Der Beschluss der Ministerpäsidentenkonferenz entspricht fast wortgleich der Beschlussvorlage aus dem Kanzleramt von heute morgen (siehe unten), die bereits als eine Art Kompromiss zwischen Merkel und Laschet zu sehen ist. Festgesetzt wurde nun nur noch der Richtwert: Der faktische Impfzwang gilt ab einer regionalen Inzidenz von 35. Auch hier bleibt alles ganz beim Alten: Nicht mal die mit viel Tamtam angekündigte Orientierung an anderen Maßstäben kommt, es bleibt bei der alten, müden Inzidenz. Manch einer dürfte sich ans vergangene Jahr erinnert fühlen. Auch die epidemische Notlage bleibt einfach weiter bestehen – Begründung egal.
Konkret beschlossen wurde, dass Schnelltests ab dem 11. Oktober nicht mehr kostenlos sein werden. Schon ab dem 23. August soll für die Teilnahme an weiten Teilen des öffentlichen Lebens (Innengastronomie, Sport und Freizeit, Beherbergung, Veranstaltungen im Innenbereich) allerdings eine Testpflicht für Ungeimpfte gelten. Für diejenigen, die sich weiterhin nicht impfen lassen wollen, wird es also teuer, zumal der Schnelltest nur eine Gültigkeit von 24 Stunden besitzen soll. Das ist die Idee. Für Supermärkte und Lebensmittelgeschäfte – wie häufig kolportiert wurde – gilt die Regelung allerdings nicht.
De facto ist das ein Impfzwang – allerdings in der mildesten Form. Zur Debatte stand auch, nur einen deutlich teureren PCR-Test zu verlangen oder die Möglichkeit des „Freitestens“ ganz abzuschaffen. Letzteres war vor allem von Markus Söder fleißig ins Spiel gebracht worden, dem auch dieser Beschluss noch zu weich ist.
Die einfache Möglichkeit diesen milden Zwang mit kleinen Änderungen zu einem harten zu machen, liegt auf dem Tisch und wurde auch ausdrücklich in Merkels Beschlussvorlage festgehalten: „Bund und Länder werden alle Indikatoren, insbesondere die Inzidenz, die Impfquote, und die Zahl der schweren Krankheitsverläufe sowie die resultierende Belastung des Gesundheitswesens genau beobachten und sich auf weitere Maßnahmen verständigen, falls die Anstrengungen beim Impfen und Testen nicht ausreichen, um das weitere Infektionsgeschehen zu kontrollieren.“
Das wurde nun minimal geändert, im End-Beschluss ist nur noch die Rede davon, dass Bund und Länder alle Indikatoren berücksichtigen werden, „um das weitere Infektionsgeschehen zu kontrollieren.“ Diese seichtere Formulierung dürfte wenig an der Grundhaltung ändern.
Es könnte wie im letzten Jahr kommen: Auf den Impfzwang light folgt der mittlere und dann der harte Impfzwang. Die Weichen dafür wären jedenfalls gestellt. Mit sehr einfachen und vordergründig banalen Veränderungen könnte man Ungeimpfte in den kommenden Monaten praktisch ganz vom öffentlichen Leben ausschließen.
Vor allem einer ist nach dieser Runde gedemütigt: Armin Laschet. In der Corona-Politik bleibt er Getriebener, die Möglichkeit sich dahingehend unabhängig von der Kanzlerin zu profilieren, hat er verspielt.
Lesen Sie hier die wichtigsten Beschlüsse und den ganzen Beschluss als Dokument:
- Schnelltests sind ab dem 11. Oktober nicht mehr kostenlos für Bürger, die sich impfen lassen könnten aber nicht wollen
- Ab dem 23. August soll für die Teilnahme an weiten Teilen des öffentlichen Lebens (Innengastronomie, Sport und Freizeit, Beherbergung, Veranstaltungen im Innenbereich) eine Testpflicht für Ungeimpfte gelten. Zutritt für diese Bereiche dann nur noch mit maximal 24 Stunden altem negativen Schnelltestbefund, Impf- oder Genesenennachweis.
- Die Maskenpflicht bleibt bestehen
- Die Epidemische Notlage soll für weitere drei Monate verlängert werden
Stand Dienstag, 15:30 Uhr
Merkels Plan in entscheidenden Punkten durchgesetzt: Für Ungeimpfte wird es ab Herbst teuer
Die Regierung zieht die Schlinge um die Ungeimpften weiter zu. Ab dem 11. Oktober müssen Ungeimpfte ihre verpflichtenden Tests selbst bezahlen – ab einer landesweiten Inzidenz von 35 soll die Testpflicht für Ungeimpfte in Kraft gesetzt werden, das berichten der Spiegel und die Bild.
Aktuell liegt die Inzidenz in Berlin und Schleswig-Holstein bereits über dieser Marke. Brisant ebenfalls: Die vielfach angekündigten Ideen, die Inzidenz als alleinigen Richtwert abzuschaffen, werden damit nicht in die Tat umgesetzt. Die im Vorfeld am heftigsten diskutierte Maßnahme würde sich mit diesem Beschluss weiterhin allein an der Inzidenz orientieren.
Merkel setzt sich damit in den entscheidenden Punkten durch – wie es zu erwarten war. Der größte Gegner von Verschärfungen in der Runde, Armin Laschet, hatte ja bereits im Vorfeld mit einem „5-Punkteplan“ eine ähnliche Richtlinie ausgegeben.
Die sogenannte 2G-Regelung ist wieder auf dem Tisch. Eigentlich war sie aus dem Entwurf bereits verschwunden. Zunächst packte – wer sonst – Markus Söder die unsägliche Forderung wieder auf den Tisch, selbst getesteten Ungeimpften den Zugang zum öffentlichen Leben zu verweigern. Testen habe „keine einzige Welle verhindert“, erklärt Söder – also reiche ihm die vom Kanzleramt geforderte Testpflicht nicht. Generell sei Merkels Beschlussentwurf „kein großer Wurf“, poltert Söder – er will wahrscheinlich härter durchgreifen. Geimpften müssten jetzt „maximale Rechte“ zurückgegeben werden, Ungeimpfte sollen benachteiligt werden. Ob dies verfassungsrechtlich möglich sei, weiß auch er nicht – das müsse noch entschieden werden. Vorerst ist es ihm anscheinend egal – erst kommt der Corona-Hammer, dann die Verfassung, scheint das bayerische Motto zu sein.
Auch die Empfehlung der Verlängerung der epidemischen Lage wurde beschlossen, damit wurde Merkels Beschlussvorlage eigentlich vollständig durchgegangen. Der Gipfel endete am späten Nachmittag.
Lesen Sie hier Merkels ganze Beschlussvorlage.
Stand Dienstag, 06:00 Uhr
Merkels Vorlage: Corona-Ausnahmezustand zu verlängern, weiter Maskenpflicht, Ungeimpfte massiv benachteiligen
Der Corona-Gipfel an diesem Dienstag ist der wohl bizarrste in der anderthalbjährigen Geschichte eines Gremiums, das in der Verfassung nicht vorgesehen ist. Denn trotz nach wie vor niedriger Inzidenz, trotz extrem weniger Intensivpatienten und Corona-Toten, trotz der deutlich niedrigeren Gefahr, die von Delta ausgeht, kommen heute die Ministerpräsidenten mit der klaren Absicht zusammen, dass die Maßnahmen verschärft werden. Warum, weiß keiner so recht zu begründen.
Im Vorfeld der Konferenz versendete die Bundeskanzlerin nun eine Beschlussvorlage an die Ministerpräsidenten, die TE vollständig vorliegt. Darin kommt der Knaller zum Schluss: Jetzt schon fordert man den Bundestag auf, er solle am 11. September die „epidemische Notlage“ verlängern und damit für weitere drei Monate die Grundlage für den Corona-Staat schaffen mit weiten Sonderbefugnissen für die Regierung. Im Papier heißt es: „Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder teilen die Einschätzung, dass sich Deutschland insgesamt weiterhin einer pandemischen Situation befindet und dass die entsprechenden Rechtsgrundlagen für die von den jeweils zuständigen Behörden zu ergreifenden Maßnahmen weiterhin erforderlich sind, um der Situation zu begegnen.“
Das Papier sieht weiterhin vor, dass die „Basismaßnahmen“, also im wesentlichen die Maskenpflicht, weiterhin gelten sollen. In Sachsen wurde damit begonnen, für Kreise mit niedriger „Inzidenz“ die Maskenpflicht auszusetzen – solche Projekte sollen wohl aufhören. Für Ungeimpfte sieht das Papier massive Benachteiligungen vor – diese müssen sich in Zukunft für die Teilnahme an weiten Teilen des öffentlichen Lebens (u.a. Innengastronomie, Freizeitangebote, Kirchenbesuche, Friseur, Beherbergung) testen lassen und den mindestens erforderlichen tagesaktuellen Schnelltest ab Oktober auch noch selbst bezahlen. Die Kosten dafür würden sich aktuell wohl auf zwischen 15 und 40 Euro belaufen, durch den gesteigerten Marktdruck könnte das allerdings noch günstiger werden. Diese Regelung soll von den Bundesländern ab einer bestimmten „Inzidenz“ ausgesetzt werden dürfen – die Zahl soll noch festgelegt werden.
Auch hier soll es also allen Ernstes weiterhin allein an der „Inzidenz“ hängen; zwar befindet sich ein vager Absatz im Text, nach dem man auch andere Indikatoren berücksichtigen will, die konkreten Grenzwerte beziehen sich allerdings weiterhin allein auf die Zahl der „Neuansteckungen“.
Und: das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Sobald die Zahlen steigen, wird nochmal neu verhandelt. In der Beschlussvorlage heißt es schon: „Bund und Länder werden alle Indikatoren, insbesondere die Inzidenz, die Impfquote, und die Zahl der schweren Krankheitsverläufe sowie die resultierende Belastung des Gesundheitswesens genau beobachten und sich auf weitere Maßnahmen verständigen, falls die Anstrengungen beim Impfen und Testen nicht ausreichen, um das weitere Infektionsgeschehen zu kontrollieren.“
Ausreichen um das „Infektionsgeschehen zu kontrollieren“, ist dabei ein sehr dehnbarer Begriff.
Diese Beschlussvorlage aus dem Bundeskanzleramt bedeutet: Weitere, quasi unbefristete Einschränkung zahlloser Grundrechte allein auf Grundlage des großen pandemischen Konjunktivs, sie bedeutet Maskenpflicht wohl über den ganzen Winter und eine massive Ungleichbehandlung von Ungeimpften. Und das wohl gemerkt nur beim heutigen Stand, wenn die Zahlen steigen, sind weitere Verschärfungen ja bereits angekündigt. Der Entwurf scheint derweil schon so eine Art Kompromiss zwischen der Bundesregierung und Armin Laschet zu sein, der stellte am Montag einen 5-Punkteplan vor, der diesem Konzept sehr ähnlich sieht. Das heißt aber auch: Der einzige moderate Gegner von Verschärfungen in der Runde ist bereits im Wesentlichen d’accord. Dass die Vorlage noch abgemildert werden könnte, scheint dahingehend also unwahrscheinlich. Noch nicht mit an Bord waren allerdings die zahlreichen Hardliner in der Konferenz, wie etwa Markus Söder, Winfried Kretschmann oder Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher.
Lesen Sie hier die ganze Beschlussvorlage.
TE wird Sie hier im Ticker den ganzen Tag über auf dem Laufenden halten.