Was zunächst wie ein eingrenzbarer Skandal um eine Polizeieinheit erschien, hat das Zeug zum großen politischen Skandal der hessischen Landesregierung. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) löste im Alleingang, vorschnell und ohne Ermittlungsergebnisse das Spezialeinsatzkommande(SEK) der Frankfurter Polizei auf. In den letzen Wochen legten TE-Recherchen entgegen der Behauptungen des Ministeriums Hessen offen, dass die SEK-Räumlichkeiten weder mit rechtsextremen Motiven ausgeschmückt noch unzugänglich für andere oder vorgesetzte Polizisten waren; auch bei den angeblich rechtsextremen Chats handelt es sich überwiegend um harmlose, erkennbar satirische Aussagen. Beuth entließ zudem drei SEK-Führungskräfte, gegen die keine belastbaren Vorwürfe existieren. Wie willkürlich handelte der CDU-Politiker? Die SEK-Beamten schildern TE den Ablauf des Rauswurfs – der offenbart: Obwohl der Innenminister Anfang April die Vorwürfe des vermeintlichen Rechtsextremismus und Verdachts auf Kinderpornografie kannte und versuchte, sie zu instrumentalisieren, schickte er das SEK-Team noch auf bis zu 20 Einsätze.
Rekonstruktion – so geschah der Rausschmiss der SEK-Leute
Eine detaillierte Rekonstruktion zeigt, wie sich der Rausschmiss der SEK-Beamten abspielte: Es begann mit einer angeblichen „Personalversammlung“, die eine Woche vorher von Thomas Seidel, dem „Leiter Einsatz des Polizeipräsidiums Frankfurt“, für den 09. Juli angesetzt wurde – das Thema lautete offiziell „Personalentwicklung“. Normalerweise geht es bei einer solchen Versammlung darum, dass Polizeibeamte für den Erwerb von mehr Führungserfahrung zu einer andere Dienststelle entsendet werden. Dass das Thema an diesem Tag nur eine Farce war, wusste bis dahin noch keiner des SEK. Um 08:30 Uhr begann dann diese „Personalversammlung“ in einem Versammlungsraum im Frankfurter Polizeipräsidium. Gleichzeitig traf der Leiter E in Begleitung des Leiters der Abteilung 5 LKA (Staatsschutz im Landeskriminalamt) ein, im Schlepptau um die 25 LKA-Beamte. Von da an war klar: Es handelt sich nicht um eine normale „Personalversammlung“. Völlig überrumpelt wurden die SEK-Beamten mit einem vom LKA-Abteilungsleiter gehaltenen Vortrag darüber, wie viel „rechtsextremes“ und „kinderpornografisches“ Material bei dem Spezialeinsatzkommando gefunden worden sei. Die Chats wurden als durchgehend „rechtsextrem“ dargestellt, und es wurde gar von „Hinrichtungsfantasien“ gesprochen. „Wir waren alle erstmal geschockt“, heißt es seitens der SEK-Beamten gegenüber TE, es sei ein „riesiges Schreckensszenario“ an die Wand gemalt worden, um die Beamten „maximal einzuschüchtern“. Nach dem Vortrag folgte eine Verlesung der in drei Kategorien eingeteilten Vorwürfe mit den Namen der Beschuldigten. „Wir waren wie paralysiert.“ Später zeigte sich, dass die „Hinrichtungsphantasien“ sich wohl allenfalls im Kopf des Innenministers abspielen.
SEK: „Man hat uns wie Gefangene behandelt“
Am Nachmittag sprach der Leiter E ein Verbot des Führens der Dienstgeschäfte aus. Unter bewaffneter Bewachung wurden die SEK-Beamten auf die Dienststelle geführt. Sie mussten dort Dienstausweis, -waffe, -telefon, Zutrittskarte, Schlüssel und, ganz wichtig, die ÖPNV-Fahrkarte abgeben. Dieser Leiter E habe auch dem SEK-Team mitgeteilt, dass die Beamten sich nicht miteinander unterhalten dürften und vor allem unter Strafandrohung keine Vorwürfe nach außen tragen. Die SEK-Beamten hätten sich durch den gesamten Ablauf zunächst sehr eingeschüchtert gefühlt. „Wenn die Einschüchterung geklappt hätte, wäre nie rausgekommen, dass an den meisten Sachen eigentlich nichts dran ist“, erklärten mehrere Beamte, nachdem TE erstmals die wahren Sachverhalte veröffentlichte.
Bereits am nächsten Tag wären Maulkorb-Anrufe der Vorgesetzten erfolgt, die verhindern sollten, dass die Presse kontaktiert wird. TE-Reporter trafen sich allerdings mit Beamten – unter konspirativen Bedingungen. Wiederum einen Tag später, am 10. Juni, fand erneut eine Versammlung statt. Bis dahin galt noch das Ziel einer Neustrukturierung des SEK. Das änderte sich auf der Versammlung, als der Leiter E plötzlich einen Anruf aus dem Innenministerium Hessens bekommen habe und daraufhin den Beamten mitteilen musste, dass das gesamte Frankfurter SEK-Kommando aufgelöst werde – zulasten ihres Einsatzraums, der von Frankfurt über das Rhein-Main-Gebiet bis Nürnberg reicht. Beuth gab den starken Mann – ohne glaubwürdige Belege und ohne Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit.
Vom SEK zur Abteilung „Fahrraddiebstahl“ versetzt
Diese Aussage ist bemerkenswert: Liegt eine angeblich rechtsextreme „Vorwurfslage“ vor, wird nicht mehr ermittelt, geklärt, beurteilt – sondern schon auf Verdacht hin gefeuert und die berufliche Zukunft der Betroffenen auf Verdacht hin zerstört.
Dieser jeder Rechtsstaatlichkeit spottenden Idee folgend, interessierte Beuth sich weder für Ermittlungsergebnisse noch für einzelne Beamte, gegen die nichts vorliegt. Statt auf Einzelfälle zu schauen, vorverurteilt er im Zuge einer Kollektivverurteilung auf Verdacht das gesamte SEK. Beuth wirft den drei Führungskräften, gegen die nichts vorliegt, vor, dass sie die Chats – bei denen es sich nach neusten Ermittlungen um „überwiegend straffreie Kommunikation“ handelt – nicht gemeldet sowie keinerlei „Fehlerkultur“ entwickelt hätten. Offen bleibt, wie ohne Fehler eine Fehlerkultur definiert werden kann. Nun nennen SEK-Beamte gegenüber TE einen Vorwurf, der schwer wiegt: „Die wollten einfach nur die gesamte Führung entfernen, damit niemand mehr Widerworte geben kann!“
Trotz „Rechtsextremismus“-Verdacht: Innenminister schickte SEK auf rund 20 Einsätze
Doch Beuths Handeln ist selbst nach seinen kruden Maßstäben widersprüchlich. „Die Vorfälle lassen bei einigen Mitgliedern des SEK Frankfurt auf eine abgestumpfte, diskriminierende Haltung und teils rechtsextreme Gesinnung schließen“, sagte der hessische Innenminister. Doch bereits Wochen vor der „Personalversammlung“ – auf welcher ein Bild einer zutiefst „rechtsextremistischen“ SEK gezeichnet wurde – sei der Polizeipräsident durch das Ministerium Beuths über alle Vorwürfe informiert gewesen. Laut Protokoll des Innenausschusses wurde der Frankfurter Polizeipräsident schon am 19. April 2021 durch die Staatsanwaltschaft informiert. Beuth selbst war laut eigenen Angaben „ungefähr Ende März, Anfang April“ informiert gewesen. Umso brisanter ist es, dass der Innenminister Hessens trotz des „Rechtsextremismus“-Verdachts das Frankfurter Spezialeinsatzkommando noch auf prekäre Einsätze schickte. Unmittelbar vor dem Rauswurf fanden zwei Einsätze – am 05. und 07. Juni – statt, die die reale Gefahr beinhalteten, dass die Beamten von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen müssen. Vermeintliche „Rechtsextremisten“ werden vom Innenminister noch bewaffnet auf neue Einsätze geschickt? Wie passt das zusammen? Besonders brisant: Der eine Einsatz fand gegen zwei organisierte Banden mit Migrationshintergrund statt. Zudem wurden nur zwei Tage vor dem Rausschmiss, am 07. Juni, die SEK-Beamten für ihren besonderen Einsatz noch gelobt.
Innenminister Beuth wusste also spätestens seit Anfang April von den Anschuldigungen des Rechtsextremismus und der Kinderpornografie. Bis zur Zeit des Rausschmisses hat Beuth das SEK aber noch auf ungefähr zwanzig Einsätze geschickt. Doch alles das zählt nicht, wenn ein Minister die große, pressewirksame Show in eigener Sache beschließt. Dass es so locker zugeht in Hessen, wenn es um den Rechtsstaat geht, zeigt ein weiteres Protokoll des Innenausschusses des hessischen Landtags. Dass Beamten noch 20-mal ihr Leben riskierten? Findet keine Berücksichtigung statt, wenn es um die Beuth-Show geht.
Wie fehlerhaft handelte Innenminister Beuth?
Während von den Vorwürfen gegen die SEK-Beamten im Zuge der Ermittlungen und journalistischen Berichterstattung immer weniger übrig bleibt, werden schwere Fehler des Innenminister Beuths immer deutlicher. Ein Satz in einem Innenausschuss-Protokoll des hessischen Landtags macht besonders stutzig: Auf die Frage „Wer hat die Auflösung des SEK beschlossen?“, antworte Beuth: „Ich habe die Entscheidung getroffen“. Der Innenminister hat also völlig alleine diese weitreichende Entscheidung getroffen, wofür er zu dieser Zeit faktisch keine rechtliche Grundlage hatte. Es existierten bis dahin aber auch keine Ermittlungsergebnisse, bei denen ein „Rechtsextremismus“-Verdacht gegen die SEK-Gruppe zu belegen wäre. Selbst der Verfassungsschutz kam zum Ergebnis, dass in den SEK-Räumlichkeiten keine strafbewehrten Darstellungen und kein Bezug zum Rechtsextremismus existieren. Viel mehr war es Beuth selbst, der „rechte“ Räume gedanklich und für willfährige Medien konstruierte. Ebenso hat das Ministerium Chat-Beiträge aus dem Kontext gerissen. Von ca. 20.000 analysierten Beiträgen sind gerade nur 27 möglicherweise strafrechtlich relevant. Zwei Videos rechtfertigen den Anfangsverdacht auf Kinderpornografie, denen ohne Zweifel nachgegangen werden muss – allerdings gegen den oder die betroffenen Beamten, nicht gegen eine komplette Polizeieinheit. Denen wird daher mittlerweile der Vorwurf der „Volksverhetzung“ gemacht. Allerdings geht es dabei überwiegend um harmlose, satirische Witze; gleichzeitig wird der notwendige Tatbestand der Öffentlichkeit nicht erfüllt – es waren vielleicht schlechte Witze, aber noch darf man sie privat teilen. Der Vorwurf der Kinderpornografie wurde vielmehr nur dazu benutzt, um den privaten Chat-Verkehr aller Beamten zu knacken und auszuwerten.
Doch warum handelt Beuth derart erkennbar gegen alle beamten- und rechtsstaatliche Prinzipien – und zerstört so nebenbei eine Säule der inneren Sicherheit in Hessen? Warum sind führende Medien ohne jede kritische Nachfrage bereit, die Bühne und das Orchester für eine öffentliche Verurteilung abzugeben? Die Gründe für das vorschnelle und erkennbar rechtswidrige Handeln wird die Angst um das eigene Image gewesen sein. Damit hat der Innenminister Hessens das persönliche Leben, den Ruf und die berufliche Existenz der SEK-Beamten zerstört. Der Ablauf des Rauswurfs war für die Polizisten ein Schock – so kurz ist der Weg vom Helden zum Verbrecher, der ohne Möglichkeit der Rechtfertigung kurzerhand abgefertigt wird. „Wenn man jahrelang mit seiner Gesundheit oder im Extremfall mit dem Leben für den Rechtsstaat einsteht und dann wegen solch lächerlich konstruierter Vorwürfe behandelt wird, als hätte man eine Bank überfallen oder Drogen an Kinder verkauft, dann zerstört dieses Vorgehen das ganze Lebensbild. Wir sind immer für den Rechtsstaat eingestanden“, sagt einer der Betroffenen.
Die Beamten der SEK-Frankfurt dürfen nicht länger Helden sein, geht es nach Beuth. Als Held will sich Innenminister Beuth selbst darstellen, der für sein schnelles Handeln gerühmt werden will – auch wenn es willkürlich und rechtsmißbräuchlich ist.