Tichys Einblick
Zu wenig um den Täter gekümmert?

Nach Würzburg behauptet Seehofer einen Mangel staatlicher Integrationsbemühungen

Der Bundesinnenminister wirft nun den Deutschen am Beispiel des Würzburger Täters vor, sie hätten nicht genug hingeschaut und sich nicht genug gekümmert. Es wäre unangenehmer für Seehofer, darauf zu verweisen, dass auch das Rechtssystem gescheitert ist und dringend verschärft werden muss.

Horst Seehofer, Bundesinnenminister

IMAGO / Future Image

Es ist wohl zu schmerzhaft für einen Horst Seehofer, zu unerträglich, sich endlich einzugestehen, dass auch Menschen zu uns kommen, die unsere Integrationsbemühungen nicht erreichen, ganz gleich, wie sehr man sich auch um sie bemüht. Die nicht nur kriminell werden, sondern auch unsere Werte und unsere Art zu leben zutiefst verachten.

Passiert ist Folgendes: Der Bundesinnenminister sprach gestern mit der Augsburger Allgemeinen u.a. über den Terroranschlag von Würzburg. Zu Beginn teilt er mit, er halte die Flüchtlingskrise für bewältigt, jede Zeit hätte ihre Herausforderungen.

Konkret zu den Hintergründen des Anschlags von Würzburg gefragt, antwortet Seehofer: „Wir haben Hinweise auf eine islamistische Gesinnung des Täters. Eine psychische Störung kommt offenbar dazu. Was mich an dem Fall am meisten beschäftigt, ist die Frage, wie es sein kann, dass ein 24-jähriger Mann, der zwar kein Asyl bekommen hat, aber subsidiären Schutz als Flüchtling genießt und sich rechtskonform in Deutschland aufhält, nach sechs Jahren in unserem Land in einer Obdachlosenunterkunft lebt. Damit können wir uns doch nicht abfinden. Da müssen wir, Bund und Länder, gemeinsam überlegen, ob unsere Integrationsbemühungen verstärkt werden müssen.“

Die Zeitung fragt fast irritiert nach: „Sie sprechen zuerst von Integration, nicht von Repression.“ Der Minister antwortet, die repressive Seite wäre „schon massiv ausgebaut und gestärkt“. Aber eine starke Ordnungskraft alleine würde nicht ausreichen.

Das ist allerdings erstaunlich, weil beispielsweise der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel in seinem Bestseller „Rechtsstaat am Ende“ gerade erst befand – und der Mann hat täglich an vorderster Front mit den Verwerfungen des Migrationsgeschehens zu tun – der Kollaps des Systems begänne schon bei der Polizei.

Was erwiderte stattdessen der Bundesminister? „Wir müssen uns auch um Integration und Prävention bemühen. Eine Demokratie ist nur wehrhaft, wenn auch die Bevölkerung das zu ihrer Sache macht. Wenn ein junger Mann sechs Jahre in einem Obdachlosenheim lebt, ohne dass jemand hinschaut und sich kümmert, dann kann ich mit unserer Politik nicht zufrieden sein. Da fehlt es am Bewusstsein.“

Vor über zehn Jahren muss dieses heute von Seehofer eingeforderte Bewusstsein bei der Bundeskanzlerin auf besondere Weise gefehlt haben. Denn noch 2010 erklärte die Bundeskanzlerin Multikulti für gescheitert  und begründete das keineswegs mit einem Versagen der Deutschen: „Man müsse Migranten nicht nur fördern, sondern auch fordern. Dieses Fordern sei in der Vergangenheit zu kurz gekommen.“

Aber auch der heutige Bundesinnenminister war als Ministerpräsident Bayerns noch anderer Meinung. Erinnert sich noch jemand an Seehofers 7-Punkte-Plan von 2010 zur Integration und Migration? Er selbst offensichtlich am wenigsten. Damals befand Ministerpräsident Seehofer: „Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein – Multikulti ist tot.“ Was waren Seehofers sieben Punkte? Am Anfang befand er, dass Deutschland kein Zuwanderungsland und ein prognostizierter Fachkräftemangel kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sei.
Dann zurrte Seehofer fest, wie Integration im Detail in Deutschland auszusehen habe: Er wollte „Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit“ als zusätzliches Kriterium neben der Qualifikation einführen. Auf die Bereitschaft des Attentäter von Würzburg kommen wir gleich.

2010 stellte Seehofer noch explizit eine Bringschuld von Einwanderern fest. Für Integrationsverweigerer fordert er eine konsequente Anwendung der Sanktionsmöglichkeiten „vom Bußgeld bis zur Leistungskürzung“. Auch „wer die Integration seiner Familienangehörigen behindert“, solle „wie bei eigener Integrationsverweigerung sanktioniert“ werden.

Heute, nach Zuwanderung von weiteren Asylbewerbern in Millionenzahl, soll auf einmal die Bringschuld beim deutschen Staat und seinen Bürgern liegen? Sie sollen hinschauen und sich kümmern, damit ein eingewanderter Somalier nicht im Obdachlosenheim wohnen muss.

Zunächst einmal ist konkret am Beispiel des in Würzburg mordenden, 2015 in die Bundesrepublik eingereisten, in Mogadischu geborenen Somaliers festzustellen, dass diesem weder Asyl noch Flüchtlingsschutz gewährt wurde. Er hat subsidiären Schutz erhalten und sich also legal in Deutschland aufgehalten“, sagte der unterfränkische Polizeipräsident Gerhard Kallert gegenüber der Bild-Zeitung. Diesen Aufenthaltstitel bekommen vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge, die sonst kein Asyl gewährt bekommen, ergänzte der Regensburger Migrationsexperte Philipp Pruy.

Aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verweist eindeutig auch darauf, dass dieser subsidiäre Schutz auch entzogen werden kann „wenn eine Person eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt (oder) eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil sie aufgrund eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren (unter bestimmten Voraussetzungen ein Jahr) rechtskräftig verurteilt worden ist.“

Hier ist also schon klar angelegt, dass es eine Bringschuld beim Geschützten gibt, die etwas mit Wohlgefallen zu tun hat. Möglicherweise noch nicht repressiv genug? Wer beispielsweise in den letzten Jahren mitverfolgt hat, wie gering schon – TE hatte mehrfach berichtet – die Bereitschaft bei vielen ist, die verpflichtenden Deutschkurse zu besuchen, der weiß, dass Seehofer 2010 durchaus bereits Recht damit hatte, ein härteres Fordern zu verlangen, anstatt nur zu fördern.

Ausgerechnet nach den Morden in Würzburg wirft der Bundesinnenminister den Deutschen als plötzlich vor, sie hätten nicht genug hingeschaut und sich nicht genug gekümmert um jenen somalischen Täter. Klar, es wäre wesentlich anstrengender für Seehofer, darauf zu verweisen, dass auch das Rechtssystem gescheitert ist und dringend verschärft werden muss, wo Anwälte Asylverfahren quasi beliebig zeitlich strecken können, bis dahin, dass ein Aufenthaltstitel schon deshalb gewährt werden muss, weil so viel Zeit verstrichen ist.

Die ausgesprochen prekären Lebensumstände in Somalia sind nicht zu bezweifeln. Aber wer von dort ausgerechnet ins viele Tausende Kilometer entfernte Deutschland gelangt, der hat offensichtlich auch andere Motive, als nur seine Haut zu retten, der folgt hier einem wie auch immer gearteten Pull-Faktor, der Deutschland attraktiver macht als all die Länder, die näher an Somalia liegen. Auch hier muss doch aus deutscher Sicht und im deutschen Interesse zuerst gelten, befriedete Nachbarländer zu Somalia bei der Flüchtlingsunterbringung zu unterstützen. Das ist in vielerlei Hinsicht und im deutschen Eigeninteresse deutlich effektiver.

Horst Seehofer beschäftigt eine Frage, sagt er. Nämlich die, wie es sein kann, dass ein Somalier mit subsidiärem Schutz nach sechs Jahren in unserem Land noch in einer Obdachlosenunterkunft lebt. „Damit können wir uns doch nicht abfinden. Da müssen wir, Bund und Länder, gemeinsam überlegen, ob unsere Integrationsbemühungen verstärkt werden müssen.“

Welche Vorstellung von der Aufgabe von „uns“ und Bund und Ländern steht hinter solch einer Aussage? Offenbar die eines Nanny-Staates? Sollen neben etlichen Beamten zur Überwachung von Gefährdern nun auch noch hunderttausende Unwillige oder gar Unfähige, mit Drogen- und sonstigen Problemen belastete Migranten zusätzlich an die Hand genommen werden? Mag ja sein, dass der Somalier nicht auf der Liste der Abzuschiebenden stand. Aber es gibt eine Menge Täter mehr, die deshalb hier kriminell werden, weil Abschiebungen nicht durchgeführt werden.

Das Seehofer diese Menschen jetzt alle an die Hand nehmen will, bzw. die Deutschen auffordert, das zu übernehmen, erstaunt bezogen auf das Schicksal des in einer Obdachlosenunterkunft untergebrachten Somaliers auch deshalb, weil es in hierzulande auch hunderttausende deutsche Bürger gibt, die obdachlos sind und in solchen Unterkünften leben müssen, ohne dass das irgendeinen Bundesminister oder eine -ministerin zu der Aussage veranlasst hätte, die jetzt der Bundesminister im Falle des mordenden Somaliers tat: „Da fehlt es am Bewusstsein.“

Nein, ein mündiger Bürger ist sich schon genau bewusst, was hier passiert. Und er erlebt es vielfach schon in seinem bedrohlicher gewordenen Alltag: Viele Migranten mit weit über fünfzig unterschiedlichsten Aufenthaltstiteln sind nicht integrationswillig, müssten sofort abgeschoben werden. Zumindest müsste ihnen deutlich gemacht werden, dass es für sie ohne Eigenleistung keine Leistungen geben kann. So ähnlich halt, wie es Horst Seehofer 2010 in sieben Punkten festgelegt hat.

Hat der Bundesinnenminister etwa jetzt eine Lernkurve durchgemacht?Aber was will er da gelernt haben, ohne darauf adäquat reagiert zu haben?

Wer zu der Erkenntnis kommt, dass viele oder einige der Migranten nicht integrationswillig oder -fähig sind, und dann vollkommen sinnfrei fordert, den Deutschen fehle es an Bewusstsein, der richtet weiteren Schaden an. Der sollte schleunigst seinen Hut nehmen. Und das macht Horst Seehofer dann auch im September. Aber er macht es aus Altersgründen. Leider viel zu spät und beladen mit einer Verantwortung, die er nun mit ins Altenteil nehmen wird, anstatt sie noch abarbeiten zu können.

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