Tichys Einblick
Unsichere EU-Grenzen

Neue, alte Balkanroute: Ungarn verteidigt seine Grenzen, andere Länder folgen

Ob Ungarn, Österreich, Litauen oder Lettland – im Osten des Kontinents öffnen sich neue Wege der illegalen Migration, während sich alte wiederbeleben. Das heimliche Vorbild ist Viktor Orbán: Es ist seine Politik, die heute von vielen Ländern nachgeahmt wird.

IMAGO / Le Pictorium

In seinem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender Fox News gab sich Viktor Orbán jüngst in gewohnter Weise kämpferisch. »Wenn jemand ohne Genehmigung des ungarischen Staates die Landesgrenze überschreitet, müssen wir uns schützen«, sagte Orbán dem eigens nach Budapest angereisten Moderator Tucker Carlson. »Wir müssen unser eigenes Volk vor allen Gefahren schützen. Ungarn hat jedes Recht zu dieser Entscheidung. Es gibt kein grundlegendes Menschenrecht, das garantiert, dass jeder ins Land einreisen kann.«

Dagegen interessiert das »neue Kapitel«, das einige Länder Europas im Jahr 2015 – manche auch schon etwas früher – aufschlugen, Orbán nicht im geringsten. Das »Experiment, das vor allem von Deutschland vorangetrieben wurde, hält der Ungar für »überaus gefährlich«. Zwar habe jede Nation »das Recht, das Risiko einzugehen«, doch »wir Ungarn lehnen die Vermischung unserer Gesellschaft ab«.

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Damit formulierte Orbán sein diesbezügliches, seit vielen Jahren gültiges Credo. Ähnlich äußern sich inzwischen auch Regierungschefs aus anderen EU-Ländern. So betonte die litauische Regierungschefin Ingrida Simonyte zuletzt die Notwendigkeit des Schutzes der Landesgrenzen. Zuletzt rief der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins – angesichts der illegalen Einwanderung aus Weißrussland – den Notstand aus, womit keine Grenzübertritte mehr erlaubt sind und keine Asylanträge mehr angenommen werden müssen.

Allerdings steht auch Ungarn, das seit sechs Jahren ein Grundpfeiler der Stabilität auf dem Balkan ist, fortwährend unter Druck. 2015 schloss Orbán demonstrativ seine Landesgrenze, noch bevor die am Budapester Bahnhof Lagernden sich Richtung Nordwesten aufmachten. Doch seinen Frontstatus hat das Land bis heute behalten. Neben einer Ostgrenze mit der Ukraine gibt es eine gemeinsame Grenze mit Serbien im Süden. Erst jüngst konnten griechische, ungarische und weitere europäische Polizeien einen in Bulgarien basierten Schlepperring sprengen, der genau dieser neue Balkanroute frequentiert haben muss (TE berichtete). Laut dem Wiener Innenministerium ist auch die Inner-EU-Grenze zwischen Rumänien und Ungarn ein Schlupfloch für die irreguläre Migration vom Balkan nach Mitteleuropa.

Die Balkanroute stand gewiss schon weiter offen als heute

In der vergangenen Woche verhandelte György Bakondi, leitender Sicherheitsberater des Premierministers, mit Vertretern Serbiens über die Sicherung der Grenze gegen die illegale Migration nach Ungarn. Bakondi erklärte laut der Budapester Zeitung, dass im laufenden Jahr bereits 55.000 Grenzverletzer von der ungarischen Polizei gefasst wurden – wohl hauptsächlich an der Grenze zu Serbien. Im gesamten Jahr 2020 waren es nur 17.000. Zugleich wurden 523 Schleuser und Menschenschlepper festgenommen, auch diese Halbjahreskennziffer liegt mehr als doppelt so hoch wie die Summe vom letzten Jahr.

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Nun bedeuten diese Zahlen zweierlei: Zum einen zeigen sie, dass die ungarischen Polizisten durchaus Erfolge im Kampf gegen die illegale Menschenschlepperei haben. Doch verweist der Anstieg der Festnahmen auch auf eine von neuem anwachsende Tätigkeit dieser Schlepper und ihrer (teilweise) Opfer, der irregulären Migranten, die sich auf jedem Wege Zugang zur Schengen-Zone verschaffen wollen – natürlich meist mit dem Ziel der ›aufnahmebereiten‹ westlichen Wohlfahrtsstaaten. Der neueste Werbetrick der Schlepper (auch wenn der Weg nach Westen kaum noch Werbung brauchen dürfte): In Deutschland oder Österreich sei die medizinische Versorgung besser, was gerade in Zeiten von Corona etwas ausmache. Die Schlepper sollen im übrigen oft dieselben sein, die die Illegalen erst über die Ägäis nach Griechenland und dann von dort auf den Balkan gebracht haben. Da lässt sich vielleicht schon von vertrauensvoller Zusammenarbeit und Stammkundschaft sprechen.

So meldet auch Österreich immer mehr »Aufgriffe illegaler Migranten«. In den ersten sieben Monaten waren laut Innenministerium 16.300 (2020 insgesamt: 21.700; 2019: 19.500). Ein Großteil dieser illegalen Einwanderer wird an der Ostgrenze zu Ungarn aufgegriffen. Der Wiener Kurier meint daher: »Die Balkanroute war nie geschlossen«. Das kann man vermutlich so sagen, aber sie stand sicher schon einmal weiter offen – scheunentorweit nämlich – als heute.

Zentral ist die Vereitlung des Schleppergeschäfts

Nun haben Innenminister Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide Mitglieder der Neuen Volkspartei, einst ÖVP) eine Verstärkung des Grenzschutzes im Osten angekündigt. Seit 2015 wird dort schon das Bundesheer eingesetzt, nun kommen 400 dazu. Die Soldaten sollen die Grenzpolizisten bei der Aufgreifung von irregulären Grenzüberquerern unterstützen. Auch Litauen setzt seine Armee unterstützend an der Grenze zu Weißrussland ein. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) kritisierte die türkis-grüne Regierung, die Lage ähnele jener zur Zeit der »Flüchtlingskrise« 2015. Doskozil hat sich in seiner Partei mit einer migrationskritischen Linie profiliert und so einen Wahlsieg errungen.

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Die erfolgreichen Anstrengungen der ungarischen Polizei belegt indes auch eine Meldung der Kronenzeitung, wonach die Ungarn im Grenzbezirk Vas bei Eisenburg einen Kleinbus mit 17 illegalen Einwanderern – vorgeblich »Syrer« – filzten, in dem sich auch eine Maschinenpistole der Marke Skorpion fand. Der serbisch-österreichische Schlepper, der sich an irgendetwas berauscht hatte, gab an, dass die Waffe einem der transportierten »Syrer« gehörte. Die 17 Migranten entkamen. In einem anderen Fall in Niederösterreich entkam der Schlepper, während die 16 transportierten illegalen Migranten gefasst wurden.

Die Krone titelte: »Terroralarm«, aber wer sagt uns, dass die Waffe nicht dem Schlepper selbst gehörte? Mit Sicherheit ist der Fokus, den ebenso die Wiener Regierung wie die europäischen Polizeien und Sicherheitsbehörden auf das Sprengen der Schlepperbanden legt, der richtige. Nur indem den Organisatoren des trüben Geschäfts der Geldhahn zugedreht und die Operationsfähigkeit entzogen wird, gibt es Hoffnung auf einigermaßen sichere Grenzen ohne Hochsicherheitsanlagen.

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