Tichys Einblick
Interview mit Allensbach-Forscher

Die Angst vor der Intoleranz: „Ein Faktor sind die Medien“

Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach sorgt für Aufregung: Die Mehrheit der Deutschen sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr. Ein Interview von Sebastian Sasse mit dem Instituts-Mitarbeiter Thomas Petersen.

IMAGO / Reiner Zensen

Sebastian Sasse: Herr Petersen, nur noch 45 Prozent der Deutschen haben nach Ihrer Umfrage das Gefühl, ihre politische Meinung frei äußern zu können. Das ist der niedrigste Wert bei einer solchen Umfrage Ihres Institutes seit 1953. Hat Sie dieses Ergebnis überrascht?

Thomas Petersen: Es hat mich überrascht, wie stark das Ergebnis ausgefallen ist. Die Tendenz, dass die Zahl derer zurückgeht, die keine Einschränkung der Meinungsfreiheit sehen, ist schon länger erkennbar. Aber der Anteil derjenigen, die keine Einschränkung wahrgenommen haben, lag in der Regel bei mehr als 60 Prozent. Vor zwei Jahrzehnten war er sogar noch höher, da umfasste er etwa Dreiviertel der Bevölkerung.

Sind bestimmte politische Themenfelder besonders betroffen – Patriotismus, Fragen der Identitätspolitik, Migrationspolitik, religiöse Einstellungen?

Ja, die Migrationspolitik und auch die Debatte über Patriotismus gehören zu diesen Feldern. Es sind die Themen besonders heikel, die im weitesten Sinne mit dem „Dritten Reich“ oder Rassismus zu tun haben. Ähnlich ist es auch mit Fragen, die man unter dem neuen Modewort der Identitätspolitik zusammenfassen kann. Religion spielt allerdings keine Rolle.

Als Demoskop beschreiben Sie ein Meinungsbild. Wie kommt diese Meinung zu Stande?

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Hier greifen bestimmte sozial-psychologische Mechanismen: Grundsätzlich kann man sagen, in Gesellschaften unterliegen die Themenfelder besonders starker sozialer Kontrolle, in deren Zentrum noch ungelöste gesellschaftliche Konflikte stehen. So lassen sich Phänomene wie die „Political Correctness“ erklären. Diese starke soziale Kontrolle ist eine Art Notpflaster für ungelöste Konflikte. Ein solcher Mechanismus ist erst einmal nicht zu werten. Er wirkt einfach. Er hat schon immer gewirkt und er wird auch in Zukunft wirken. Grundsätzlich ist dieser Mechanismus natürlich. Denn er zielt darauf ab, dass eine Gesellschaft handlungsfähig bleibt. Problematisch wird es dann, wenn aber genau diese Handlungsfähigkeit durch eine „Tyrannei der Minderheit“ in Frage gestellt wird. Wenn also die Bevölkerung das Gefühl hat, dass von einer intellektuell abgehobenen Elite ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt wird.

Heißt das, wir haben es hier letztlich mit einem Grundkonflikt in einer modernen Gesellschaft zu tun, dessen Lösung immer neu ausgehandelt werden muss?

Insgesamt kann man sagen: Je freier eine Gesellschaft ist, um so mehr wird der öffentliche Diskurs über solche Mechanismen der sozialen Kontrolle organisiert. In einer Diktatur gibt es schließlich überhaupt keinen Diskurs, da bestimmt der Diktator die Normen. Ich sage noch mal: Dieser Mechanismus ist erst einmal nichts Falsches. Aber es wird dann schwierig, wenn das Gefühl, in seiner Meinungsfreiheit einer sozialen Kontrolle zu unterliegen, derartig dramatisch anwächst.

Als Demoskopen stellen Sie ja nur die Lage dar. Haben Sie auch Vorschläge zur Lösung dieser Probleme?

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Unsere Institutsgründerin, Elisabeth Noelle-Neumann, hat einmal gesagt: „Die Demoskopie kann dazu beitragen, aus Ideologiefragen Sachfragen zu machen.“ Das heißt hier: Wir haben nun einmal diese Daten erhoben und insofern kann man nicht einfach vom Tisch wischen, dass gut die Hälfte der Bevölkerung sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlt. Natürlich hören wir jetzt auch, wie reflexartig gesagt wird, das stimme nicht. „Ich kenne genug Leute, die das anders sehen“, heißt es dann. Eine typische Reaktion auf Umfragen. Wir haben aber die Untersuchung, diese Daten kann man dagegen halten. Nun steht an, daraus die Schlussfolgerungen zu ziehen. Was heißt das jetzt für unsere Gesellschaft? Darüber muss die Gesellschaft in einen Austausch eintreten.

Kann man etwas dazu sagen, wie eine solche Auseinandersetzung aussehen sollte?

Wir können anhand unserer Ergebnisse zeigen, dass die Angst der Bevölkerung vor Intoleranz sich nicht auf persönliche Beziehungen bezieht. Die Menschen befürchten nicht, dass sie beim Gespräch mit dem Nachbarn am Gartenzaun nicht mehr sagen können, was sie denken. Ein entscheidender Faktor sind vielmehr die Medien. Denn wie wird die Meinung geprägt? Entweder durch persönliche Erfahrungen oder durch Medien. Wenn man die persönliche Ebene als Ursache ausschließen kann, dann bleiben nur die Massenmedien übrig. Ich bin überzeugt, dass Journalisten sich mit ihrer gesellschaftlichen Rolle und der Frage, wie sie die Macht, die mit ihrer gesellschaftlichen Aufgabe zusammenhängt, ethisch korrekt gebrauchen können, neu auseinandersetzen müssen.


Dieses Interview von Sebastian Sasse erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken dem Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

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