Über das „auf April datierte, laut Metadaten im Mai erstellte und im Juni auf der Ministeriumswebsite“ des Bundeswirtschaftsministeriums publizierte Positionspapier des „Beirats Junge Digitale Wirtschaft“ berichtete das Handelsblatt und entfachte darüber eine Diskussion in den Medien und im Netz, denn es handelt sich bei dem Positionspapier um nichts Geringeres als um einen substantiellen Angriff auf die Pressefreiheit – und das von einem Beratergremium des Bundeswirtschaftsministers auf der Website des Bundeswirtschaftsministeriums, das inzwischen geradezu panisch von der Webseite des Ministeriums genommen wurde. Der zuständige Minister Peter Altmaier behauptet, davon nichts gewusst zu haben. So oder so ist die Publikation ein Grund für den Rücktritt des Ministers, denn entweder teilt er die Position des Beratergremiums oder er weiß nicht, was in seinem Hause vor sich geht. Laut Wikipedia ist „der Beirat Junge Digitale Wirtschaft …ein Organ von Experten und Sachverständigen, die den Bundesminister in wirtschaftspolitischen Fragestellungen im Kontext von Digitalisierung und New Economy beraten.“
Nur Einschränkung der Pressefreiheit oder Angriff auf die Freiheit des Bürgers und das Grundgesetz?
Der substantielle Angriff auf die Pressefreiheit eines Beratergremiums des Bundeswirtschaftsministers, veröffentlicht auf der Website des Ministeriums wurde inzwischen geradezu panisch von der Webseite des Ministeriums genommen, doch der Geist bleibt ... „Niemand will eine Mauer bauen“ ...
Autoren des Papiers sind „Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer, Alex von Frankenberg, Chef des halbstaatlichen VCs High-Tech Gründerfonds sowie Christoph Gerlinger, CEO der börsennotierten German Startups Group, die mittlerweile German Private Equity heißt.“. Laut Wikipedia ist Amorelie „eine Marke der Sonoma Internet GmbH“, „unter der ein Online-Versandhändler für Erotikspielzeuge betrieben wird“ und Christian Vollmann, der laut Wikipedia „bislang an über 70 Unternehmensgründungen beteiligt gewesen“ war, bei so wichtigen Unternehmen wie die „Dating-Portale iLove und eDarling und die Video-Plattform MyVideo“.
Im Positionspapier „Börsengänge Deutscher Startups“ fordern die Autoren unter Punkt 5:
1. Verpflichtung der Presse zur Berichterstattung auch über kleine IPOs (fallen sonst bei den großen Medien ganz durchs Raster)
2. Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information, bewehrt durch Pflicht zur unverzüglichen Gegendarstellung bei Fehlinformation
3. Verpflichtung von Internetforen zur Offenlegung von Klarnamen der Blogger, Einführung einer Haftung von Bloggern für Falschbehauptungen und Beleidigungen
4. Gewährung des Rechts an den Emittenten, Artikel und Empfehlungen auf seiner Webseite zu veröffentlichen, ohne dafür horrende Lizenzgebühren an die Urheber zu zahlen, und Beseitigung der rechtlichen Haftungsrisiken der Wiedergabe von Artikeln von Dritten aufgrund Fehlinterpretation als eigene Anlageempfehlung des Emittenten.
So spottet Markus Reuter auf netzpolitik: „Wenn es nach den Startup-Lobbyist:innen (PDF) geht, soll die Presse in Zukunft nicht mehr selbst entscheiden, was sie für relevant hält, sondern über jeden Börsengang beklagenswerter No-Name-Startups verpflichtend berichten. Also auch über solche Unternehmen, die es in den Jahren ihrer traurigen Existenz nicht einmal geschafft haben, soviel Geld in PR und Marketing zu verbrennen, dass sich irgendein Schwein für sie interessiert.“
Nachdem das Handelsblatt den Angriff auf die Pressefreiheit, und wie wir hinzufügen, auf das Urheberrecht und auf die Freiheit des Marktes offengelegt hat, ließ das Bundeswirtschaftsminister eilig das Positionspapier von seiner Seite löschen. Doch damit soll nur ein Skandal vertuscht werden, der darin besteht, dass überhaupt ein Beirat der Regierung zu diesen Positionen kommt und der dann noch von der Bundesregierung veröffentlicht wird. Wenn Christian Vollmann als Vorsitzender sich umgehend zu Wort meldet: „Leider kein Aprilscherz, sondern ‘nur’ ärgerlicher Fehler unsererseits. Wir haben eine vorläufige Arbeitsversion des Papiers veröffentlicht, anstatt der finalen. Als Vorsitzender übernehme ich hierfür die volle Verantwortung. Natürlich ist dies NICHT die Position des Beirats“, dann erinnert das an Walter Ulbrichts legendären Satz: „Niemand will eine Mauer bauen“, denn wenn diese Version auch eine „vorläufige“ ist, ist sie doch zumindest gedacht und niedergeschrieben worden. Was folgt eigentlich aus Vollmanns vollmundiger Übernahme der Verantwortung, worin besteht sie?
Zudem offenbart der Beirat einen eklatanten Mangel an Expertise im Presserecht, denn laut Presserecht sind die Medien zu „sachlicher, richtiger und vollständiger Information“ verpflichtet und bei Tatsachenbehauptungen existiert bereits das Recht auf Gegendarstellung. Doch anscheinend reicht dieses allgemeine Recht, das jedem Bürger, jeder Institution, jeder Firma zusteht, der Digitalwirtschaft nicht aus. Wenn es so prononciert geäußert wird, kann dieses Recht nur als Mittel zur „Disziplinierung der Presse“ dienen. Und so trifft Reuters Kritik ins Schwarze, wenn er schreibt: „Hätten die Spielverderber:innen von der Presse damals „diszipliniert“ und „richtig“ über Wirecard berichtet, dann wären die heute womöglich Weltmarktführer und nicht ein am Boden zerschelltes Skandalunternehmen. Und mit der richtigen Pressedisziplin wird Deutschland Digitalweltmeister und aus Amorelie ein neues Amazon.“
Will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Glaubwürdigkeit bewahren, genügt keinen wohlfeile Erklärung, wie er sie auf Twitter veröffentlichte: „Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind. Das Positionspapier des Beirates junge digitale Wirtschaft, war mir ebensowenig bekannt wie seine Veröffentlichung auf der Homepage. Ich habe soeben die umgehende Entfernung angeordnet“, sondern er muss den Beirat auflösen, der die Pressefreiheit, das Presserecht und das Urheberrecht in Frage stellt. Letzteres wundert nicht, denn die Auseinandersetzung der Digitalwirtschaft um die Aneignung fremden Eigentums zum Zwecke der gewinnbringenden Vermarktung, hält an, auch hier hätte die Digitalwirtschaft gern Fakten gegen die Urheberrechtehalter geschaffen.
Was hier offenbar wird, ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft, für die soziale Marktwirtschaft. Nicht umsonst warnt die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshanna Zuboff vor dem „Überwachungskapitalismus“, den ich Überwachungsfeudalismus nenne. Gerade im Bereich der Digitalwirtschaft lohnt es, einen Blick in die USA zu werfen. So analysierte die marxistische Philosophin Nancy Fraser: „Die US-amerikanische Form des progressiven Neoliberalismus beruht auf dem Bündnis ›neuer sozialer Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie etc.).
Resultat ist also die Verwüstung des Lebens der Mittelschicht, denn schaut man auf die Positionen des Beirates der jungen Digitalwirtschaft, entsteht der Eindruck, dass eine wirtschaftliche mit einer politischen Agenda verbunden wird, denn der Beirat forderte auch in einem Positionspapier, die „Gründer*innen mit Migrationshintergrund“ besonders zu fördern, was den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt, zumal laut Beirat „jedes fünfte innovative Wachstumsunternehmen… hierzulande von Menschen mit Migrationshintergrund aufgebaut“ werde, weshalb es eigentlich keiner besonderen Förderung bedürfte, außerdem will man „Diversität“ durchsetzen und „Gründerinnen“ besonders fördern, und natürlich sollen zur Schaffung rechtlicher Ungleichheit „spezifische Instrumente“ geschaffen werden, um bspw. Sozialunternehmen zu fördern, Unternehmen, die wie nicht wenige NGOs auch ganz oder teilweise von Steuergeldern leben, und last not least wird „als ein Ergebnis seiner Sitzung am 29. September 2015 in Berlin, die wachsende Anzahl an Flüchtlingen als Chance insbesondere für die digitale Wirtschaft“ gesehen. Offensichtlich imaginiert der Beirat, dass Merkels Masseneinwanderung aus Menschen mit Hochschulabschlüssen besteht.
Die Veröffentlichung des Positionspapiers ist kein Verkehrsunfall, sie zeigt das wahre Gesicht des Beirates in dem von Fraser analysierten Zusammenhang.
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