Rational ist es nicht mehr zu verstehen, wenn man nicht zur Erklärung den deutschen Irrationalismus, die fatale Liebe zur politischen Romantik zu Hilfe nimmt, denn der fragwürdige Kandidat, von dem in der Wirecard-Affäre gesagt wurde, dass er nach dem Motto gehandelt habe, dass sein Name „Hase“ sei, liegt in der Wählergunst vorn. Olaf Scholz ist der Bundesminister, der ohnehin an Musils „Mann ohne Eigenschaften“ erinnert, weil er die ideale Projektionsfläche für das neudeutsche Biedermeier verkörpert. Das folgt immer noch der alten Melodie: „immer langsam voran, immer langsam voran, damit der deutsche Michel beim Fortschritt noch nachkommen kann“. Nur dass der Fortschritt inzwischen einem fortschreitenden Aufbruch nach Phantasia, ins Reich der Utopie, weichen musste. Während die Grünen dem deutschen Wähler für die Reise nach Utopia hübsch angepinselte Tretboote anbieten, empfiehlt der Mann von der Waterkant dem deutschen Michel eine Reise auf einem seit 1989 ausgedienten Kreuzfahrtschiff der unteren Mittelklasse. Doch letztlich steht nur Tretboot oder Kreuzfahrtschiff auf dem Wahlzettel. Tertium non datur – ein drittes ist ausgeschlossen.
Der große Freund der Linken aus dem hohen Norden, Daniel Günther, hat nun festgestellt, dass der bisherige Wahlkampf der CDU niemanden überzeuge, und in der selbstsicheren Art eines wahren Weltweisen die philosophische Erkenntnis geäußert: „Wir müssen die Themen in den Mittelpunkt rücken, die für die Menschen wichtig sind.“ Dank Parteifreund Günther weiß Armin Laschet endlich, dass er die Themen „in den Mittelpunkt rücken“ muss, „die für die Menschen wichtig sind“, eine Erkenntnis, die er vor Günthers Diktum sicher nicht besaß. Von hoher Analytik ist Günthers Aussage allein schon deshalb, weil dem geneigten Publikum entgangen sein muss, dass Armin Laschet überhaupt ein Thema in den Mittelpunkt gestellt hätte. Sekundiert wird der Magus aus dem Norden von seinem unglücklichen Kollegen aus dem Süden, Marco Wanderwitz, der unter Menschen leben muss, die „auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind.“ Der Rheinischen Post sagte der sächsische Spitzenkandidat: „Als Union haben wir es bisher nicht geschafft, den Bürgern deutlich zu machen, dass wir mit Armin Laschet das beste Personalangebot und das beste inhaltliche Angebot haben“ und fügte hinzu: „Da müssen wir nachlegen.“
Genau hier beginnt das Dilemma des Armin Laschet als Wahlkämpfer. Womit soll Armin Laschet nachlegen? Welches Thema ist den Medien, vor allem den öffentlich-rechtlichen wichtig, das kein Thema der Grünen wäre? Wenn Wanderwitz oder Günther von „Menschen“ reden, meinen sie natürlich die Medien, denn angesichts der Wahl kann es sich entweder nur um Bürger handeln, die ein Wahlrecht besitzen, oder um Medien, die „unsere Menschen“ zu erziehen haben.
Was also soll Armin Laschet tun? Mit der grünen Politik Angela Merkels, mit De-Industrialisierung und Demokratieabbau, mit Entmündigung und Zukunftsvernichtung brechen? Gar Deutschlands Interessen, das Wohl der deutschen Bürger, Freiheit, Innovation, Selbstbestimmung, Wissenschaft, Technik und eine gute Zukunft für ihre Kinder in den Mittelpunkt stellen, auf die Gefahr hin, dass diese Themen „die Menschen“ nicht interessieren und von den Medien in einer beispiellosen Kampagne auf allen Kanälen als rechts denunziert werden, denn inzwischen ist alles „rechts“, was nicht grün ist? Oder den aussichtslosen Versuch starten, grüne Idiosynkrasien abzumildern. Aber letzteres macht Armin Laschet doch schon. Er versucht, sich als besonnener Politiker zu verkaufen, der die sympathischen, aber über das Ziel hinausschießenden grünen Heißsporne zügelt, nur hat sich die altväterliche Attitüde eines bornierten Konservatismus längst überlebt. Das Falsche bleibt das Falsche, auch in abgemilderter Form.
Er könnte natürlich auch ein echtes Angebot unterbreiten und die falsche und desaströse Antwort auf den noch dazu falsch interpretierten Klimawandel der Grünen einer längst überfälligen Kritik unterziehen und für die Freiheit des Bürgers eintreten. Doch das würde dem Cäsar vom Rhein die Iden des März bescheren, wenn er denn nicht schon beim Überqueren des Rubikons versenkt werden würde. Die Reaktion der Grünen und ihrer Medien wären noch harmlos zu nennen, im Vergleich zu dem, was ihm von Angela Merkel, die immer noch über beachtliche Macht in der Partei verfügt, von Günther und Wanderwitz, aber auch von Ursula von der Leyen blühte, deren Green Deal zur Maximalverschuldung Deutschlands er damit in Frage stellte. Wahrscheinlich würde auch der getreue Volker Bouffier sich noch einmal aufs Pferd setzen lassen, um den guten Armin ins Gewissen zu reden.
Merkels Entscheidung für eine grüne Regierung ist gefallen. Der Kanzlerkandidat der Union kann sich nur mit dieser Entscheidung arrangieren, vielleicht, wenn es doch noch aus irgendeinem Grund gut geht, unter den Grünen Kanzler werden, die mit der Etablierung eines Klimaschutzministeriums ohnehin die Richtlinienkompetenz in einer neuen Regierung für sich beanspruchen oder Juniorpartner der SPD werden.
Eines jedoch wird deutlich. Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, steckt tief in Merkels Falle. Da befindet er sich an dem Ort, an dem sich Deutschland befindet. Insofern ist Laschets Position, Deutschlands Position.
Wie er den gordischen Knoten zerhauen könnte, ist mir ein Rätsel. Die Zeit, die ihm dafür zur Verfügung stand, scheint abgelaufen zu sein, denn er müsste in der Tat mit einem modernen Programm und mit einer völlig neuen Medienstrategie starten, das aber benötigt Zeit zur Vorbereitung, die Laschet verspielt hat. Er sitzt nicht nur in Merkels Falle, er ist sogar in Merkels Falle gelaufen. Rheinischer Frohsinn hilft nicht immer. Manchmal wird auch mitteldeutsche Standfestigkeit in der Art: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, benötigt. Er hätte es wissen müssen: Die Reise nach Berlin führt über Worms, auch fünfhundert Jahre später noch – oder schon wieder.