Die Totalitarismusforschung hat gezeigt, daß ein autoritärer Staat nur dann überlebensfähig ist, wenn er nicht nur die tatsächlichen Machtmittel kontrolliert; er muß auch die eigene Bevölkerung in einem so hohen Grad in die eigenen Missetaten verwickeln, daß sie kollektiv zum Komplizen wird und zusammen mit der Moral auch die Selbstachtung und somit die innere Bereitschaft zum Widerstand verliert. Sollte da nicht gerade heute eine Alarmglocke läuten?
Es wird in diesen Tagen viel von der „Covid-Diktatur“ gesprochen, und tatsächlich ließe sich einiges über die verfassungs- wie naturrechtlich überaus bedenkliche autoritäre Transformation unserer westlichen Gesellschaften sprechen. Diese hat Zustände hervorgebracht, die man noch vor zwei Jahren als verschwörungstheoretisches Delirium belächelt hätte:
Daß diese unausgegorene „Impfung“ weder die Aufnahme noch die Weitergabe von Covid-19 wesentlich zu behindern scheint, sondern nur das individuelle Immunsystem stärkt und zudem nicht unbeträchtliche Nebenwirkungen aufweist, läßt das Ganze gleich doppelt surreal wirken und macht den indirekten „Zwang“ zur Impfung einer kompletten Bevölkerung völlig unverständlich. Zählt man hinzu, daß es auch vor Covid-19 um die westlichen Demokratien nicht zum Besten bestellt war, ja daß die Covid-„Notstandsgesetze“ nur in vielerlei Hinsicht die Konsequenz einer bereits lange angelegten Selbstabschaffung der bürgerlichen Demokratie sind, kann es dem wachsamen Bürger nur kalt den Rücken hinunterlaufen, wenn er daran denkt, was die Zukunft sonst noch für ihn bereithalten mag.
In dieser bedenklichen Lage wirkt die Nachricht, daß einer Forsa-Umfrage vom 4. August zufolge 69 % der Deutschen diese Entwicklung auch noch tatsächlich unterstützen sollen, wie ein Faustschlag in den Magen. Auch wenn diese Zahl aus mehreren Gründen durchaus fragwürdig scheint, beleuchtet sie doch ein Phänomen, das kaum noch zu leugnen ist:
Angesichts der ansonsten ad nauseam hervorgehobenen „besonderen“ deutschen Erfahrung mit rechter wie linker Diktatur ist es erschreckend anzusehen, mit welchem höhnischen Behagen ungeimpfte Menschen mit Parolen übergossen werden, die zunehmend und wohl nicht ohne Grund an die Diktion des Dritten Reiches wie auch der DDR erinnern. Ich erspare mir hier eine Auflistung der allgegenwärtigen boshaften Kommentare, die allesamt darauf hinauslaufen, jene, die den Lockdown kritisieren oder eine „freiwillige“ Covid-„Impfung” für sich oder ihre Kinder dankend ablehnen, bis mehr über die Nebenwirkungen und Folgen der Impfung bekannt ist, als Staatsfeinde darzustellen, die es mit allen Mitteln zum Gehorsam zu zwingen gilt.
Denn wer sich heute schon dem vereinten Druck von Politik, Medien und Mitmenschen verwehrt, wird auch morgen unberechenbar und starrsinnig handeln, wenn es um andere Themen gehen sollte. Ihn bereits jetzt als geschlossene Gruppe zu identifizieren, dem Haß der Mehrheit auszuliefern und möglichst aus der Gesellschaft auszuschließen, ist machttaktisch durchaus sinnvoll und liegt, bedenkt man die zunehmende Tendenz, Proskriptionslisten angeblicher „Gegner“ politisch korrekter Ordnung zu führen, schon jetzt durchaus im Geist der Zeit.
Ein gräßliches Fehlkalkül, das natürlich erst in einem zweiten Schritt deutlich ist, wenn es dank Denunziation, Bosheit, Willkür und Terror nun auch den angeblich „unbescholtenen“ Bürgern an den Kragen geht – und wir dürfen auf dieser Basis wohl mit Grauen befürchten, daß das gegenwärtig eingesetzte sanitäre Repressionssystem in einigen Jahren auch zur Ausgrenzung politischer Dissidenz, zur Perpetuierung staatlicher Kontrolle über unsere physische Integrität und schließlich zur Einsetzung eines Sozialkreditsystem nach chinesischem Vorbild genutzt werden könnte.
Ob es möglich sein wird, das Schlimmste zu verhindern und durch beherztes Entgegentreten nicht die dystopische „neue“, sondern eben die „alte“ Normalität zurückzugewinnen? Der Zeitgeist stimmt hier eher pessimistisch – nicht nur, weil die bedenkliche Aushöhlung des Rechtsstaats durch hysterische Pseudomoralisierung den Verantwortlichen kein „Zurück“ ohne schwere rechtliche Konsequenzen mehr ermöglicht, sondern auch, weil der öffentliche Diskurs so polarisiert geworden ist, daß eine Mehrheit der Bürger alleine, um das eigene Gesicht zu wahren, die gegenwärtige Entmenschlichung der angeblichen „Covidioten“ weiter bejahen muß – bis sich auf diesem Sockel der selektiven Ausschließung eines ganzen Teils der Bevölkerung ein Regime erheben wird, dem dann früher oder später auch seine jetzigen Komplizen zum Opfer fallen werden …
Professor Dr. David Engels ist Senior Analyst am Instytut Zachodni in Poznań.