Hat der überzeugende Europameister-Titel den Italienern für ihren Alltag und gegen die Sorgen und den Kummer etwas gebracht, oder ist die Euphorie bereits verflogen? Mitnichten, das Land ist erwacht, es ging ein wahrer Ruck durch die Gesellschaft, der italienische Fußball zieht bekannte Trainer an, und die Tourismusbranche zieht nun auch nach, man freut sich auf die Gäste, und auf den Umsatz, den die Touristen bringen sollen.
Der Nationaltrainer Roberto Mancini zeigte es allen, wie er aus einer Nationalelf am Boden, die WM-Teilnahme wurde verpasst, binnen drei Jahren eine Mannschaft zum Europameister formte: Mit einem festen Glauben ans Ziel, einer Detailbesessenheit und harter Arbeit, und natürlich mit einem Teamspirit, der besagte, dass man sich allein nicht zu wichtig nehmen sollte.
Und dann, klar, die Emotionen drumherum, die gehören immer dazu. Kurz, sollte Draghi scheitern, Roberto Mancini trauen die Italiener nun alles zu.
So in etwa, wünscht sich die Mehrheit der Italiener auch ihren Premierminister, Mario Draghi, und sehr vieles lief ja in diesem knapp halben Jahr auch gut an.
Mario Draghi, mehr Dompteur denn Fußballtrainer, hatte sein Kabinett der multiplen Parteien und Politiknarzissten bisher gut im Griff. Dass Draghi jetzt nicht der Emotionalste war, sah man ihm nach, seine dröge Art hatte ja auch was Gutes.
Ausgerechnet jetzt also, um es mal plastisch auszudrücken, wirft Premier Draghi den Erfolg und Zufriedenheit der Italiener mit dem Hintern wieder um. Warum nur, rätseln nicht wenige Beobachter, möchte er etwa der EU gefallen und die Recoveryfund-Gelder nicht gefährden? Ist es gar eine Abmachung oder Absprache?
Mit Deutschland etwa, um die Impfdosenverabreichung zu forcieren und um mit Lockdowns und weiteren Beschränkungen den Druck zu erhöhen. Möchte Draghi etwa ein Impfpressing, und würde Italien einen Gegenagriff mit Demos wie in Frankreich gegen Macrons Anordnungen von Impfung oder Arbeit durchstehen?
Draghi rügt Impfgegner, ohne Impfung lade man den Tod ein
Wie sonst soll man Mario Draghis Worte der vergangenen Tage nur deuten, wonach der Grüne Pass „eine Idee und wichtig sei, Italien am Laufen zu halten.“ Die italienische Wirtschaft sei gerade wieder dabei, durchzustarten und aufzuholen, dies dürfe nicht rückgängig gemacht, sondern müsse beibehalten werden.
Die Tageszeitung Il Giornale berichtete von Draghis Pressekonferenz, in der es eigentlich eher um die Justizreformen gehen sollte, und dann eben doch Pandemie und der ‚Greenpass‘ mehr Platz einnahmen.
Mario Draghi sah nur einen Ausweg, die Deltavariante, die sich schneller verbreiten würde als gedacht, auf dem alten Kontinent flach zu halten, nämlich durch eine Erhöhung der „Impfungen, für alle …“
Was sagen denn die Zahlen? Circa Zweidrittel aller Italiener über 12 Jahre wurden bereits einmal geimpft. Und fast die Hälfte habe bereits den doppelten Impfzyklus abgeschlossen.
Außerdem seien 90 % aller über 80-Jährige bereits doppelt geimpft. Bei den ‚over 70‘ sind es auch 80 %. Auch die Anzahl der Impfdosen sei seit dem 20. Juli gestiegen. Auf 100 Einwohner kommen 105 Dosen.
Mario Draghi, sowie dessen parteilose Technokraten, flankiert von der linken PD, aber auch Teilen der Fünfsterne, möchten wohl den Greenpass schon zum Sommer inmitten der Ferien einführen, wenn es denn so schnell geht. Beobachter in Rom sahen darin auch einen Schlag, ja, eine Ohrfeige gegen Salvinis Lega, und den Mailänder Leader selbst.
Salvini wiegelt ab, Meloni nennt Draghis Aussage puren Terror
Matteo Salvini, immer noch relativ um Contenance bemüht, wiederholte gebetsmühlenartig auf allen Kanälen, „mit der Lega wird es das nicht geben“, sollte heißen, seine Lega stehe immer für die Freiheit der Menschen, und auch er sei auf der Linie des Premiers, natürlich wolle auch Salvini, dass „die Wirtschaft weiter an Fahrt aufnehme, ja, florieren solle, aber, das funktioniere doch nicht, durch Angstmacherei und Panik, wo doch erwiesen sei, dass die Deltavariante gut zu händeln“ sei.
Auch sprach sich Salvini gegen das Impfen der Jüngeren aus, die weder arg getroffen noch als Superspreader in Erscheinung getreten seien. Salvini selbst hat eine Tochter und einen Sohn im Jugendalter, dass Salvini da anders denkt, ist auch logisch. Die Senioren und vulnerablen Gruppen schon, aber das müsste denn auch reichen. Auch von Berufsverboten bei Nichtgeimpften halte er rein gar nichts.
Nicht lumpen, weil auch nicht im Kabinett Draghi vorhanden, lässt sich die lautstarke Anführerin der Fratelli d’Italia, FdI, Giorgia Meloni, die auch gleich ihre Meinung zu Draghis Äußerungen kundtat. Es sei angemerkt, dass die ‚eigentlich‘ Verbündete von Salvinis Lega, in den vergangenen Monaten, sehr viel Boden gut machte, ja stark aufholte, in den Meinungsumfragen.
Giorgia Meloni, schockiert (gespielt oder auch nicht, auf Theatralik versteht sie sich, wenn auch sehr authentisch) von den Worten Mario Draghis, sparte nicht mit drastischen Aussagen: „Draghis Worte und Ankündigungen, sind die Aushöhlung des Rechtsstaates“, und einmal in Fahrt, diktierte Giorgia Meloni auch den Reportern der La Repubblica, der alten linksliberalen Zeitung, in ihre Blöcke und Aufnahmegeräte: „Das Wochenende steht ganz im Zeichen der Ankündigung, ‚No Green Pass‘, und die Worte Draghis sind der pure Terror…“
Das schadet Meloni nicht, ihre Popularität steigt, und ein Politbeobachter meinte im Il Fatto Quotidiano, während sich die Koalitionsparteien gegenseitig um Draghis Gunst, selbst umbringen, steige die FdI auf. Melonis No zur Draghi-Regierung, scheint Meloni zu stärken.
Was habe denn die Regierung außer dem Rat zu Massen-Impfungen sonst so getan und gegeben? Was für die Schulen allgemein, nur als Beispiel? Die Regierung habe sich daran gewöhnt, für das eigene Pandemieversagen, die Bürger in Geiselhaft zu nehmen. Die Proteste würden italienweit mit Solidaritätsbekundungen nach Frankreich und Griechenland, aber auch in andere Länder losgehen.
Massenproteste landesweit
Und so kam es dann auch, von Bozen und Trento über Turin und Rom bis nach Lecce, an die Stiefelspitze, zu Tausenden gingen die Leute mit Flaggen und Bengalofeuer auf die Straßen gegen den Green Pass als Eintrittskarte für das öffentliche Leben.
Überall skandierten die Demonstranten „Libertà, Libertà“, Freiheit, Freiheit, und wie einst die Fünfsterne-Bewegung, Va fan culo, verpiss dich! – in Richtung Mario Draghi. Man darf gespannt sein, wie der Regierungschef reagiert, die Proteste sollen am Mittwoch in Rom weitergehen. Die Italiener werden gegen den Green Pass keine Ruhe geben. Interessant auch, dass selbst Staatsbedienstete und die Ordnungshüter in Rom das Signal aussenden, es würden keine Strafen und Bußgelder verhängt bei Nichteinhaltungen beim Greenpass.
Matteo Salvini gab den Demonstranten Recht, ihren Unmut zu bekunden, selbst wenn es in Massen gerade bei steigenden Infektionszahlen kontraproduktiv sei. Giorgia Meloni, die auch zu den Demos aufgerufen hatte, feuerte weiter an, das Volk müsse gehört werden. Und in Richtung der Linken, die nun Melonis FdI angreifen würden, da doch ihre Partei für den Greenpass in der EU gewesen sei, und nun den italienischen blockieren wolle, entgegnete sie kühl erklärend: „Auch wenn es die Linke nicht verstehen möchte, der Greenpass innerhalb der EU galt der Reisefreiheit von einem Land ins andere. Der Greenpass hier jedoch, ist ein Zwang, er spaltet“, und würde zudem die Wirtschaft und den Tourismus abwürgen, so überzeuge man die Leute nicht.
Und zum Schluss, „Ich bin nicht gegen Impfungen per se“, sie würde sich impfen lassen, aber würde sie nach einer Impfung für ihre Tochter gefragt, ganz sicher ein ‚No‘, nicht mal in Ketten…“