Die Sommer-Interviews von ARD und ZDF mit den Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien haben eine lange Tradition. Die Machart ist weitgehend gleich geblieben, wenn sich auch die Formen verändert haben. Saß man zu früheren Zeiten mit dem CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß schon mal bei einer bayerischen Brotzeit mit zünftigem Umtrunk zusammen oder begrüßte Helmut Schmidt auf einer Segeljolle, ganz zu schweigen von den ausführlichen Plaudereien mit Helmut Kohl bei einem guten Schoppen vor der Kulisse des Wolfgangsees, ist all dieses einer eher sachlichen Nüchternheit gewichen. Bevorzugte Schauplätze sind heute markante Punkte innerhalb des Regierungsviertels oder gar der ARD- oder ZDF-Gebäude selbst. Dies entspricht auch der veränderten politischen Kultur im Lande und der großen persönlichen Distanz, insbesondere der jüngeren Generation, gegenüber Führungspersonen.
Wie nicht anders zu erwarten, empfing den AfD-Politiker ein spürbar feindseliges Klima. Chrupalla, der in früheren Interviews häufig mit einer hemdsärmelig-naiven Jovialität reagierte, zeigte sich diesmal schlagfertig und in der Argumentation bei Sachfragen informiert und kenntnisreich. So, wenn er als eine der Ursachen des Nachwuchsmangels an Fachkräften den miserablen Zustand unseres Bildungssystem kritisierte und von daher die Beschäftigung zugewanderter Arbeitskräfte nicht als einzigen Weg aus der Misere bezeichnete. Zuzustimmen ist dem AfD-Mann auch, wenn er davor warnt, mit dem Verweis auf die Klimakrise Missstände bei der Bekämpfung der Flutkatastrophe unter den Teppich zu kehren. Hier erwies sich die Zuschaltung von Zuschauern mit ihren Fragen als sinnvoll und für das Format der Sendung erfrischend.
Und dann Habeck im ZDF – gewollt lässig und gutgelaunt präsentierte er sich in der schönen Natur des Nordens inmitten von grün und viel Wasser. Mit eiserner Selbstverleugnung stand er unerschütterlich zur Eignung Annalena Baerbocks für das Kanzleramt und damit auch unverändert zu ihrer Spitzenkandidatur. Nur dass in diesen Augenblicken jeglicher Frohsinn aus seinen Zügen wich. Worauf es jetzt ankomme, sei der Blick nach vorn. Angesichts des Schwächelns auch der anderen Kandidaten, sei immer noch alles drin. Habeck, bekannt für sein Talent im Umgang mit Medien, vermied jede aggressive Zuspitzung. Seine Interviewerin machte es ihm aber auch leicht. Als Zuschauer hatte man erwarten dürfen, dass zumindest die Frage nach dem Grund für das Nichterscheinen der Spitzenkandidatin zum Spitzenkandidaten-Interview gestellt würde. Fehlanzeige. Anders als beim Chrupalla-Interview bei der ARD zuvor, war man sich unübersehbar sympathisch.
Ähnlich trickst Habeck auch in der Impf-Frage. „Man hat das Recht, sich nicht impfen zu lassen, aber man hat nicht das Recht, dass alle Geimpften und die Kinder dann Rücksicht darauf nehmen“. Mit anderen Worten: Impf-Zwang durch die Ladentür, wie es die Bundesregierung in schönster Übereinstimmung bereits plant: Ohne Impfausweis soll es verboten sein, Geschäfte, Schulen oder Stadien zu besuchen. Auch hier fehlte kritische Nachfrage; man war ideologisch unter Gleichgesinnten beim ZDF.
Aber eine wirklich überraschende Aussage machte der Grünen-Star dann doch noch. Eigentlich strebten die Grünen ja gar nicht das Kanzleramt an. Ihr Hauptziel sei das Mitregieren an entsprechenden Schaltstellen. Eine Unterstützung zum Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs für Baerbock ist das jedenfalls nicht. Treibt Habeck etwa die Sorge, das so manch potentieller Grünen-Wähler aus Angst vor einer Kanzlerin Baerbock taktisch woanders sein Kreuz machen könnte? Dann doch schon lieber jetzt Flexibilität im Machtanspruch demonstrieren – vielleicht sogar bei inks-grüner Mehrheit ein Kanzler Olaf Scholz, verbunden mit dem eigenen Anspruch auf Schlüsselministerien. Doch bei den derzeitigen Schwankungen der Wählergunst gilt mehr als je zuvor: Abgerechnet wird zum Schluss.