Kommt es auf tragische Weise zu spät, wenn das Bundesinnenministerium ausgerechnet wenige Tage nach dieser verheerenden Hochwasserkatastrophe einen Raumordnungsplan im Hochwasserschutz fertiggestellt hat?
Dieser länderübergreifende Hochwasserschutz liegt allerdings schon viel länger auf dem Tisch, die Parallelität von Planungsabschluss und eingetretener Katastrophe ist zufällig.
In einer Pressemitteilung vom 28. September 2020 teilte Seehofers Bundesinnenministerium mit, dass ein Beteiligungsverfahren zum Raumordnungplan jetzt beginnen würde. Die Idee dahinter formulierte das Ministerium so:
„Die Bundesregierung plant, den Hochwasserschutz in Deutschland zu verbessern. Daher entwickelt das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) einen länderübergreifenden Bundesraumordnungsplan für den Hochwasserschutz (BRPH). Nun wird das Beteiligungsverfahren eingeleitet.“
Im Klartext heißt das, dass die Öffentlichkeit damals Zeit bekam (bis zum 6. November 2020) sich zur die Kompetenzen der Bundesländer beschneidenden Verlagerung eines Teils der Entscheidungen im Katastrophenschutz auf Bundesebene zu äußern.
Schon im September 2020 war geplant, diesen länderübergreifenden Raumordnungsplan für den Hochwasserschutz im 3. Quartal 2021 in Kraft treten zu lassen. Also im Juli 2021.
Der Bundesraumordnungsplan für den Hochwasserschutz wurde aber nicht zuletzt von der nordrhein-westfälischen Landesregierung unter Laschet und von Industrieunternehmen torpediert. Die CDU-geführte Landesregierung NRW sah dafür „keine ausreichende Veranlassung“ und auch „keinen Mehrwert“. Aber auch die SPD-geführte Landesregierung von Rheinland-Pfalz opponierte. SPD-Innenminister Roger Lewentz befürchtete, der Plan werde «massive Einschränkungen landes- und regionalplanerischer Entscheidungsspielräume zur Folge» haben. Für Städte und Dörfer vor allem an großen Flüssen ergäben sich «dramatische Einschnitte ihrer Entwicklungsmöglichkeiten nicht nur im Außen-, sondern auch im Innenbereich».
Kurz zum Verständnis: Vereinfachend zusammengefasst geht es in diesem „Bundesraumordnungsplan Hochwasserschutz“ darum, ganzheitlicher vorzugehen, also eine Schutzmaßnahme in einem Bundesland am selben Fluss nicht zum Nachteil der Anwohner eines Flussabschnitts in einem anderen Land geraten zu lassen. Die Fachbegriffe hierfür sind z.B. „Unter- und Oberliegerschutz“, also Schutzmaßnahmen, die sowohl den flussabwärts als auch flussaufwärts liegenden Anrainern zugutekommen.
Ebenso sollen übergreifende Themen wie Umweltschutz, regionale Bepfindlichkeiten und der Schutz von bestimmten Anlagen von nationaler und europäischer Bedeutung mit bedacht werden, wie es das Innenministerium so in seiner Pressemitteilung vom September 2020 beschreibt.
Der Bundesinnenminister wusste daher schon damals, was er den Ministerpräsidenten der Länder schuldig ist, schließlich war Seehofer selbst einmal im Amt eines solchen, also wurde den Landesvätern- und müttern erst Mal Honig geschmiert: „Von Seiten der Landes- und Kommunalplanung sowie der Wasserwirtschaft ist der Hochwasserschutz in den letzten Jahren schon deutlich verbessert worden. Der Bundesraumordnungsplan soll nun bestehende Regelungen mit neueren Anforderungen effizient verzahnen.“
Es ginge dem Bund lediglich um eine ergänzende Optimierung des Bestehenden. Und vorsorglich hieß es zudem: „Dabei bleiben die Rechte der Wasserwirtschaft und die Planungshoheit der Länder und Kommunen bewahrt.“
So ein Bundesraumordnungsplan entsteht aber nicht im luftleeren Raum – schon seit 2015 wurde konkret daran gebastelt: „Während der Entwicklung des BRPH wurden zwischen 2015 und 2020 drei Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) beauftragt: Regionalentwicklung und Hochwasserschutz in Flussgebieten, Planspiel Bundesraumordnungsplan Hochwasserschutz – Phase 1: Erarbeitung des Testplans und Entwurf einer Planspielkonzeption und Testlauf des Bundesraumordnungsplan – Phase 2: Durchführung und Auswertung.“
Bevor also Horst Seehofer gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet – der zuvor mit Angela Merkel das Chaos der Zerstörungen besichtigt hatte – vor Ort unterwegs war, hatten seine Beamten in Berlin den neuen Bundesraumordnungsplan abgeschlossen. Dieses Vorhaben war übrigens im Koalitionsplan der Bundesregierung festgeschrieben, es wurde also auch höchste Zeit, es noch in dieser Legislatur über die Bühne zu bringen.
Interessant dürfte die Frage werden, ob so ein Plan, wäre er früher fertig gewesen, irgendetwas an dieser Katastrophe hätte verhindern können. Denn am Beispiel der zerstörten Stadt Stolberg wird offensichtlich, dass hier auch ein Bundesplan kaum gegriffen hätte.
Denn schon auf Länderebene hatte Armin Laschets Regierung darauf gewettet, dass schon nichts Schlimmes passieren werde, und den Bau von mutmaßlich Stolberg vor schlimmen Hochwasserschäden bewahrenden Rückhaltebecken nicht vorangetrieben – die Landesregierung Laschet wusste spätestens 2019 von der Notwendigkeit, entwarf sogar selbst Schreckensszenarien, was passieren würde. Schließlich passierte, was die Regierung Laschat 2019 als mögliche Katastrophe schon prophezeit, aber dennoch nichts dagegen getan hatte. TE berichtete.
Dienen soll der Plan „zum Schutz der Menschen und Umwelt entlang unserer Gewässer“. Im Angesichts der Katastrophe kommt den Einwänden der Landesregierung und der Industrie eine hochgradige Bedeutung bei.
Stimmen, die rückwirkend mutmaßlich besser geschwiegen hätten, denn noch ist auch nicht bekannt, welche Schäden die Überschwemmungen an sensiblen Industrieanlagen nach sich gezogen haben. Zum Vergleich: Zuletzt wurden zwei Magnet-Schatzsucher mit Bußgeld überzogen, nur deshalb, weil sie in einem Flussbett Sedimente aufgewühlt und damit angeblich potentiell längst abgelagerte Giftschlämme wieder aufgewühlt hätten. Siehe hier.
Nichtsdestotrotz: Die Verbandsproteste gegen den Bundesraumordnungsplan waren teilweise erfolgreich. So sollen Betriebe nicht mehr im Plan auftauchen, „die gefährliche Stoffe einsetzen, die bei Unfällen schwere Schäden für Mensch und Umwelt mit sich ziehen.“