIHK berichtet denn auch, dass nahezu alle Branchen und Unternehmensgrößen betroffen seien. Insgesamt meldeten 83 Prozent Preisanstiege oder fehlende Vorprodukte, Waren und Rohstoffe. Teuer oder knapp seien besonders direkte Vorprodukte, Stahl, Aluminium, Kupfer und Holz. Der Degussa-Chefvolkswirt Thorsten Polleit erklärt sich die Lieferengpässe auch mit den Lockdowns der Regierungen. Sie seien ein massiver Eingriff in die internationale Arbeitsteilung – etwa in Kapitalfreiheit und Freizügigkeit. „Die Politiker hängen der falschen Vorstellung an, die Volkswirtschaft ließe sich wie eine Glühlampe ein- und ausschalten“, sagt er.
Eine Ursache für die Engpässe sind laut der Umfrage Transportprobleme, von denen 58 Prozent der Unternehmen betroffen sind. In drei Vierteln der Fälle waren Container knapp oder es fehlten Frachtkapazitäten auf Schiffen. Bahn, LKW oder Flugzeug sorgten bloß bei einem Viertel der Betriebe für Materialnot. Laut dem Institut für Weltwirtschaft spitzt sich derzeit die Lage der Container-Seefahrt in China zu. Aktuell liege das Frachtvolumen im Roten Meer – der wichtigsten Seehandelsroute der Welt – 20 Prozent unter dem Niveau, das unter normalen Umständen zu erwarten sei. Für den August rechnen die Kieler Wirtschaftsforscher mit einem Minus von 6 Prozent der chinesischen Exporte.
Verschärfend wirkt in Deutschland die Flutkatastrophe. Ein Stahlgroßhändler schreibt in einer Email an seinen Kunden, die TE vorliegt, dass in Nordrhein-Westfalen große Lager mit Warmbreitband-Stahl überflutet worden seien. Etwa berichte ein Hersteller von einem Ausfall von über 30.000 Tonnen sogenannter Coils – also Bandstahlrollen. Bahngleise seien in NRW schwer beschädigt und Frachten würden auf den LKW-Verkehr umgelegt, der ohnehin überlastet sei. „Lieferanten berichten davon, dass Sendungen bei den Speditionen bis zu zehn Tage liegen bleiben“, schreibt der Händler. Laut der Wirtschaftswoche waren Stahlhersteller wie Thyssenkrupp und Bilstein an manchen Standorten nur eingeschränkt produktions- oder lieferfähig, weil die Flut Gleise unterspült hatte.
Nach der DIHK-Umfrage wollen 67 Prozent der Unternehmen die gestiegenen Einkaufspreise auf die Kunden abwälzen. 57 Prozent wollen ihre Lagerhaltung erhöhen. „Die Rohstoffengpässe könnten deshalb dazu führen, dass die gegenwärtig anziehende Inflation kein vorübergehendes Phänomen bleibt, sondern die Weltwirtschaft auch mittel- bis langfristig beeinflussen wird“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.
Indes droht nicht bloß andauernde Inflation, sondern auch Stagflation. Ökonomen wie der Leipziger Professor Gunther Schnabl sehen den Nach-Corona-Aufschwung keineswegs als gesichert an (TE berichtete). Etwa dürften die Lieferengpässe das Potenzial haben, die Wirtschaft über längere Zeiträume auszubremsen. So schätzen die Chefs des Autozulieferers Hella und des Halbleiterherstellers Infineon, dass Chips bis zum Jahr 2023 Mangelware bleiben könnten. Viele Autobauer stoppen derzeit die Produktion oder planen Stopps, weil Halbleiter fehlten. Beispielsweise schickte Audi 6000 Angestellte im Ingolstädter Stammwerk bis Ende August in Kurzarbeit.
Die Aufträge stauen sich im verarbeitenden Gewerbe denn auch an. Der reale Auftragsbestand stieg im Juni um 2,8 Prozent innerhalb eines Monats, teilte das Statistische Bundesamt mit. Derzeit beträgt die Reichweite des Auftragsbestands im Schnitt 7,0 Monate. Bereits seit Juni 2020 erhielten die Unternehmen mehr Aufträge, als dass sie abarbeiten würden, heißt es. Mittlerweile sei der Bestand 17 Prozent höher als vor dem ersten Lockdown und der höchste seit Einführung der Zahl im Jahr 2015, erklärten die Statistiker.
Dass die Lieferengpässe rasch enden, erwarten auch die meisten Unternehmen nicht. In der DIHK-Umfrage gingen 53 Prozent von einer Verbesserung nicht vor dem kommenden Jahr aus.